Schau mich nicht so an

Drama | Deutschland/Mongolei 2015 | 88 Minuten

Regie: Uisenma Borchu

Eine junge Frau findet über ihre Tochter Kontakt zu ihrer aus der Mongolei stammenden Nachbarin und beginnt eine Liebesbeziehung mit ihr. Als der Großvater des Mädchens auftaucht, verschiebt sich das Interesse der Geliebten ganz auf den lebenserfahrenen Mann, und die Mutter wird zur Randfigur eines immer unberechenbareren Szenarios. Ein lebendiges, trotz einiger Leerstellen und einer gewissen Willkür im Umgang mit den Figuren beeindruckendes Debüt. Der aus einer Improvisationsübung entstandene Film erzählt von Überschreitungen und dem Abbruch von Beziehungen, wobei er traditionelle Rollenbilder und Intimitätsmuster hinterfragt. - Ab 16.
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Filmdaten

Produktionsland
Deutschland/Mongolei
Produktionsjahr
2015
Produktionsfirma
Dreifilm/HFF München
Regie
Uisenma Borchu
Buch
Uisenma Borchu
Kamera
Sven Zellner
Schnitt
Christine Schorr · Uisenma Borchu
Darsteller
Uisenma Borchu (Hedi) · Catrina Stemmer (Iva) · Josef Bierbichler (Großvater) · Anne-Marie Weisz (Sofia) · Katja Brenner (Tanzlehrerin)
Länge
88 Minuten
Kinostart
16.06.2016
Fsk
ab 16; f
Pädagogische Empfehlung
- Ab 16.
Genre
Drama | Liebesfilm
Externe Links
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Heimkino

Verleih DVD
Zorro (16:9, 1.78:1, DD5.1 mongol./dt.)
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Lebendiges Filmdebüt: Eine junge Frau gerät in ein unberechenbares Szenario

Diskussion
Eine Frau und ein Kind, unterwegs, Hand in Hand. Etwas Rätselhaftes umgibt die beiden. Und das nicht nur, weil das Kind weißblond ist, die Frau dunkelhaarig, mit asiatischen Gesichtszügen. Nach einer Taxifahrt durch eine Randgegend landen sie in einem Zelt. Eine alte Frau, es ist die Großmutter der Jüngeren, kocht in einem Bottich Tee. Die Kamera folgt tastend dem staunenden Kind, dann wieder der teekochenden alten Frau und ihrer Enkelin. Irgendwie sind sich hier alle fremd: die junge, westlich gekleidete Frau und die traditionelle Behausung, das weiße Kind und die dunkle Frau, und nicht zuletzt, das Setting einer mongolischen Jurte und die Konventionen eines deutschen Films. Der etwas enigmatische Auftakt von Uisenma Borchus „Schau mich nicht so an“ bleibt dem Film bis zuletzt ein Stück weit äußerlich. Es ist eine Rahmenhandlung, die sich dagegen sperrt, zu rahmen. Die sich stattdessen wie ein Satellit neben den eigentlichen Plot stellt, der unter anderem davon erzählt, wie die Frau und das Kind zusammenkommen (allerdings nur bedingt, denn das entscheidende Verbindungsstück fehlt). Richtungsweisend ist der Anfang, dessen Fäden am Ende erneut aufgenommen werden, indes schon: Denn es geht in dem erzählerisch eigenwilligen Abschlussfilm an der Münchner Hochschule für Fernsehen und Film (HFF) nicht nur um das Eindringen in das Leben anderer, sondern ebenso um das Abbrechen von Verbindungen. Der Hintergrund des Films ist im allerweitesten Sinne autobiografisch: Borchu kam 1989 im Alter von fünf Jahren mit ihrer Familie aus der Mongolei in den Osten Deutschlands. Die Rolle der deutsch-mongolischen Hedi spielt sie selbst. Iva und Hedi sind Nachbarinnen. Bevor Iva Hedi kennenlernt, entdeckt ihre fünfjährige Tochter Sofia Hedi. Die trifft das Kind zufällig im Innenhof, schäkert mit ihm, bietet kokett Zigaretten an, Sofia raucht gespielt mit, an einem Grashalm; „Ich find’ dich cool“, sagt sie. Bald aber findet vor allem Iva Hedi cool. Iva ist alleinerziehende Mutter, ein bisschen überfordert, ein bisschen verpeilt. Hedi ist das Gegenteil, trotz ihrer permanenten Übergriffe und der Lust am Spiel, die reine Verkörperung von Disziplin und Ordnung, selbst im vermeintlichen Kontrollverlust kontrollsüchtig. Als sie einmal sturzbesoffen eine Barbekanntschaft ins Bett schleppt, erteilt sie machohafte Befehle, kritisiert, bricht gelangweilt ab, schmeißt den Typen morgens harsch aus der Wohnung. Iva und Hedi werden Freundinnen und Geliebte. Hedi ist bald „Mama Hedi“, sie ekelt die Babysitterin hinaus, redet Iva Schuldgefühle ein, schiebt ihr das Stigma der schlechten Mutter zu, übernimmt das Kleinfamilien-Kommando. Als Ivas Vater auftritt, verlagert sich Hedis Interesse plötzlich ganz auf ihn, und die Geliebte wird zur Randfigur in einem immer unberechenbareren Plot. Borchu entwirft ein Szenario über drei Generationen, in dem die Rollen – auch die Geschlechterrollen – nie verlässlich sind, in dem alles jederzeit ein leichtes Spiel sein kann oder aber ein Sturz in den Abgrund. Bis auf Josef Bierbichler, der den „Großvater“ spielt, sind alle Darsteller Laien. Oft führt die Improvisation zu einer schönen Lebendigkeit, gerade in den Interaktionen mit dem Kind mischen sich dokumentarische Beobachtung und Spielerisches auf tolle Weise. Allerdings führt die Vagheit der Figuren – das betrifft sowohl Ivas Motive, aber mehr noch Hedis recht überstrapaziert inszenierte manipulative Talente, ihre Bösartigkeit – auch zu einer gewissen Willkür. Da wirkt das Unebene, Brüchige des Films weniger konzeptuell als unausgereift. So erscheint Hedis kultureller Hintergrund, den der Film mal mehr, mal weniger explizit ins Spiel bringt, bedeutungsstiftend – nur: für was genau? Ohnehin agieren die Figuren überwiegend in einem kontextfreien Raum; das gesellschaftliche Umfeld – etwa die Arbeitswelt – wird gänzlich ausblendet. Zwischen all dem findet Borchu aber immer wieder zu ungewöhnlichen, suchenden Momenten, etwa in der Intimität zwischen Hedi und Ivas Vater, die sich jenseits dessen abspielt, was im Kino üblicherweise unter Sex verstanden wird. Wenngleich manches forciert wirkt, ist Borchus Erzählhaltung doch auf eine souveräne Weise wertfrei – und bei aller Erregtheit auch wieder erstaunlich entspannt.
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