Drama | Australien 2017 | 113 Minuten

Regie: Warwick Thornton

Im Jahr 1929 tötet ein Aborigine in Notwehr den weißen Vergewaltiger seiner Frau. Die beiden australischen Ureinwohner fliehen ins Innenland des Northern Territory, werden aber schließlich von einem Soldatentrupp gestellt. Vor Gericht findet der vermeintliche Mörder in dem Richter jedoch ein unerwartet aufgeschlossenes Gegenüber. Intensive, aufwühlende Aufarbeitung der Vergehen der australischen Kolonialgeschichte in Form eines historischen Westerns. Der mit spektakulären Bildern aufwartende Film vermittelt mit großer Sensibilität die Leiden der bis in die 1930er-Jahre praktisch rechtlosen Ureinwohner und erweist ihnen auch in seiner an orale Traditionen angelehnten Erzählweise Respekt. - Sehenswert ab 16.
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Filmdaten

Originaltitel
SWEET COUNTRY
Produktionsland
Australien
Produktionsjahr
2017
Produktionsfirma
Bunya Prod./Sweet Country Films
Regie
Warwick Thornton
Buch
Steven McGregor · David Tranter
Kamera
Dylan River · Warwick Thornton
Schnitt
Nick Meyers
Darsteller
Sam Neill (Fred Smith) · Bryan Brown (Sgt. Fletcher) · Hamilton Morris (Sam Kelly) · Thomas M. Wright (Mick Kennedy) · Ewen Leslie (Harry March)
Länge
113 Minuten
Kinostart
27.09.2018
Fsk
ab 12; f
Pädagogische Empfehlung
- Sehenswert ab 16.
Genre
Drama | Historienfilm | Western
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Heimkino

Verleih DVD
absolut Medien
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Intensive, aufwühlende Aufarbeitung der Vergehen der australischen Kolonialgeschichte in Form eines historischen Westerns mit spektakulären Bildern und einer an indigene orale Traditionen angelehnten Erzählweise.

Diskussion

Landschaften. Überwältigende Landschaften. Nicht von Musik prächtig gepinselt, sondern aus sich heraus überwältigend riesig und traumhaft schön – rostrote Erde, soweit das Auge schauen kann. Vereinzelte Büsche, trockenes Gras. Staubige Steppe. Andernorts, in der Ferne, wo man später hingelangt: lockere Baumbestände, waldartige Hügelzüge, felsiger Boden. Eine Schlucht, ein Fluss, ein Wasserbecken, das zum Bad einlädt. Die narrative Wende und der geografische Richtungswechsel vollziehen sich in einer Salzwüste: Horizontloses Weiß.

Winzig darin: die Menschen. Ein Verfolgter und sein Häscher: der Aborigine Sam Kelly und Sergeant Fletcher, Nachkomme britischer Immigranten, die vielleicht sogar aus eigenem Antrieb auf die andere Seite der Erdkugel gezogen sind. Kelly, beeindruckend konzentriert und sehr ruhig gespielt von Hamilton Morris, ist im Outback zu Hause. Es ist sein Land, seit Urgedenken die Heimat seines Volkes. Er kennt sich aus, kann die Landschaft lesen, findet sich in ihr zurecht. Er ist Fletcher und dessen Meute, die ihn und seine schwangere Frau Lizzie auf Pferden verfolgen, seit Tagen immer ein Stück voraus, obwohl sie zu Fuß unterwegs sind. Kelly hat in Notwehr, um sich und Lizzie zu beschützen, einen Mann umgebracht: Harry March, einen Veteranen aus dem Ersten Weltkrieg, der gern zur Flasche, aber auch zum Gewehr griff. March war ein grobschlächtiger Kerl, brutal, jähzornig, vermutlich kriegstraumatisiert. Vor allem aber war er weiß. In einer schwer erträglichen Szene dieses Films ist March, nachdem er Kelly auf fern liegende Felder geschickt hat, zu Hause über Lizzie hergefallen.

Wohlbedacht schließt er davor die Fensterläden. Sein locker fallen gelassener Spruch, „I wanted the other one. But you’ll do“ – Lizzie hat ihre Nichte vorsorglich in die Stadt geschickt –, ist nicht nur sarkastisch, sondern verweist unvermittelt auf die letzte Einstellung in John Fords „Der schwarze Falke“ (fd 5299).

„Sweet Country“ erzählt eine lose auf wahren Begebenheiten beruhende Geschichte. Vor allem bereitet der in Alice Springs aufgewachsene Regisseur Warwick Thornton darin ein düsteres Kapitel der australischen Kolonialgeschichte in Gestalt eines Westerns auf: Bis in die 1930er-Jahre wurden die Aborigines von den Kolonialisten oft fast wie Sklaven behandelt und arbeiteten für keinen weiteren Lohn als Kost und Logis. Im Film schreibt man das Jahr 1929. Auch wenn das australische Northern Territory weitab vom Rest der Welt zu liegen scheint, so gelten hier offiziell die üblichen Rechte: Die Menschen sind nicht nur vor Gott alle gleich, sondern seit 1850 auch vor dem Gesetz. Doch noch gibt es in dem Kaff keine Kirche und kein Gericht. Es gibt auch noch kein fest installiertes Kino: Wenn zur allgemeinen Belustigung ein Film aufgeführt wird, hängt man ein Leintuch vor den Saloon und arrangiert Liegestühle auf den Dorfplatz. Es läuft dann ausgerechnet Charles Taits 1906 gedrehter „The Story of the Kelly Gang“ um den renitenten australischen Outlaw Ned Kelly, als Fletcher mit Sam und Lizzie in den kleinen Ort zurückkehrt.

In den nächsten Tagen sitzt ein aus der Stadt herbeizitierter Richter der Gerichtsverhandlung vor. Der passt mit seinen städtischen Manieren und Ansichten nicht wirklich zu den Hinterwäldlern. Fletcher versucht ihn schamlos zu beeinflussen. Doch der Richter ist ein Mann des Gesetzes, und obwohl Kelly wie Lizzie bei der Befragung kaum ein Wort zu entlocken ist, kommt er auf wundersame Weise der Wahrheit auf die Spur.

Thornton, der selber zeitweise die Kamera führt, erzählt in langen Takes und selbst in der heißesten Phase der Verfolgungsjagd geradezu bedächtig. So oft die Kamera die Weite der Totale sucht und die Menschen in der Landschaft verschwinden lässt, so oft rückt sie unverhofft nah an die Protagonisten heran. Die Story nimmt immer mal wieder eine verblüffende Wendung; traumhaft nehmen sich darin die erratisch eingestreute Vorwegnahmen und Rückblenden aus. Trotz seines dramatischen Inhalts und seiner unbeschönigten Gewaltszenen ist „Sweet Country“ bisweilen unverhofft komisch, auch findet der Film in der Darstellung der Beziehung von Kelly und Lizzie immer wieder zu Momenten stiller Zärtlichkeit.

Auch wenn es in „Sweet Country“ unzweifelhaft richtig und falsch, Täter und Opfer gibt – so malt Thornton doch nie nur schwarz und weiß, sondern in Facetten. Dabei gelingt es ihm allein schon dadurch, dass er ihre Geschichte erzählt, Australiens Ureinwohnern zumindest auf der Leinwand einen Teil ihrer Würde zurückzugeben. Selten wird im Kino die Schmach einer Vergewaltigten fast ganz ohne Wort so direkt und so körperlich fühlbar wie in „Sweet Country“. Und selten hat man nach einem korrekt gefällten Urteil so sehr das Gefühl, das nun erst recht alles schieflaufen wird.

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