The Whispering Star

Science-Fiction | Japan 2015 | 102 Minuten

Regie: Sion Sono

Irgendwann in der Zukunft: In einem Raumschiff reisen zwei Maschinenwesen – ein Cyborg in Gestalt einer Frau und der Bordcomputer – durch die Galaxis und landen auf fremden Planeten, um den wenigen überlebenden Menschen seltsame Pakete zu überbringen, Erinnerungen an eine verloren gehende menschliche Ziviliation. Ein in Schwarz-weiß-Bildern gehaltener meditativer Science-Fiction-Film, unter anderem gedreht auf dem durch die Nuklearkatastrophe in Japan 2011 verseuchten Gebiet. Eine poetisch-melancholische, bildgewaltige Weltraum-Odyssee mit kulturkritischen Untertönen, die nicht zuletzt eine Nostalgie der Gegenwart beschwört. - Sehenswert ab 16.
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Filmdaten

Originaltitel
HISO HISO BOSHI
Produktionsland
Japan
Produktionsjahr
2015
Produktionsfirma
Sion Prod.
Regie
Sion Sono
Buch
Sion Sono
Kamera
Hideo Yamamoto
Schnitt
Junichi Ito
Darsteller
Megumi Kagurazaka (Yoko) · Kenji Endo · Yûto Ikeda · Kôko Mori
Länge
102 Minuten
Kinostart
26.05.2016
Fsk
ab 0; f
Pädagogische Empfehlung
- Sehenswert ab 16.
Genre
Science-Fiction
Externe Links
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Lost in Space: Sion Sonos meditative Weltraumodyssee zweier Maschinenwesen

Diskussion
Schwarz-weiß-Bilder, vielleicht etwas zu prächtig und clean, ein altmodischer Herd und eine Metallspüle, ein Wasserkessel, der zu kochen anfängt, und Frauenhände, die Tee zubereiten. Ein Nachtfalter, gefangen von Neonlicht. Was beginnt wie ein Sozialdrama alter Schule, wandelt sich schnell in die Independent-Variation einer poetischen Androidengeschichte à la „Blade Runner“ (fd 23 689): „Hier ist der Computer 6-7 Mah M. Ich spreche mit dem Computer 3-2-3 San M.“ Eine Kinderstimme meldet sich aus dem Off, kündigt gelassen eine Kurskorrektur aufgrund Meteoritenschauers an. Auch wenn die Bilder, die zu sehen sind, und das Gesagte so gar nicht zusammenzupassen scheinen, ist der generelle Tonfall, die Atmosphäre des Films, von Anfang an das verbindende Element. Fast möchte man sie meditativ nennen. Sie ist still und ruhig, ungewohnt ruhig für jeden, der die Filme des Japaners Sion Sono kennt. Sion ist ein Vielfilmer, und jede seiner riskanten Arbeiten probiert etwa Neues: Allein im vergangenen Jahr entstanden nicht weniger als vier Spielfilme. Neben dem in Deutschland gestarteten HipHop-Musical „Tokyo Tribe“ (fd 43 195) noch der Gore-Thriller „Tag“ und das Yakuza-Melo „Shinjuku Swan“. „The Whispering Star“ ist unter diesen das vergleichsweise überraschendste Werk. Die Inszenierung ist minimalistisch, die Welt einmal mehr postapokalyptisch: Sion hat innerhalb der 2011 bei der Erdbebenkatastrophe von Fukushima und dem anschließenden Tsunami zerstörten nordöstlichen Sperrzone gedreht, in kaputten Häusern, verwüsteten Straßen. Dabei stellt er diesen Drehort nie aus, im Gegenteil sind die ruhige Kamera und die Entscheidung für Schwarz-Weiß (mit gelegentlichen kurzen Ausnahmen) eine Form der Distanzierung vom journalistischen Reportagestil und allem, was als Exploitation verstanden werden könnte. Den räumlichen Kontrast zu diesem Ort bildet ein Raumschiff, das eher aus den vergangenen Tagen sowjetischer Raumfahrt oder Tarkowskis „Solaris“ zu stammen scheint denn aus der Zukunft. Es ist leicht angerostet – dies ist ein Science-Fiction-Film, in dem die Zukunft analog und metallen ist, nahe an dem in Japan besonders beliebten „Steam Punk“-Stil. In dem Raumschiff lebt Yoko (gespielt von Megumi Kagurazaka), vermeintlich eine junge Frau in den Dreißigern, die sich bald als Cyborg herausstellt. Ihre Tätigkeiten sind konventionelle Hausarbeiten, wie Putzen, Waschen, Kochen. Doch wer zum Beispiel Chantal Akermans dreistündiges Meisterwerk „Jeanne Dielman, 23 quai du Commerce, 1080 Bruxelles“ noch nicht vergessen hat, der ahnt, was hier kommen könnte. Die Kinderstimme, die Yokos Tun im Flüstermodus kommentierend begleitet, gehört dem Bordcomputer, der wie eine japanische Version von Stanley Kubricks HAL die Niedlichkeit des Kindlichen mit der beängstigenden „no nonsense“-Attitüde einer Maschine verbindet, die diktatorisch ihr Programm exekutiert und noch nicht einmal den Begriff „Gefühl“ versteht. Der Plot von „The Whispering Star“ besteht aus der Reise des Raumschiffs durch die Galaxie mit dem sich wiederholenden Ritual der Landung auf irgendeinem Planeten. Hierauf folgen neben viel Science-Fiction-typischem Technik-Kauderwelsch Betrachtungen der beiden Maschinen über die Menschheit als „aussterbende Art“. Diese bewegen sich ganz innerhalb der Diskurs-Stereotypen einer sehr gegenwärtigen Öko-Moral: Man hat schon zu oft in Filmen wie diesen und anderenorts Klageliedern über Materialismus und menschliche Unvollkommenheit beigewohnt und vernommen, dass die Erde dem Untergang geweiht sei und die Menschheit daran Schuld trüge, als dass Derartiges einen noch rühren könnte und einen nicht den Verdacht beschliche, hier würden nur andere, gegenüber früherem Zukunftsoptimismus neuere Konventionen eines kulturpessimistischen Zeitgeists und Flirts mit dem Untergang bedient. So ist diese meditative Weltraum-Odyssee ein Film, der manche Fans von Sions Werk irritieren dürfte. Der Reiz des Films liegt in seinen mitunter prachtvollen Bildern, in der Nostalgie für die Gegenwart, die sich immer wieder in jenen Artefakten zeigt, die den Untergang bislang überstanden haben. Und der Gelassenheit, mit der er der Natur von Erinnerung nachspürt.
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