Drama | Großbritannien/Rumänien/Frankreich/USA 2013 | 107 Minuten

Regie: Terry Gilliam

In einer lauten, bunten und chaotischen Zukunftsstadt versucht ein geplagter Mann, der einsiedlerisch in einer alten Kirche wohnt, im Auftrag eines Konzerns das so genannte Zero Theorem zu beweisen. Sein eigentlicher Herzenswunsch ist es allerdings, einen Anruf zu bekommen, der ihm den Sinn seines Lebens offenbart. Als kritischer Zukunftsentwurf und philosophische Reflexion mangelt es dem Szenario etwas an Biss, nichtsdestotrotz gelingen dem vor schrulligen Ausstattungsdetails, kuriosen Charakteren und Anspielungen nur so überbordenden Film immer wieder ausdrucksstarke Bilder und berührende Szenen. - Ab 14.
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Filmdaten

Originaltitel
THE ZERO THEOREM | ZERO THEOREM
Produktionsland
Großbritannien/Rumänien/Frankreich/USA
Produktionsjahr
2013
Produktionsfirma
Voltage Pic./Zanuck Independent
Regie
Terry Gilliam
Buch
Pat Rushin
Kamera
Nicola Pecorini
Musik
George Fenton
Schnitt
Mick Audsley
Darsteller
Christoph Waltz (Qohen Leth) · David Thewlis (Joby) · Mélanie Thierry (Bainsley) · Lucas Hedges (Bob) · Matt Damon (Management)
Länge
107 Minuten
Kinostart
27.11.2014
Fsk
ab 12; f
Pädagogische Empfehlung
- Ab 14.
Genre
Drama | Science-Fiction
Externe Links
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Diskussion
Qohen Leth von der „ontologischen Forschungsabteilung“ wartet auf einen Anruf. Auf den Anruf schlechthin: auf eine Stimme, die ihm offenbart, was der Sinn seines Lebens ist. Diesen Anruf zu verpassen, ist Qohens größte Sorge. Sie ist der Hauptgrund, warum er nicht mehr zur Arbeit gehen will. Zuhause, in seiner schäbigen, umfunktionierten Kirche wäre er nicht nur vor dem Höllenlärm und dem Menschen- und Bildergewimmel geschützt, die ihn in den Straßen und an seinem Arbeitsplatz plagen, er hätte überdies auch das Telefon stets in Reichweite. Qohens Arbeitgeber, ein Großkonzern namens „ManCom“, gewährt ihm einen Heimarbeitsplatz, allerdings nur in Kombination mit einem besonders komplexen Auftrag: In der Abgeschiedenheit seiner Kirche soll der scheue, aber leistungsfähige Formelkünstler das sogenannte „Zero Theorem“ beweisen. Was sich als geradezu zynische Aufgabe entpuppt – besagt das Theorem doch nichts anderes, als dass alles – der Mensch, die Welt, das All – auf nichts hinausläuft: 0 = 0. Terry Gilliam wandelt in seinem neuen Film auf vertrautem Terrain. Einmal mehr reibt er sich an der menschlichen Natur, die es nicht lassen kann, sich nach dem Transzendenten und Sinnstiftenden zu verzehren, und die doch auf den irdisch-vergänglichen Schlamassel zurückgeworfen sieht. Sein legendäres Don Quijote-Projekt hat Gilliam zwar immer noch nicht verwirklicht; in Qohen Leth, den Christoph Waltz als kahlköpfigen, mönchischen Sonderling spielt, hat der „Ritter von der traurigen Gestalt“ jedoch einen verhinderten Bruder. Auch Qohen kommt mit seiner schnöden Wirklichkeit nicht klar und sehnt sich danach, dass sich sein Dasein mit glanzvoller Bedeutung fülle. Nur fehlt ihm Quijotes Fähigkeit, sich mittels seiner Fantasie diese Bedeutung einfach selbst zu verleihen. Dazu ist Qohen zu skeptisch; selbst als sich mit der Cyber-Hure Bainsley eine schöne Dulcinea in sein Leben drängt, die ihm eine (wenn auch vielleicht nur illusorische) Erfüllung im Liebesglück in Aussicht stellt. Gilliam lässt diesen Sinn-Sehnsüchtigen und die heruntergekommenen Überbleibsel christlicher Ikonografie – Heiligenbilder, Fresken, Statuen –, in deren Mitte Qohen Leth wohnt, mit einer dystopischen Zukunftswelt kollidieren, wie er sie auch schon in „Brazil“ (fd 25 074) oder „12 Monkeys“ (fd 31 828) gezeichnet hat. In „The Zero Theorem“ gestaltet er diese einmal mehr mit überwältigender visueller Kreativität; allerdings fehlt ihr der richtige Biss und eine eindeutige Stoßrichtung. Durch die verspielten, drolligen Oberflächenreize der omnipräsenten Bildschirme dringt der Schrecken, den diese Lebenswelt für Qohen bedeutet, nicht wirklich zum Zuschauer durch. Was auch daran liegt, dass Qohen Leth ebenfalls allzu drollig und wunderlich bleibt, als dass einem die Tragik der Figur unter die Haut gehen könnte. Ähnliches gilt für die Darstellung des Konzerns „ManCom“, der sich gewissermaßen anmaßt, als Konsumgut-Heilsbringer und Ordnungssystem an die Stelle des alten christlichen Sinnsystems zu treten – mit dem „Management“ in Form von Matt Damon als Gottvater, einem renitenten Teenager-Computergenie als Sohn und einem virtuellen Psychiater und mentalen Coach in Gestalt von Tilda Swinton als Heiligem Geist. So richtig bedrohlich-beunruhigend wie etwa das Überwachungsstaats-Szenario aus „Brazil“ will das in seiner Skurrilität aber nicht geraten. Nichtsdestotrotz ist „The Zero Theorem“ ein sehenswerter und höchst unterhaltsamer Film. Denn auch wenn der große Entwurf emotional nicht wirklich mitreißt, tun dieses doch die vielen wahnwitzigen Details: etwa versponnen-komische Dialogduelle zwischen dem schrulligen Qohen und all den „Unterstützern“, die ihn nicht in Ruhe lassen wollen, oder die anspielungsreichen Ausstattungsdetails, an denen man sich nicht satt sehen kann. Außerdem gelingen Gilliam immer wieder erstaunliche, oft witzig-ironische, bisweilen auch poetische Szenen, die die „Warten auf Godot“-Befindlichkeit der Hauptfigur aus unterschiedlichen Perspektiven kommentieren. In den schönsten Szenen tritt die Schrille des Sci-Fi-Settings zugunsten ganz normaler menschlicher Misere weitgehend in den Hintergrund: etwa wenn Qohen Leth neben dem Teenager-Sohn des Managements auf einer Bank sitzt und sich fragen lassen muss, warum das Erwachsenenleben so eintönig und deprimierend ist, oder wenn er mit Bainsley den künstlichen Sonnenuntergang eines virtuellen Inselparadieses genießt und kurz davor ist, den Sinn seines Daseins und das Zero Theorem zu vergessen und einfach nur glücklich zu sein.
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