Komödie | Deutschland 2014 | 93 Minuten

Regie: Jan Schomburg

Eine Frau verliert als Folge einer Gehirnentzündung ihr biografisches Gedächtnis und mutiert ins Stadium eines unzivilisierten Naturkindes, das mit anarchischer Lust seine Umwelt provoziert. Auf der Suche nach ihrem alten Leben entdeckt sie die erfrischende Autonomie ihres Persönlichkeitswechsels, der auf herrschende Gepflogenheiten keine Rücksicht zu nehmen braucht. Eine intellektuelle Komödie, die schnell ermüdet, weil die Gedächtnislücken der einst überkontrollierten Perfektionistin, nun hilflos sich selbst mimenden Frau lediglich additiv abgehandelt werden, ohne dass der sich hinschleppende Heilungsprozess eine Richtung bekäme. Die "entfesselte" Figur bleibt trotz der enthemmt aufspielenden Hauptdarstellerin fremd und berührt erst ganz am Ende. - Ab 16.
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Filmdaten

Produktionsland
Deutschland
Produktionsjahr
2014
Produktionsfirma
Pandora/WDR
Regie
Jan Schomburg
Buch
Jan Schomburg
Kamera
Marc Comes
Musik
Tobias Wagner · Steven Schwalbe · Chris Bremus
Schnitt
Bernd Euscher
Darsteller
Maria Schrader (Lena Ferben) · Johannes Krisch (Tore Ferben) · Ronald Zehrfeld (Roman) · Sandra Hüller (Frauke) · Paul Herwig (Andreas)
Länge
93 Minuten
Kinostart
01.05.2014
Fsk
ab 12; f
Pädagogische Empfehlung
- Ab 16.
Genre
Komödie
Externe Links
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Diskussion
Um eine Intellektuelle mit Identitätsstörung geht es im zweiten Film von Jan Schomburg, dessen Debüt „Über uns das All“ (fd 40 647) eine erstaunliche Reife aufwies und das gleiche Thema spiegelverkehrt abhandelte. In „Über uns das All“ wurde Sandra Hüller nach dem Selbstmord ihres Lebenspartners mit dem Umstand konfrontiert, dass er ihr über Jahre eine erfundene Biografie vorgespielt hatte. Anstatt zu kollabieren, ignorierte sie jedoch diese Enthüllung und besorgte sich einen neuen Mann, der den vakanten Platz in einer identischen Konstellation einnehmen soll. In „Vergiss mein ich“ nun steht erneut eine eigenwillige Frau im Mittelpunkt; nur ist die Handlung diesmal dermaßen redundant, dass man ihr kaum folgen möchte. Eine unmotiviert häufig halbnackt fotografierte Maria Schrader im chronischen Stadium massiven Overactings irrt vor der signalträchtig verschwommenen Kamera orientierungslos auf einer Party herum und weiß partout nicht mehr, wie sie dort hingekommen ist. Im Krankenhaus stellt sich heraus, dass sie an den neurologischen Folgen einer Gehirnentzündung leidet und vielleicht nie wieder das Bewusstsein ihres bisherigen Selbsts erlangt. Während ihr fürsorglicher Ehemann versucht, die Fremde an seiner Seite in Situationen zurückzuversetzen, die sie gemeinsam erlebt haben, mutiert sie allmählich in das Stadium eines unzivilisierten Naturkindes, das mit seinen abweichenden Blickwinkeln das Umfeld provoziert. Auf der Suche nach ihrer Biografie studiert sie sich durch Kleiderschränke und Fotoalben, schaut sich ihre Universitätsvorträge über „Identitätskonstrukte und performative Genderfragen“ an und imitiert im Spiegel verloren gegangene Gesten. Arglos liest sie aus ihrem Tagebuch vor, was bei manchem Abendessen mit Freunden zur Bekanntmachung geheimer Affären führt. Seitensprüngen mit Fremden ist sie im Gegensatz zu früher nicht mehr abgeneigt. Auch diverse Sex-Praktiken und das erigierte Geschlecht von Roland Zehrfeld erkundet sie mit infantiler Neugierde. Den Verlauf des Beischlafs schildert sie später stolz ihrem entsetzten Ehemann. Was als Situationskomik und amüsantes Durcheinander gedacht ist, ermüdet durch immer gleiche Szenen, in denen die Gedächtnislücken einer einst überkontrollierten Perfektionistin und nun hilflos sich selbst mimenden Frau additiv abgehandelt werden, ohne dass der sich hinschleppende Heilungsprozess eine Richtung bekäme – bis auf den klischeehaften Umstand, dass das neue Ich anarchische Züge trägt und aus Unwissenheit über die herrschenden Regeln schon mal mit einem angemalten Schnäuzer spazieren geht, eine unbekannte Seniorin für die eigene Mutter hält oder Passanten Wahrheiten ins Gesicht sagt, die Reaktionen der Empörung hervorrufen. Wie produktiv kann doch die Freiheit sein, festgefahrene Rollenbilden abzulegen, tönt der Film penetrant. Schade ist, dass sich die Freude an der vermeintlich erfrischenden Autonomie eines Persönlichkeitswechsels nicht einstellen mag. Maria Schraders verordnet entfesselte Figur bleibt fremd, nicht nur ihrem Ehemann. Erst ganz zum Schluss schafft es die Inszenierung, Spannung herzustellen, als die beiden Egos wieder eine Einheit zu bilden scheinen, der Mann aber die Trennung wünscht. Endlich läuft die dekonstruierte Maria Schrader zur Hochform auf. Ihr in einer langen Fahrt vibrierender Blick ist selbstbewusst und verloren zugleich. Er berührt und lässt nicht los. Abgeklärt flüstert sie dem Flüchtigen ins Ohr: „Eine Lücke gibt es immer.“ Leider zieht sie sich dann wieder aus. Was die beiden noch zusammenhält, ist der Sex. Die Beziehung ist gerettet. Ein ebenso banales wie ewig wahres Finale.
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