Dokumentarfilm | Deutschland/USA 2017 | 87 Minuten

Regie: Till Schauder

Dokumentarfilm über den iranischen Sänger Shahin Najafi, über den 2012 eine Todes-Fatwa verhängt wurde, nachdem er einen satirischen Rap-Song über einen von den Schiiten verehrten Imam veröffentlichte. Er folgt dem in Köln lebenden Musiker auf Schritt und Tritt, dokumentiert Auftritte und öffentliche Auseinandersetzungen, zeigt aber auch die Angst und die Zweifel hinter diesem Kampf. Das Porträt eines mutigen Künstlers, der sich gegen die radikalen Hetzer und Dogmatiker wehrt, fängt darüber hinaus auch die sich wandelnde Stimmung in Deutschland ein, die sich in den letzten Jahren Ausländern gegenüber deutlich verschlechtert hat. - Sehenswert ab 14.
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Filmdaten

Originaltitel
WHEN GOD SLEEPS
Produktionsland
Deutschland/USA
Produktionsjahr
2017
Produktionsfirma
Parter Pic./Till Schauder Filmprod./ITVS/WDR
Regie
Till Schauder
Buch
Till Schauder
Kamera
Till Schauder · Gerardo Milsztein
Musik
Max Avery Lichtenstein
Schnitt
Tina Grapenthin
Länge
87 Minuten
Kinostart
12.10.2017
Fsk
ab 12; f
Pädagogische Empfehlung
- Sehenswert ab 14.
Genre
Dokumentarfilm
Externe Links
IMDb | TMDB | JustWatch

Bewegendes Porträt des iranischen Sängers Shahin Najafi, der nach einer Todes-Fatwa in Köln im Exil lebt, aber gegen die Fundamentalisten weiter ansingt.

Diskussion
Ein Leben mit der Angst, auch vor der eigenen Courage. Im Jahr 2012 wurde der iranische Sänger Shahin Najafi mit einer Todes-Fatwa belegt, nachdem er einen satirischen Rap-Song über einen von den Schiiten verehrten Imam veröffentlicht hatte. Seitdem ist der „Rushdie des Rap“ ständig auf der Flucht, macht aber weiter Musik: Rock, Pop und Hip Hop, der die Hoffnungen iranischer Jugendlicher auf mehr Freiheit zum Ausdruck bringt. Najafi lebt in Köln. Eine Zeit lang versteckte er sich bei dem Journalisten Günter Wallraff. Der empfahl ihm, ständig sein Äußeres zu ändern, damit er von den radikalislamischen Häschern nicht erkannt werde: „Ich habe eine gute Maskenbildnerin.“ „Wenn Gott schläft“ folgt dem Musiker auf Schritt und Tritt, dokumentiert Diskussionen, Mut und Ängste nach der Fatwa. Najafi will weitermachen, er ist zum Idol geworden, für jenen Teil der iranischen Jugend, die in der muslimischen Welt frei leben möchte. Seine Songs sind eingängig und hart zugleich; manchmal integriert Najafi Rap, Jazz, Blues und Versatzstücke traditioneller Musik. Texte und Videoclips sind frech, kontrovers, sie singen gegen Homophobie und Frauenfeindlichkeit an, fordern „Satiriker statt Propheten“. Stücke wie „Bega Mega“ oder „Mammad Nobari“ sichern ihm Hunderttausende von Followern. Dem Druck nachgeben hieße, seine Anhänger und ihre Zukunft zu verraten. Die Gegner erhöhten derweil das Kopfgeld von 100.000 auf 500.000 Dollar. Ein Internet-Steckbrief droht: „Wir werden dich finden und zerhacken.“ Erinnerungen an den iranischen Popsänger Fereydoun Farrochsad werden wach, der 1992 im Bonner Exil mit 21 Messerstichen ermordet wurde. Najafi ist ein Mann der Tat, bei dem es auch mal vulgär und direkt zugeht: „Ich beschwöre Liebe, Viagra und gespreitzte Beine.“ Seine Angst versucht er mit Trotz zu besiegen. Damit stößt er auch bei seinen Weggefährten nicht nur auf Zustimmung. „Entweder bist du ein Narr oder selber ein Tyrann“, kommentiert sein langjähriger Co-Komponist Majid Kazemi die Konsequenz, mit der Najfi die offensichtliche Bedrohung ignoriert und seine Band zum Weitermachen auffordert. Als seine Musiker kurz vor einem Konzert aussteigen, schimpft er über die „Weicheier“: „Du musst zeigen, dass dir alles egal ist.“ Das Konzert beginnt er dann mit den Worten: „Entweder hier geht eine Bombe hoch, oder ihr werdet den Saal explodieren lassen.“ Der Dokumentarfilm von Tim Schauder porträtiert nicht nur einen mutigen Musiker, der sich gegen die von radikalen Hetzern und Dogmatikern inszenierte Pogromstimmung stemmt. Er zeigt auch die Angst hinter diesem Kampf, die Zweifel, die gebrochenen Lebensläufe seiner Protagonisten. Najafis Freundin Leili ist die Enkelin des ersten iranischen Premierministers unter Ayatollah Khomeini. Najafi selbst wollte zunächst Mullah werden, ging jeden Tag in die Moschee. Er glaubt auch heute noch an Gott: „Für mich existiert Gott, aber er schläft.“ Nebenbei fängt der Film auch die sich ändernde Stimmung gegenüber Migranten aus dem Nahen Osten ein. 2005 kam Najafi nach Deutschland. Seitdem haben der islamistische Terror und die Erfolge der AfD das gesellschaftliche Klima in Deutschland nachhaltig verändert. Er fühlt sich nicht nur von denen beobachtet, die ihm nach dem Leben trachten. „Obwohl ich kein Sunnit bin, bin ich doch Ausländer“, fasst er resigniert seine Erfahrungen zusammen; trotz seiner offensichtlichen Nähe zu den „westlichen Werten“ wird es nie möglich sein, in diesem Land anzukommen. „Wenn Gott schläft“ ist ein tiefschürfendes Porträt über einen unkonventionellen Musiker, der mit seinem Mut und seiner Angst, seinem Widerstandsgeist und seinem Starrsinn zwischen die Fronten geraten ist, auf seine Weise aber dennoch in sich ruht.
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