Passionen: Showgirls

Michael Ranze wundert sich, warum Paul Verhoevens bittere Showbiz-Groteske noch immer als einer der schlechtesten Filme aller Zeiten gilt. Und setzt mit Busby Berkeley, Bette Davis und Jacques Rivette zu einer fulminanten Verteidigung an

Veröffentlicht am
01. Mai 2021
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Manchmal ist man als Filmjournalist echt ratlos. Man soll etwas erläutern, was nicht zu erläutern ist. Erklärungsnot heißt das schöne deutsche Wort, das den Mangel an Sinnhaftigkeit eines Phänomens lakonisch beschreibt. Im Fall von Paul Verhoevens „Showgirls“ geht es jedoch nicht darum, dass man über diesen Film unterschiedlicher Meinung sein kann. Sondern um die kollektive Hysterie, die den Film in Bausch und Bogen verdammte. Als „Showgirls“ um den Jahreswechsel 1995/96 in die Kinos kam, hagelte es weltweit schlechte Kritiken. Auch 20 Jahre später stempeln die einschlägigen Lexika (Maltin’s, Videohound, Mick Martin & Marsha Porter) „Showgirls“ nur mit Bomben, Woofs und Turkeys ab. Eine Neubewertung findet nicht statt.

Für die vielen schlechten Kritiken in Amerika, aber auch in Mitteleuropa, ist hier nicht der Platz, auch nicht für die „Goldenen Himbeeren“ des Jahres 1995, zumal sich bei negativen Auszeichnungen eine spezielle Dynamik entwickelt. Die Hauptdarstellerin Elizabeth Berkley, damals 23 Jahre alt, ist nicht nur eine atemberaubende Tänzerin. Sie verkörpert perfekt den übertriebenen Ehrgeiz, die schlechte Laune, wenn etwas nicht gelingen will, die Zickigkeit, wenn ihr jemand widerspricht. Der Filmkritiker Hans Schifferle hat das seinerzeit treffend auf den Punkt gebracht: „Ein Moment der Authentizität, der Unschuld beinahe hat Verhoeven dann doch noch etabliert, was einem im Nachhinein erst klar wird: Es ist die Besetzung der Hauptrolle mit der unbekannten Elizabeth Berkley (…) ,Showgirls’ hätte der Durchbruch für Elizabeth Berkley sein sollen, wie es ,Pretty Woman’ für Julia Roberts war. Die Gleichung – fiktives Vegas und wirkliches Hollywood – wäre aufgegangen. Doch Berkley wurde vom amerikanischen Publikum nicht akzeptiert. (…). Die einzig Wahre in ,Showgirls‘ wurde nicht anerkannt, eine bittere Ironie, auf die es Verhoeven scheinbar von Anfang an abgesehen hat. Das Bild, wie sie in ihrer Lederjacke und den zerschlissenen Jeans an einer Tankstelle steht, um ein Auto zu stoppen, das sie nach Vegas mitnimmt, ist realistisch und poetisch zugleich. Die Wahrheit der Lüge liegt darin, bevor alles beginnt.“ Soviel zum Thema „Goldene Himbeeren“ für Schauspieler.

Verhoeven und der Drehbuchautor Joe Eszterhas erzählen die Geschichte der schwer gebeutelten Nomi (Berkley), die sich in Las Vegas die Kleider vom Leib reißt, um die Erfolgsleiter hochzuklettern. Sex und Karriere, Hand in Hand.

Nur wenige Kritiker haben sich die Mühe gemacht, auf Verhoevens Vorbilder hinzuweisen, etwa die Backstage-Musicals eines Busby Berkeley, in denen es immer auch um Karriere und die Chance des Moments geht. Oder auf Joseph L. Mankiewicz’ „All About Eve“ (1950). Bette Davis spielt darin eine Diva, die von einer ehrgeizigen Elevin (Anne Baxter) vom Schauspiel-Thron gestoßen wird, wobei die eine stillschweigende Mitwisserin für ihre Hinterhältigkeit hat, genauso wie Nomi in „Showgirls“.

Kaum einer hat damals den Film auf seine Bedeutung hin abgeklopft. „Showgirls“ ist ein Film über Körper, makellose, saubere, durchtrainierte, perfekte Körper. Der Körper kann hier durchaus auch zur Waffe werden, wie der Schluss offenbart. Die Geschlechtlichkeit des Körpers ist entwertet: Beim Lapdance ist Anfassen verboten. Sex ohne Berührung – ein Widerspruch in sich.

„Showgirls“ ist zudem ein Film über Las Vegas, ganz anders als Martin Scorseses „Casino“ (1995), in dem es nur ums Geld geht, oder Mike Figgis’ „Leaving Las Vegas“ (1995), der seine Intention, nämlich die Flucht, bereits im Titel trägt. „Showgirls“ hingegen spielt mit dem Versprechen, dass es in Las Vegas jeder schaffen kann. Oder dass die Stadt zumindest eine Zwischenstation auf dem Weg zu noch Größerem ist. Das letzte Autobahnschild im Film weist den Weg: Hollywood.

Immer wieder liegen Dinge am Wegesrand, die staunen machen. Denn Verhoeven hat seine eigenen Vorstellungen von Hollywood. Man schaue sich nur die Villa des von Kyle MacLachlan gespielten Nachtclub-Besitzers an, die an Kitsch und Pomp kaum zu überbieten ist und gezielt in die Nähe von Trash gerückt wird. MacLachlan sieht mit seinem Popper-Haarschnitt „aus wie ein Cyborg“ (Hans Schifferle). Beim ekstatisch-zitternden Sex zwischen Berkley und MacLachlan in einem traumhaften Swimmingpool spritzen die Wasserfontänen (und der Champagner) nur so in die Höhe. So viel Plattheit verlangt Mut. Und dann ist da noch Gina Gershon in der analogen Rolle von Bette Davis, die sichtlich Spaß daran hat, so zu reden, wie Eszterhas, dieser verklemmte Oberschüler, sich das vorstellt, wenn Frauen Männer um den Verstand bringen wollen.„Tell me”, flüstert sie verführerisch zu Nomi, „How do you like your breasts?”Dieses Gerede über Brüste besitzt trotz seiner Albernheit fast schon Shakespeare’sche Qualitäten, weil es hier um etwas ganz anderes geht: um Neid, Konkurrenz, Eitelkeit und Begehren.

Der glühendste Anwalt von „Showgirls“ ist im Übrigen Jacques Rivette, nachzulesen in seinen „Betrachtungen eines passionierten Kinogängers“. Eigentlich hatte er über einen anderen Verhoeven-Film schreiben wollen, nämlich „Starship Troopers“. Doch dann wechselt er begeistert und urplötzlich das Thema: „,Showgirls‘ ist einer der bedeutendsten amerikanischen Filme der letzten Jahre, auf jeden Fall ist er der beste amerikanische Film von Paul Verhoeven und sein persönlichster. (…) ,Showgirls‘ erinnert auch am meisten an seine holländischen Filme: Er ist von großer Ernsthaftigkeit und hat ein Drehbuch, das ohne Tricks auskommt und ganz offensichtlich von Verhoeven selbst kommt und nicht von Herrn Eszterhas, der eine Niete ist. Die Schauspielerin ist umwerfend! Aber natürlich gibt es sehr viel Unangenehmes, wie in allen Filmen von Verhoeven: Es geht darum, in einer Welt zu überleben, die voller Dreckskerle ist. Das ist, kurz gesagt, die dem Film zugrunde liegende Philosophie.“ Denn auch das ist in dem Film enthalten: die Solidarität unter den Frauen, die sich mit allen Mitteln gegen die Männer wehren – und sich dabei selbst treu bleiben.

Das letzte Wort soll allerdings Bette Davis vorbehalten sein, die in „All About Eve“ vor einer Kneipentour mit ihrer Clique rät, was ganz bestimmt auf „Showgirls“ übertragbar ist: „Fasten your seatbelts, it’s going to be a bumpy night!“

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