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Beethoven gegen Hitler

„Memory of a Hero“: Ein Beethoven-Filmprojekt deutscher Exilanten gegen Hitler in Hollywood 1936-1940

Veröffentlicht am
24. März 2020
Diskussion

Nicht erst im Beethoven-Jahr 2020 findet der deutsche Komponist großen Widerhall in anderen Künsten. So verfasste der Schauspieler Fritz Kortner 1937/38 nach seiner Emigration aus Nazi-Deutschland für das Studio Warner Bros. den Entwurf zu einer Filmbiografie über Ludwig van Beethoven. Darin sollte der Komponist als Gegenfigur zur Barbarei Napoleons erscheinen, eine Setzung mit unmissverständlichen Verweisen auf die Bedrohung des Weltfriedens durch Adolf Hitler. Eine Erinnerung an ein faszinierendes Projekt.


Beethovens Musik wurde im „Dritten Reich“ vielfach missbraucht und bei vielen Staats- und Festakten zur Verherrlichung der völkischen Gemeinschaft gespielt. Diesem Missbrauch traten zahlreiche exilierte Künstler entschieden entgegen, die in Beethovens Musik stets auch ein politisches Vermächtnis sahen, ein Synonym für Freiheit und Kampf gegen jede Diktatur, und die deshalb seine Werke im Exil ganz bewusst gepflegt haben. Das gilt besonders für Arturo Toscanini, der sich früh eindeutig gegen den italienischen Faschismus und den deutschen Nationalsozialismus wandte und in die USA auswanderte. Schon 1937 hat er dort mit dem für ihn gegründeten NBC Symphony Orchestra erstmals eine Gesamtaufnahme aller neun Sinfonien Beethovens eingespielt.

Toscaninis künstlerisches und antifaschistisches Engagement sowie seine große Popularität in den USA durch seine Rundfunkkonzerte sollten auch einem Film über Beethoven zum Erfolg verhelfen, dessen Story der aus Nazi-Deutschland vertriebene Schauspieler und Autor Fritz Kortner für das Studio Warner Bros. geschrieben hatte. Im Mittelpunkt seines Treatments „Memory of a Hero“ steht Beethovens entschiedene Gegnerschaft gegen Napoleon, dessen Unterdrückung der Völker Europas Kortner mit deutlichen Parallelen auf die NS-Diktatur und ihre verbrecherischen Ziele versah.

Fritz Kortner hatte Beethoven selbst zweimal im Stummfilm gespielt, hier in "Beethoven" (1927) © Foerderverein-Filmkultur-Bonn-e.V.
Fritz Kortner hatte Beethoven selbst zweimal im Stummfilm gespielt, hier in "Beethoven" (1927) © Foerderverein-Filmkultur-Bonn-e.V.

Nach Pasteur und Zola eine weitere Filmbiographie

Das Projekt einer Filmbiografie Beethovens war die Idee des Regisseurs William (eigentlich Wilhelm) Dieterle, der 1930 von Warner Bros. nach Hollywood verpflichtet worden war und der sich mit seinen erfolgreichen Filmbiografien The Story of Louis Pasteur (1936) und The Life of Emile Zola (1937), beide mit dem aus Österreich stammenden Schauspieler Paul Muni in der Titelrolle, zum Status eines A-Regisseurs hochgearbeitet hatte. Für Dieterle war Beethoven der größte deutsche Komponist, und schon 1936 plante er die Filmbiographie gemeinsam mit dem 1923 in die USA ausgewanderten Produzenten Henry Blanke (eigentlich Heinz Blanke). Dieterle schrieb zunächst allein, dann gemeinsam mit dem emigrierten Schriftsteller Ulrich Steindorff mehrere Entwürfe. In diesen ersten Fassungen stehen im Mittelpunkt Beethovens kompositorisches Schaffen, seine persönliche Entwicklung, seine Beziehung zu Frauen, seine Taubheit und seine zunehmende Einsamkeit, aber auch schon seine Gegnerschaft zu Napoleon, den er nach seiner Kaiserkrönung als „Tyrannen“ betrachtete. Das Projekt lag jedoch auf Eis, weil die Studioleitung von Warner Bros. skeptisch war und auch Paul Muni, der Beethoven spielen sollte und der ein Mitspracherecht bei den Drehbüchern hatte, mit den Entwürfen unzufrieden war.


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Bei einem Aufenthalt in New York im Herbst 1937 lernte Muni dann den erst kürzlich in die USA emigrierten Fritz Kortner kennen, der seinerseits von Munis Darstellung des Zola sehr beeindruckt war. Auf Anregung Munis schrieb Kortner, der sich in den USA auch als Filmautor betätigen wollte, zunächst gemeinsam mit dem emigrierten Schriftsteller Bruno Frank ein Treatment für eine Filmbiografie über den tschechischen Staatsgründer und späteren Präsidenten Tomáš Masaryk, den Muni gerne spielen wollte. Aber obwohl Muni selbst die Filmstory bei Warner Bros. zur Annahme vorschlug, war dem Studio dieser politische Stoff mit seiner eindeutig antifaschistischen Tendenz zu riskant und es lehnte einen Kauf ab. Deshalb veranlasste Muni Kortner den Beethoven-Stoff zu bearbeiten, denn Kortner war mit Beethovens Leben durchaus vertraut, er hatte selber den Komponisten mit großem Erfolg in zwei Stummfilmbiografien verkörpert, 1917 inDer Märtyrer seines Herzens und zehn Jahre später im 100. Todesjahr 1927 in „Beethoven“ (auch „Das Leben des Beethoven“ oder „Der große Einsame“).

Der avisierte Beethoven-Darsteller Paul Muni (r., mit Donald Woods) hatte zuvor u.a. Louis Pasteur gespielt. © Warner Bros.
Der avisierte Beethoven-Darsteller Paul Muni (r., mit Donald Woods) hatte zuvor u.a. Louis Pasteur gespielt. © Warner Bros.

Kortners Treatment

Im Frühjahr 1938 schrieb Kortner das 45-seitige und in englischer Sprache verfasste Treatment „Memory of a Hero“, das er im Juni 1938 für die stattliche Summe von 10.000$ an das Warner Bros. Studio verkaufte, das Kortner auch vertraglich einen „screen credit“ für die Story garantierte. Zwar engagierte das Studio nicht ihn für die weitere Mitarbeit am Drehbuch, sondern die amerikanischen Autoren Abem Finkel und Norman Reilly Raine, die sich jedoch eng an Kortners Skript hielten und vor allem dessen aktuellen Bezug und Tendenz beibehielten, die auch Dieterle und Blanke wichtig war, denn sie wollten mit der Beethoven-Filmbiografie in historischer Verkleidung Nazi-Deutschland anklagen und die Welt vor der aggressiven Expansionspolitik Hitlers und der drohenden Kriegsgefahr warnen.

Im Gegensatz zu den bereits vorliegenden Beethoven-Drehbüchern, vermied Kortner deshalb eine konventionelle biographische Erzählung und stellte Beethovens Haltung gegenüber der Diktatur Napoleons und die politische Botschaft seiner Musik in den Mittelpunkt, wobei er sich auch einige Freiheiten mit der Biografie erlaubte.

Sein bemerkenswertes Exposé beginnt in Wien um 1800, zu einem Zeitpunkt, als Beethoven schon Berühmtheit erlangt hatte. Nach einem Konzert diskutiert Beethoven mit Kaiser Franz Joseph über Napoleon und ergreift dabei vehement die Partei Frankreichs, obwohl sein Gönner Graf Lichnowksy ihm rät: „And suppress your admiration for the French Revolution.“ Beethoven tut jedoch nichts dergleichen, vielmehr vollendet er 1803 die „Eroica“, in der er die Errungenschaften der Französischen Revolution – Freiheit, Gleichheit, Brüderlichkeit – musikalisch feiert, und widmet sie ausdrücklich dem damaligen Konsul Napoleon, den er als Vollstrecker und Vollender der Revolution sieht. Als Napoleon sich jedoch 1804 zum Kaiser krönt, wendet sich der enttäuschte Beethoven gegen ihn, den er nun als Verräter an den Zielen der Revolution und als Tyrannen sieht, der andere Völker unterdrücken will, und streicht die Widmung auf der Titelseite der Sinfonie radikal durch.

Einer der großen Erfolge von Warners Filmbiografien der 1930er: Paul Muni in "Das Leben des Emile Zola" © Warner Bros.
Einer der großen Erfolge unter den Filmbiografien der 1930er-Jahre: Paul Muni in "Das Leben des Emile Zola" © Warner Bros.

Die von der Menge stürmisch bejubelte Ankunft Napoleons in Wien ist eine eindeutige Parallele zu Hitlers Einzug in Wien im Frühjahr 1938, wobei Kortner doch glaubt, dass der offizielle Jubel nicht unbedingt die wahre Meinung jeden Bürgers ausdrückt, der trotzdem mitmacht: „Camera picks out a man from the crowd whose behaviour is typical of the easily aroused Viennese populace: ... he mumbles against Napoleon such as: ‘That bloody foreigner – that Corsican bandit ... then in the same breath he shouts ‘HEIL’“ („Die Kamera pickt einen Mann aus der Menge heraus, dessen Verhalten typisch für die leicht erregbare Wiener Bevölkerung ist… Er murmelt wider Napoleon Sachen wie ‚der verdammte Ausländer – dieser korsische Bandit‘… und ruft dann im selben Atemzug ‚HEIL‘), heißt es im Treatment.


Die Konfrontation mit Napoleon

Zur indirekten Konfrontation mit Beethoven kommt es dann bei einem Konzert zu Ehren Napoleons, bei dem Beethovens „Eroica“ gespielt wird. Napoleon skizziert während des Konzerts auf dem Programm eine Karte von Russland und die Filmbilder „überblenden ins echte Russland“, das immer, untermalt von der „Eroica“, als friedliches Land gezeigt wird. Darüber wird Napoleons Kopf eingeblendet, und „seinem Kopf entspringen französische Truppen und fallen in dem Land ein. Die Wunscherfüllung von Napoleons Traum nimmt auf der Leinwand gestalt an“. Nach dem Konzert erhält Napoleon die Partitur, auf der Beethoven die ursprüngliche Widmung an ihn durchgestrichen hat – und von der durchgestrichenen Widmung wird überblendet zur ebenfalls durchgestrichenen Ankündigung der „Fidelio“-Proben in der Wiener Oper, der ersten Konsequenz von Beethovens Fall in der Gunst Napoleons, eine dramatische Wendung, die freilich von der historischen Realität abweicht.

Durch seine Gegnerschaft zu Napoleon wird Beethoven in dem Filmentwurf in Wien zu einem geächteten Außenseiter, seine früheren Freunde und Bewunderer schneiden ihn, Beethoven vereinsamt, seine Lebensumstände verschlechtern sich dramatisch und zudem wird er schwerhörig. Die endgültige vollständige Taubheit wird indirekt von Napoleon verschuldet: Bei einem Spaziergang im Wald, bei dem in seinem Kopf die „Pastorale“ entsteht, übersieht er ein vom Baum abgefallenes Schild „Kein Durchgang“, er geht weiter, und plötzlich wird unmittelbar neben ihm eine Kanone abgefeuert, ein Salut für Napoleons Hochzeit mit Marie-Louise von Österreich 1810. Dadurch ertaubt Beethoven vollständig und wird noch mehr isoliert. Aber seine unerschütterlich zu ihm haltende Freundin Therese von Brunswick erreicht endlich, dass Beethovens Freiheitsoper „Fidelio“ als Demonstration gegen den Unterdrücker Napoleon in Wien aufgeführt wird, wobei die zeitgenössische Parallele deutlich ist: Die Befreiung des zu Unrecht eingekerkerten Florestans und die Bestrafung des verbrecherischen Pizarro unterstreichen auch die Hoffnung der Emigranten auf die Niederschlagung der faschistischen Diktatur und die Aburteilung der Täter.

Abel Gance inszenierte das Leben des Komponisten bereits 1936 in "Beethovens große Liebe" als Melodram. © René Château
Beethoven als tragischer Romantiker: Abel Gance inszenierte das Leben des Komponisten bereits 1936 in "Beethovens große Liebe" als Melodram. © René Château

Als der ertaubte Beethoven erfährt, dass Napoleon in Russland geschlagen ist, beginnt er mit der Komposition von Motiven des 4. Teils der 9. Sinfonie, wobei Kortner sich wieder auf historische Quellen beziehen kann. Zwar begann Beethoven mit der Komposition der 9. Sinfonie erst 1815, aber bereits nach der Nachricht über Napoleons desaströsen Rückzug aus Russland 1812 und Wellingtons Sieg in Spanien 1813, schöpfte Beethoven neue Hoffnung auf Befreiung, wie sein schon 1813 komponiertes und in Wien begeistert aufgenommenes Werk „Wellingtons Sieg“ zeigt.

Die letzten Szenen zeigen alternierend Napoleons einsames Begräbnis auf St. Helena und in Wien das Begräbnis Beethovens, dessen Sarg durch die Straßen getragen wird und dem immer mehr Menschen folgen, denn es ist historisch verbürgt und auch im Bild überliefert, dass ca. 20.000 Menschen dem Trauerzug Beethovens folgten. Dazu wird der 4. Satz der 9. Sinfonie gespielt mit seinem Bekenntnis zu Frieden und menschheitsverbindender Brüderlichkeit. Die letzte Filmsequenz nimmt den Sieg über den Faschismus vorweg: Die Karte Europas erscheint, die Grenzen verändern sich wieder, die Länder werden frei, es wird übergeblendet in Aufnahmen eines zeitgenössisches Publikums und Orchesters, das Arturo Toscanini dirigiert und der Film endet mit Bildern von „Leuten aller Rassen, Nationen und Hautfarben, die über die Radios zuhause lauschen“, während der Chor die „Ode an die Freude“ singt.


Beethoven als Synonym für Freiheit und Kampf gegen Diktatur

Die Parallelen zur damaligen aktuellen politischen Situation und zur Bedrohung des Weltfriedens durch Hitler sind in Kortners Treatment unübersehbar, Beethoven und seine Musik werden zum Synonym für Freiheit und Kampf gegen jede Diktatur, das wird besonders betont durch die Aufführung der „Eroica“, der Freiheitsoper „Fidelio“ und der Schlusssequenz mit Beethovens 9. Sinfonie, dirigiert von dem engagierten Antifaschisten Toscanini.

In den Drehbuchentwürfen der Autoren Abem Finkel und Norman Reilly Raine, die im Archiv des Warner Bros. Studio liegen, sind die Grundzüge und vor allem die politischen Ideen Kortners gewahrt. Henry Blanke ließ sogar eine deutsche Übersetzung des Drehbuchs anfertigen, eigens für den emigrierten Wiener Komponisten Erich Wolfgang Korngold, der bei Warner Bros. unter Vertrag war und die Filmmusik aus Beethovens Werken arrangieren und dirigieren sollte, da er noch Schwierigkeiten mit der englischen Sprache hatte.

Anti-Nazi-Filme wie "Tödlicher Sturm" waren vor dem Kriegseintritt der USA unerwünscht. © MGM
Anti-Nazi-Filme wie "Tödlicher Sturm" waren vor dem Kriegseintritt der USA unerwünscht. © MGM

Aber trotz der aufwendigen jahrelangen Vorbereitungen und mehrfachen Ankündigungen wurde das Projekt 1940 von der Studioleitung endgültig ad acta gelegt. Über die Gründe dieser Entscheidung kann man nur spekulieren. Nachweislich passte dem Studiochef Hal Wallis die politische Tendenz nicht und möglicherweise wollte das Studio weiteren Ärger mit dem Hays Office vermeiden, das 1940 noch strikt gegen jegliche antifaschistische Tendenz in Spielfilmen war, um die offizielle Neutralität der USA im bereits in Europa wütenden Krieg nicht zu gefährden. Zudem gab es rechtliche Probleme mit einer englischen Autorin, von der das Studio schon 1934 ein Beethoven-Skript angekauft hatte und schließlich hatte 1940 das Publikumsinteresse an den in den 1930er Jahren so erfolgreichen Biopics nachgelassen – tatsächlich verließen Dieterle und auch Muni 1940 verärgert das Studio.

„Memory of a Hero“ blieb eines der zahlreichen unrealisierten Filmprojekte der deutschsprachigen Filmemigration, das aber doch Zeugnis davon ablegt, wie sehr sich die Filmschaffenden im Exil darum bemühten, die deutsche Kultur und ihre Schöpfer gegen den Missbrauch durch die Nazis zu verteidigen. Der engagierte Antifaschist Dieterle hat 1939 einen – nie abgesandten – Offenen Brief an „Herrn Adolf Hitler“ verfasst, in dem er Hitler die Schuld am Krieg und den millionenfachen Morden vorwarf und auch dagegen protestierte, „dass Sie das Land Beethovens, Goethes und Kants in grauenvolle Barbarei zurückführen.“


Lesehinweise:

Helmut G. Asper: „Ich habe keine Ahnung, was aus uns werden wird.“ Fritz Kortner im amerikanischen Exil 1937-1947. In: Armin Loacker/Georg Tscholl (Hg.): Das Gedächtnis des Films. Fritz Kortner und das Kino. Wien 2014, S.191-222.

Marta Mierendorff: William Dieterle. Der Plutarch von Hollywood. Berlin 1993.

Larissa Schütze: William Dieterle und die deutschsprachige Emigration in Hollywood. Antifaschistische Filmarbeit bei Warner Bros. Pictures 1930-1940. Stuttgart 2015.

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