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Das Grabmal einer großen Liebe

Veröffentlicht am
17. April 2020
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Der 1876 in München geborene Fotograf, Produzent und Regisseur Franz Osten reiste 1924 erstmals nach Indien und avancierte dort mit dem bengalischen Schauspieler Himansu Rai zum Pionier des Bollywood-Kinos. Ostens indische Stummfilmtrilogie mit „Die Leuchte Asiens“ (1925), „Shiraz – Das Grabmal einer großen Liebe“ (1928) und „Schicksalswürfel“ (1929) legte den Grundstein für die Entwicklung und die internationale Reputation der jungen „indischen“ Kinematografie. Während das Land nach dem Ersten Weltkrieg um Unabhängigkeit von der britischen Kolonialherrschaft kämpfte, förderte der Herstellungsprozess der Trilogie in großem Umfang lokale Inhalte und Ressourcen.

Abenteuer und exotische Unterhaltung

Trotzdem schenken die meisten Filmgeschichtswerke dem umtriebigen Orientalisten, der 1939 von den Engländern als NS-Parteimitglied verhaftet wurde, kaum Aufmerksamkeit. Ostens Gespür für das Bedürfnis nach Abenteuern und exotischer Unterhaltung während der krisenbehafteten Weimarer Republik spiegelt sich in seinen Heimatfilmen wie auch in den Stoffen über fremde Länder. Der koloniale Hintergrund dieser Genres verbindet die am Ende der Stummfilmära gedrehte deutsch-britisch-indische Co-Produktion „Shiraz – Das Grabmal einer großen Liebe“ mit einem erstaunlich realistischen Unterbau – trotz klischeereicher Geschichte und Melodramatik.

Anfang des 17. Jahrhunderts wird in der persischen Wüste eine königliche Karawane von Banditen überfallen. Der Wandertöpfer Hasan findet als einzige Überlebende ein kleines Mädchen, Prinzessin Arjumand, und nimmt es unter dem Namen Selima als „Schwester“ seines Sohnes Shiraz in die Familie auf. Jahre später rauben Sklavenjäger die Herangewachsene, verkaufen sie auf dem Sklavenmarkt in Al Kabah für 1000 Münzen an den muslimischen Kronprinzen Khurram. Shiraz sucht und findet Selima im Königspalast von Agra. Dieser geht es dort gut, da sich der junge Herrscher in die selbstbewusste Haremsdame verliebt hat. Bis Dalia, die Tochter eines Generals und Selimas Widersacherin um die Gunst des Moguls, Shiraz in eine Falle lockt, um dem Prinzen die Untreue seiner Favoritin zu beweisen.

Im letzten Moment wird der am Boden gefesselte Shiraz vor dem Tod durch den Tritt eines Elefanten gerettet. Trotzdem schenkt Selima ihr Herz Khurram. Und da ein Amulett ihre königliche Abstammung belegt, stehen der feierlichen Hochzeit keine Standesunterschiede mehr im Wege. Shiraz wacht weiter über das Glück seiner „Schwester“. Als Selima 18 Jahre später stirbt, will der Mogul seiner großen Liebe ein unvergleichliches Mausoleum errichten. Der Plan des inzwischen erblindeten Shiraz setzt sich gegen alle anderen durch, und nach Fertigstellung des Taj Mahal sitzen beide Männer vor dem grandiosen Bauwerk.

Gedreht an Originalschauplätzen

Im Gegensatz zu vielen (deutschen) Studioproduktionen jener Zeit entstand „Shiraz“ unter schwierigsten klimatischen Bedingungen an Originalschauplätzen, mit indischer Besetzung und prunkvollen Kostümen. Während der Film in Europa und in den USA Erfolge feierte, blieb das Echo im Herstellungsland Indien aufgrund der dem Publikum „fremden“ Machart und des vorausgegangenen Kinostarts zweier ähnlicher einheimischer Produktionen verhalten. Die deutsche Uraufführung fand am 20. Dezember 1928 im Ufa-Palast in Berlin statt.

Das Drehbuch zu „Shiraz“ verfasste William A. Burton nach dem gleichnamigen Theaterstück von Niranjan Pal. Filmdramaturgie und Wahl der Schauplätze bewegen sich auf internationalem Niveau und können mit aufwändigen skandinavischen, US-amerikanischen, italienischen oder französischen Produktionen durchaus mithalten, obwohl die kinematografische Infrastruktur Indiens viel unterentwickelter war.

Der neben dem Engländer Henry Harris für die Filmaufnahmen verantwortliche deutsche Kameramann Emil Schünemann (geboren 1882 in Berlin) kam nach einer Fotografen-Ausbildung 1903 zum Film und arbeitete unter anderem für Urban Gad („Die Suffragette“), Fritz Lang („Halbblut“, „Die Spinnen I“ und „Der Herr der Liebe“) und Richard Oswald.

Ein Spiegel der indischen Gesellschaft

Schauspielerisch bemüht sich der Shiraz-Darsteller und Co-Produzent Himansu Rai sehr, doch Gestik und Mimik wirken auf Dauer eher eindimensional. Auch Enakshi Rama Rau als Selima überzeugt mit ihrer herben Schönheit nur streckenweise, während die dankbarere Rolle der verführerischen Konkurrentin Dalia mit Seeta Devi optimal besetzt ist. Das hohe Lied auf die unmögliche Liebe verweist indirekt auf die unübersehbar feudale Gesellschaftsstruktur, das strenge, religiös beeinflusste Klassen- und Kastensystem und das (Macht-)Verhältnis von Mann und Frau. Prinz Khurram droht Selima zuerst mit seiner königlichen Autorität, verweist auf die gültige Haremstradition und toleriert unwidersprochen die Entführung von Frauen. Agra war Hauptstadt der nordindisch-hinduistischen, von einer muslimischen Minderheit geprägten Region Uttar Pradesh.

Die vom British Film Institute (BFI) verantwortete digitale Restaurierung des Films mittels Originalnegativ und einer Positiv-Sicherheitskopie verleiht dem Schwarz-weiß-Film sehr schöne, differenzierte Hell-Dunkel-Werte. Die neu eingespielte Musik stammt von Anoushka Shankar, der Tochter des Sitar-Stars Ravi Shankar. Sie verbindet mit einem achtköpfigen Ensemble einfallsreich traditionelle Instrumente mit modernen Percussion-Elementen und Synthesizer-Klängen, um Action, Spannung und Liebesgeschichte mal zu untermalen, anzutreiben oder zu konterkarieren.

Die (Kino-)Laufzeit dieser Version beträgt 106 Minuten, die DVD-/Blu-Ray- und Fernseh-Länge 102 Minuten.

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