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Verführer und Verschwörer: Adolf Wohlbrück

Über den österreichischen Schauspieler, der als der „schönste Mann des deutschen Films“ in den 1930ern und dann als Anton Walbrook auch im Ausland berühmt wurde

Veröffentlicht am
05. August 2020
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Das Berliner Zeughauskino hat im Juli mit der Filmreihe „Wohlbrück – Walbrook“ seine Türen wieder geöffnet. Die bis September laufende Retrospektive ehrt den österreichischen Schauspieler Adolf Wohlbrück (1896-1967), der als der „schönste Mann des deutschen Films“ in den 1930er-Jahren bekannt war und sich als Anton Walbrook auch im Ausland Ruhm erwarb. Begleitend ist ein Buch mit Beiträgen von Filmexperten erschienen, die den Facettenreichtum des Darstellers aufgreifen. Eine Wiederbegegnung.


Die Geschichte beginnt in Wien, in der Viersektorenstadt des Klassikers „Der dritte Mann“. Vom Film noir ist Michael Powells queere Operettenverfilmung Oh... Rosalinda!! allerdings Lichtjahre entfernt. Abgesehen vielleicht vom Schwarzmarkthändler Dr. Falke, den ein gewisser Anton Walbrook spielt und der anfangs im Fledermauskostüm verkatert in den Armen einer sowjetischen Siegesstatue erwacht. Falke ist Opfer eines Streichs geworden und sinnt nun auf Rache. Die Vergeltungsaktion mündet allerdings in einer Wiener Schnitzeljagd und Verwechslungsposse. Denn frei nach Goethe ist Falke ein Teil von jener Komödien-Kraft, die stets das Böse will und stets das Blöde schafft. So überdreht wie mitunter der Film ist die Figur aber nie. Denn der Westentaschen-Mephisto und Conférencier wird formvollendet von einem Schauspieler verkörpert, der als Adolf Wilhelm Anton Wohlbrück an der Donau geboren wurde – und der einzige waschechte Wiener im Ensemble ist, neben einer Rosalinda aus Frankreich und einem Eisenstein aus Bristol (Sir Michael Redgrave). Das berühmte britische Kinogespann Powell & Pressburger drehte diese wenig berühmte wie unwienerische Adaption von Johann Strauß’ „Fledermaus“ in Cinemascope und gemalten Kulissen in den Londoner Elstree Studios.

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Bei allem „Wiener Schmäh“, jener hintergründig-melancholischen Natur, die in ihm steckte: Wohlbrücks Charme war international, sozusagen staatenlos geworden. Deshalb passt „Fledermaus 1955“ (deutscher Titel) so gut in die „Wohlbrück – Walbrook“-Retrospektive im Zeughauskino des Deutschen Historischen Museums in Berlin. Und wie Michael Powells Die roten Schuhe (1948) ist „Oh ... Rosalinda!!“ auch deswegen unverzichtbar, weil der Schauspieler hier wie dort den Strippenzieher gibt, der an die Grenzen seiner Macht stößt – wie Prospero in Shakespeares „Sturm“, den Powell so liebend gern verfilmt hätte.

„Maskerade“ (1934) mit Paula Wessely
„Maskerade“ (1934) mit Paula Wessely

Vom eleganten Liebhaber zu abgründigen Charakteren

Wohlbrücks Kinokarriere reicht in die Stummfilmzeit zurück: mit „Wüstenrausch“ von 1923 wird sein frühester gesicherter Filmauftritt in der Reihe gezeigt. In der Sahara – respektive am Strand des Drehorts Norderney – trägt Wohlbrück seinen Bart noch nicht, den er später nur selten abrasierte, denn: „Ich verdanke alles meinem Oberlippenbart – außer meinem Talent.“ Spätestens in den 1930ern galt er als „schönster Mann des deutschen Films“, war zunächst Prototyp des eleganten und unterkühlten Liebhabers und kreierte in späteren Jahren diverse abgründige Charaktere, ohne an Attraktivität und Verführungskunst einzubüßen.

Franz Josef Wilds 1962er-Fernsehversion des Kriminalstücks Laura schlägt den Bogen der Filmreihe in die Spätzeit des Darstellers. Dort verkörpert er den alternd-arroganten Kolumnisten Waldo Lydecker, einen Verehrer der von Hildegard Knef gespielten Titelfigur. Mit Otto Preminger, dem Regisseur des klassischen Laura“-Films von 1944 (mit Clifton Webb) hatte Wohlbrück zuvor Saint Joan (1957) gedreht. Neben Jean Seberg als Johanna von Orléans spielte der Exil-Österreicher ihren Ankläger Cauchon mit minimalen Regungen – „wie Brechts ‚Galilei‘ entnommen“, schrieb Ulrich Gregor in der „Filmkritik“ zur Premiere. Ein Jahr später kam Wohlbrücks letzter Kinofilm I Accuse! heraus. Dort war er Esterházy, der Auslöser der kürzlich von Roman Polanski wieder verfilmten Dreyfus-Affäre, die Frankreich in den 1890ern erschütterte.

In dem 120-Seiten-Buch des Wiener Synema-Verlags, „Wohlbrück & Walbrook: Schauspieler, Gentleman, Emigrant“, das zur Retro erschienen ist, widmet sich Hannes Brühwiler diesen beiden Filmen, die der Filmkurator unter der Überschrift „Blick auf die Geschichte“ in den Kontext des McCarthyismus, der Kommunistenhatz in Hollywood, stellt.

Geprägt von der Musikstadt Wien

Im selben Band unternehmen die Autoren Michael Omasta und Brigitte Mayr eine „Passage durch ein Schauspielerleben“, das am 19. November 1896 beginnt. Wien als Musikstadt spielt unablässig in diese Biografie hinein. „Nur die Musik bot etwas, was durch den ganzen 17. Bezirk zu schwingen schien, war allgegenwärtig, sowohl im Alltag präsent als auch mit Wunschvorstellungen verwoben, in denen Bälle, ein Konzertbesuch oder die Stars des Operettentheaters eine wichtige Rolle spielten“, schreiben Omasta und Mayr, und weiter: „Adolf Wohlbrück wird später in Wien tanzt Johann Strauss Vater verkör­pern, nachdem er sich bereits im Walzerkrieg mit Joseph Lanner herumgeschlagen hatte, wird in Oh … Rosalinda!! nach den Noten der ‚Fledermaus‘ tanzen, den ‚Zigeunerbaron‘ mit einem feurigen Csardas aufpeppen, folgt Oscar Straus’ Melodien in Eine Frau, die weiß, was sie will ebenso wie mit seinem Sprechgesang dem Schnitzler-Ophüls’schen Reigen.“

Mit Simone Signoret in „Der Reigen“
Mit Simone Signoret in „Der Reigen“ (1950)

Die beiden Max-Ophüls-Filme zählen zu den absoluten Glanzlichtern der Retrospektive: Für La Ronde (1950) implementierte der Regisseur eine Spielleiter-Rolle in das Schnitzler-Stück, ein Part, der schließlich an Ophüls' Freund Wohlbrück ging. Die beiden hatten schon Anfang der 1930er-Jahre in Berlin Theater gemacht. Als Conférencier am Rand des erotischen Reigens, in dem Doppelmoral und Vanitas vorherrschen, wirkt Wohlbrück wie abgetrennt von den anderen Figuren, und die anderen wundern sich über ihn. „Und dazu passt, wie er spricht: Statt auf andere zu antworten, hört er sich sprechen. Jedes Wort probiert er, schmeckt es ab, ironisiert jeden Satz, hört ihn klingen, glaubt ihn erst, wenn er zurückkommt, und auch dann nur zur Hälfte“, schreibt Christoph Hochhäusler in „Wohlbrück & Walbrook“.

Lola Montès (beziehungsweise „Lola Montez“, 1955), Ophüls’ sündhaft teures und seinerzeit nachgerade tragisch geflopptes Meisterwerk wird in der französischen und in der deutschen Originalfassung gezeigt. Beide Versionen sind erst vor wenigen Jahren rekonstruiert worden. Hier wie dort gibt Wohlbrück den sanften Bayern-König Ludwig I. Bei ihm erlebt die rastlose Kurtisane und Abenteurerin Lola (Martine Carol) eine Phase der Ruhe, die Affäre trägt aber auch zu Ludwigs Sturz bei. Als schwerhöriger Regent steht Wohlbrück fast neben sich, verwundert über sein erwachendes Begehren. Er ist immer ein Meister der leisen Töne gewesen, mit verhaltener Präsenz verstand er es, sich in ein Ensemble einzufügen. „Lola Montès“ zählt zu den faszinierendsten Filmepen der Nachkriegszeit. Die Kamera ist in unablässiger Bewegung – entsprechend dem surrealen Treiben der die Erinnerungen Lolas rahmenden Zirkusszenen, in denen Peter Ustinov als ihr „Dompteur“ die Peitsche schwingt.

Die Regungen hinter der Maske durchscheinen lassen

In Salto Mortale (1931), mit dem Regisseur E.A. Dupont nach Varieté (1925) in die Zirkuskuppel zurückkehrte, spielt Wohlbrück einen Löwenwärter, der zum Trapez-Artisten umschult. Seine erste Kinohauptrolle, sein erster Tonfilm. Das Milieu war ihm vertraut, denn sein Vater Adolf Wohlbrück hatte nicht nur als Zirkusclown Karriere gemacht, er hatte seinem Sohn auch die Kunst beigebracht, eine Maske zu tragen und dennoch die Regungen darunter durchscheinen zu lassen. Als Sechzehnjähriger begann Wohlbrück junior Schauspielunterricht am Max-Reinhardt-Seminar zu nehmen. 1917 geriet er in französische Kriegsgefangenschaft und spielte dort im Gefangenentheater. Nach dem Ersten Weltkrieg nahm seine Theaterkarriere Fahrt auf. „Ich muß gestehen“, erzählte Wohlbrück 1934 einem Wiener Filmjournalisten, „es fiel mir anfänglich nicht leicht, mich auf das technische Drum und Dran der Filmarbeit einzustellen und ich hatte vor allem eine grässliche Scheu vor dem Photographiert­werden. Aber mit der Zeit gewöhnte ich mich natürlich daran.“ Die Filmarbeit, so der Schauspieler weiter, sei für ihn „ungemein interessant und anregend, vor allem bin ich ihr für die große Popularität dankbar, die sie dem Schauspieler einträgt, aber das Theater ganz aufgeben könnte ich nie.“ Er hat es tatsächlich nie aufgegeben. Den echten Bühnentod wäre er fast gestorben, als er mitten in einer Münchener Aufführung zusammenbrach. Kurze Zeit später, am 9. August 1967 erlag er einem Herzinfarkt.

„Viktor und Viktoria“ (1933) mit Renate Müller
„Viktor und Viktoria“ (1933) mit Renate Müller

Zurück in die Mittdreißiger, die Übergangszeit vom späten Weimarer Kino zur NS-Filmproduktion, welche zunehmend vom Propagandaministerium gelenkt wird. Es ist auch die Ära eines großen Traumpaars des deutschsprachigen Films, über das Elisabeth Streit ein Kapitel in der schon genannten Wohlbrück-Monografie beisteuert. Vier Filme drehen Renate Müller und Adolf Wohlbrück zusammen, außer in Walzerkrieg (1933) sind sie stets schwer verliebt und fallen sich am Ende glücklich in die Arme, in Viktor und Viktoria (1933), Die englische Heirat (1934) und Allotria (1936). Wohlbrück war homosexuell, und die Spannung zwischen schwuler Identität im Leben und Ladykiller der Leinwand wirkt bei „Viktor und Viktoria“ besonders elektrisierend. In Reinhold Schünzels Komödie um Geschlechtertausch – Renate Müllers arbeitslose Viktoria macht als vermeintlicher Damenimitator Karriere – spielt Wohlbrück Robert, „Londons berühmtesten Frauenkenner“, der nicht glauben will, dass er sich zu einem Mann hingezogen fühlt. Gottlob ist „Monsieur Viktoria“ am Ende auch keiner.

1935 feiern zwei wichtige Wohlbrück-Filme Premiere, die ebenfalls im Zeughaus wiederaufgeführt werden. Ich war Jack Mortimer erzählt von einem Taxifahrer (Wohlbrück), der sich für einen auf der Rückbank seines Wagens Ermordeten ausgibt. Der Filmhistoriker Friedemann Beyer begreift den Chauffeur als Vorläufer von Robert de Niros Travis Bickle in Martin Scorseses Taxi Driver und schreibt: „Isoliert sitzt er hinter dem Steuer seines Taxis und lässt das Treiben der Großstadt, die er durch die Windschutzscheibe seines Wagens nur bruchstückhaft wahrnimmt, an sich vorüberziehen. Ein Mann voller Selbstzweifel, latenter Schuldgefühle, desorientiert in einer Welt, die sich gegen ihn verschworen zu haben scheint.“ Während „Jack Mortimer“ in der Tat als verfrühter Film noir durchgehen kann, orientiert sich Artur Robisons Der Student von Prag noch stark am Expressionismus. Wieder geht es um brüchige Identität; es ist die dritte Filmversion des Stoffes um den zuvor von Paul Wegener und Conrad Veidt verkörperten Studenten Balduin, der um Glück in der Liebe und im Spiel sein Spiegelbild an den Teufel verkauft. „Es ist mehr als eine Rolle… Die Fiktion des Films verkettet sich mit der Realität des eigenen Lebens“, sagt eine Kommentarstimme in dem aus zahlreichen Wohlbrück-Ausschnitten kompilierten Filmessay „Der Schatten des Studenten“ (DDR 1989). Fred Gehlers und Ullrich Kastens Dokumentation, die einzige in der Filmreihe, ist eine biografisch-künstlerische Auseinandersetzung mit dem Schauspieler.

Die Geburt von „Anton Walbrook“

Im Frühjahr 1936 stellt sich Wohlbrück als „The Student of Prague“ auch dem britischen Publikum vor – und legt damit den Grundstein für seine Exilkarriere. Als Prinzgemahl Albert von Sachsen-Coburg und Gotha in Victoria the Great debütiert Wohlbrück als Anton Walbrook 1937 im britischen Kino.

Das „Gaslicht“-Original (1940) mit Diana Wynyard
Das „Gaslicht“-Original (1940) mit Diana Wynyard

Nicht nur seine Homosexualität ließ es Walbrook ratsam erscheinen, in England zu bleiben. Als sogenannter „Halbjude“ war er im „Dritten Reich“ nicht sicher, auch war er politisch ein vehementer Gegner des NS-Regimes. Anders als Conrad Veidt musste er im Exil aber keine Nazis spielen. Schurken reizten ihn natürlich, wie zum Beispiel die Figur des Paul Mallen in dem viktorianischen Psychothriller Gaslight (1940, Regie: Thorold Dickinson): „Der Mann ist so unglaublich niederträchtig, nicht einmal Shakespeare hat auch nur halb so schreckli­che Figuren erfunden“, jauchzte Wohlbrück. „Ich dachte also, was für eine großartige Gelegenheit für einen Schau­spieler und welch ein Unterschied zu den Figu­ren, die ich bislang gespielt habe.“ Mit eiskalter Eleganz und raubtierhaftem Charme verkörpert er Paul, der seine Frau Bella (Diana Wynyard) in den Wahnsinn zu treiben sucht, damit sie ihm, einem Mörder, nicht auf die Schliche kommt. Vor 20 Jahren erdrosselte Paul die alte Mrs. Barlow. Nun ist er mit Bella in die Nachbarwohnung gezogen und macht sich an der fluchbeladenen Adresse, an der niemand wohnen möchte, Nacht für Nacht auf die Suche nach den zwölf Rubinen, die nach der Meucheltat unauffindbar waren. Aus zweierlei Gründen blieb „Gaslight“ der große Erfolg versagt. Erstens marschierte die Wehrmacht zur Zeit der Premiere in Frankreich ein, die Angst vor den Deutschen griff auf die britische Insel über. Niemand wollte zusätzlichen Nervenkitzel im Kino ertragen. Zweitens schickte sich Hollywood an, Patrick Hamiltons Bühnenreißer „Gaslicht“ neu zu verfilmen, MGM kaufte die Rechte an Dickinsons Film und versuchte sogar, das Negativ zu vernichten. „Gaslight“ kam erst 1952 in die britischen Kinos. Zu dieser Zeit war George Cukors Zweitverfilmung Das Haus der Lady Alquist längst ein Renner, der zwar dank Ingrid Bergman in der Rolle der terrorisierten Ehefrau überzeugt. Charles Boyer kommt an Walbrooks Schurkencharme aber bei weitem nicht heran.

Ein Favorit von Powell & Pressburger

Mit dem vom britischen Ministry of Information mitfinanzierten Propagandafilm 49th Parallel beginnt 1941 die fruchtbare Zusammenarbeit des Schauspielers mit dem Regisseur Michael Powell und dem seit 1935 im britischen Exil lebenden Emmerich Pressburger. Wohlbrück spielt das Oberhaupt einer archaisch in Kanada lebenden Gemeinschaft von Hutterern – Deutsche, die mit den Überlebenden eines vor der Küste versenkten Nazi-U-Boots konfrontiert werden, die sich in die noch neutralen USA durchschlagen wollen. Die Stimmung kippt, als einer der flüchtigen Offiziere eine flammende Rede auf Hitler hält. Wohlbrücks Deutschkanadier widerspricht, seine Gegenrede kulminiert mit den Worten: „Our Germany is dead.“ Sein Nazi-Gegenspieler sorgte für Kontroversen in England, weil die Autoren diese von Eric Portman gespielte Figur für viele Gegner des Films als „zu intelligent“ angelegt hatten.

Life and Death of Colonel Blimp (1943) brachte Powell und Pressburger dann noch mehr Ärger ein, und zwar mit Winston Churchill persönlich, der den Film schon im Stadium der Projektentwicklung als „foolish production“ ansah, die „schädlich für die Moral der Armee“ werden würde. Doch das vier Lebensjahrzehnte des britischen Offiziers Clive Candy (Roger Livesey) umspannende Technicolor-Epos wurde ein Publikumsrenner in England, sodass Churchill nach dem Krieg immerhin gezwungen war, ein zunächst verhängtes Auslandsexport-Verbot des Films aufzuheben. Wohlbrück verkörpert den aufrechten preußischen Oberst Theodor Kretschmar-Schuldorff. Seit einem Fechtduell im kaiserlichen Berlin verbindet Theo und Clive eine wunderbare Freundschaft, die dann bis in die Gegenwart des Zweiten Weltkriegs reicht und mit Humor und Biss von den Idiosynkrasien beider Nationen erzählt.

„Die roten Schuhe“ (1948)
„Die roten Schuhe“ (1948)

„Ein Strudel aus Farbe und Licht und Tönen brannte sich bereits beim ersten Sehen in mein Gehirn“, beschrieb Martin Scorsese sein frühes Kino-Erlebnis mit The Red Shoes(„Die roten Schuhe“). Als Erwachsenen habe ihn vor allem ein Hauptdarsteller gefesselt: „Anton Walbrook als Impresario Lermontov, dessen Obsession alles um ihn herum vernichtet. Was mich reizte, war die Grausamkeit und Schönheit seiner Rolle, besonders die Szene, in der er voller Selbsthass den Spiegel zerschlägt.“ Als Ballettchef, der die junge Victoria Page (Moira Shearer) zur Primaballerina aufbaut und sie – ungewollt – zerstört, als die Tänzerin Privatleben und Karriere in Einklang bringen will, ist der Schauspieler einmal mehr als mysteriöser Manipulator von Michael Powells Gnaden zu sehen. Auch Lermontov ist verwandt mit Shakespeares Prospero – in Wohlbrücks Version ein Charmeur und eiskalter Machtpolitiker zugleich. Warum hat er die Zentralfigur des „Sturm“ eigentlich nie auf der Bühne gespielt? Am Ende von Powells Meisterwerk gleiten ihm jedenfalls die Fäden aus den Fingern, an denen er „seine Puppe“ tanzen ließ. Victoria nimmt sich das Leben. Das Ballettmärchen von den roten Schuhen, in denen sich diejenige zu Tode tanzt, die sie einmal angezogen hat, wird ohne die Tänzerin aufgeführt. Um das dem Publikum zu erklären, tritt ein leichenblasser Impresario vor den Vorhang. Der Mann mit der sonst so samtenen Stimme schreit seinen moralischen Bankrott förmlich in den Saal hinein. Das Spiel ist aus für ihn, wie so oft in Wohlbrück-Filmen. Aber oft hat er die Regeln bestimmt, das muss man ihm lassen.


Die Filmreihe „Wohlbrück Walbrook“ im Zeughauskino des Deutschen Historischen Museums Berlin endet am 19. September mit „The Red Shoes

Infos & Programm: dhm.de/zeughauskino/filmreihen/wohlbrueck-walbrook.html

Buch: Wohlbrück &Walbrook. Schauspieler, Gentleman, Emigrant, Verlag Synema, 120 Seiten, 16 Euro, an der Zeughaus-Kinokasse 10 Euro.

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