„Homeoffice schreckt mich ab“, verrät der Filmemacher Andreas Dresen in einer aktualisierten Ausgabe eines Interview-Bandes, das nicht nur eine persönliche Lebensbilanz des Regisseurs enthält, sondern auch eine weit verzweigte Auseinandersetzung mit seinem Werk umfasst: „Heimarbeit in meinem Beruf? – Nee!“
Der diesjährige Theodor-Heuss-Preis, mit dem alljährlich bürgerschaftliche Initiative und Zivilcourage geehrt werden, ging im Jahr 2020 an den 57-jährigen Filmregisseur Andreas Dresen. Das will etwas heißen. Unter den bisherigen Preisträgern finden sich so illustre Namen wie Václav Havel, Gerhart Baum, Daniel Cohn-Bendit oder die Präsidentin des Obersten Gerichts in Polen, Malgorzata Gersdorf. Dresen trage mit Filmen wie „Gundermann“ zum innerdeutschen Verständnis bei, hieß es in der Begründung. Zum Verständnis von Andreas Dresen und seinem Werk trägt auch die gerade aktualisierte Ausgabe des Interview-Buchs „Glücks Spiel“ von Hans-Dieter Schütt aus dem Jahr 2014 bei, eine persönliche Lebensbilanz des Regisseurs und zugleich eine weit verzweigte Auseinandersetzung mit seiner Arbeit.
Bevor man den ersten Satz dieses „Porträts eines Regisseurs“ liest, sollte man sich ausnahmsweise erst mit dem Lebenshintergrund des Autors beschäftigen. Hans-Dieter Schütt, ehemaliger Chefredakteur des FDJ-Zentralorgans „Junge Welt“, Kritiker der Perestrojka und bis September 1989 Scharfmacher gegen Andersdenkende, rechnete 2009 in seiner Mea-culpa-Autobiografie „Glücklich beschädigt“ mit der eigenen DDR-Vergangenheit ab. Seitdem schrieb er Bücher über Sarah Wagenknecht, Gregor Gysi, Frank Castorf und inzwischen gleich zweifach auch über Andreas Dresen.
Abstand halten kostet Kraft
Die neuen Interviews entstanden im Mai 2020 mitten in
der Corona-Krise, die Dresen vor allem mit fehlender Geselligkeit assoziiert.
„Homeoffice schreckt mich ab – Heimarbeit in meinem Beruf? Nee.“ Abstand halten
erschöpfe ihn. Wie gut, dass ihm dies beim Beantworten der Fragen, auf die er
mit ungeschönter Präzision reagiert, kaum gelingt. Gleich am Anfang schreibt
Schütt: „Andreas Dresen erzählt davon, dass wir Unvorhersehbare sind, denen der
letzte Halt immer fehlen wird – und diese Unbestimmtheit unseres Wesens wird
just dort größer, wo wir sie beenden wollen. Leg deinen Kopf in den Schoß eines
hehren Ziels – das tut gut. Das tut so gut, dass du die Guillotine nicht
ahnst.“ Die Passage bezieht sich auf Gundermann, den „Engel über dem
Braunkohlerevier“. Oder doch auch auf den Autor selbst, der 20 Jahre nach dem
Mauerfall vorgab, eine 180-Grad-Wende vollzogen zu haben?
Die vielen Preise für „Gundermann“ sind für Schütt jedenfalls Grund genug, für die erweiterte Ausgabe nochmals nachzufragen: Was bleibt von der Arbeiter- und Bauernrepublik? Antwort Dresen: „Von der DDR bleibt mehr als das, wofür ich mich schämen soll“. Und dann: „Ich möchte weder die DDR zurückhaben noch das DEFA-System. Keinesfalls. Besser im Dschungel als im Zoo.“ Als Schütt später fragt, wie „Gundermann“ im Ausland ankam, erzählt Dresen von einer Aufführung in Marseille, in einem sozialen Brennpunkt. Er erlebte unerwartete „Stille, Aufmerksamkeit, nach dem Abspann Gejohle und Getrampel. Und ein Filmgespräch bar jeder blöden Fragen, eine Diskussion über Verrat und Anpassung, über Druck und Freiheit.“
Demokratie als eine Art Psychotraining
Was folgt, ist eine ganze Landkarte an erhellenden Abschweifungen, stets detailreich eingebettet in Dresens Sozialisations- und Arbeitsetappen. Mal dreht es sich um die Lügen eines Sergej Eisenstein, mal um den Streit mit Volker Schlöndorff über die DEFA-Ästhetik oder die hitzigen Diskussionen mit Bernd Eichinger über „Ballermann 6“ und „Der Untergang“. Bis zu Fragen nach dem Wesen der Demokratie, unter der Dresen einen „friedlichen, offenen Interessenstreit“ versteht, „eine Art Psychotraining, bei dem diejenigen, die bei einer Entscheidung das Nachsehen haben, mit der Lust versorgt werden, bei der nächsten Entscheidung wieder aktiv mitzureden.“
Dazwischen unverstellte Auskünfte über die Autorität des Regisseurs am Set, den späteren Wunsch nach einem radikaleren Schnitt bei „Nachtgestalten“ oder Dresens mitunter desolate Verfasstheit bei Dreharbeiten, wenn er, wie bei „Als wir träumten“, Gewaltszenen drehen musste: „Sowas nimmt mich mit. Ich kriege das nur schwer getrennt: Dieses Brüllen, das Alarmsequenzen in dir auslöst, du möchtest einschreiten, musst aber als Regisseur ermuntern, noch doller zuzuhauen…“ Das gilt auch für die Uraufführung von „Halt auf freier Strecke“ in Cannes, bei der es an „verheulten Gesichtern“ nicht mangelte. „Da ging eine Bewegung durch den Saal“, so Dresen, „die auch mich ergriff…Ich sah den Film als eine Art Flaschenpost – man steckt zu Hause so viel an Gefühlen, Schmerzen, Erfahrungen da hinein, verkorkt das, und an ferner Küste wird der Film an den Strand gespült und geöffnet.“
Und auch Aussichten auf neue Projekte dürfen bei diesem um viele Privatfotos bereicherten, mit Gedanken munter sprudelnden Rückblick nicht fehlen, etwa über eine andere Seite der DDR, die für Dresen die Band Rammstein verkörpert: „Gerade diese Truppe hat ihre Wurzeln in einer fröhlichen Anarchie, die ebenfalls zur DDR gehörte.“ Es seien Schweijks und Schlawiner und Schelme, die „links am Kapitalismus vorbeigerannt“ sind. Der perfekte Stoff für eine „möglichst freche Narrengeschichte“.
Literaturhinweis
Andreas Dresen. Glücks Spiel. Von Hans-Dieter Schütt. Be.bra Verlag, Berlin 2020. 304 S., zahlr. Abb., 22
EUR. Bezug: In jeder Buchhandlung oder hier.
Ein Gespräch zwischen Andreas Dresen und Hans-Dieter Schütt findet sich auf youtube.