Der französische Schauspieler Claude Brasseur etablierte sich 1964 mit „Die Außenseiterbande“ von Jean-Luc Godard im Kino und wurde mit seiner bodenständig-charismatischen Erscheinung zum angesehenen Darsteller. Große Publikumserfolge standen dabei neben nuancenreichen Porträts von unsicheren, vorsichtigen oder abweisenden Charakteren.
Bescheidenheit ist eher selten im Spiel, wenn erfolgreiche Künstler ihre Lebenserinnerungen veröffentlichen. Bei den Memoiren des französischen Schauspielers Claude Brasseur deutete allerdings schon der Titel an, dass der beim Erscheinen des Werks im Jahr 2015 knapp 80-Jährige sich abseits der gängigen Etüden selbstzufriedener Filmschaffender verortete: Mit „Merci!“ wandte sich Brasseur an das Publikum, dessen Anteil als Begleiter seiner Schauspielerberufs er von seinen ersten Schritten bis ins hohen Alter immer rückhaltlos anerkannte. Ambivalenter schilderte er die Bedeutung, die das Erbe der Schauspielerei in seiner Familie für ihn gehabt hatte. Von seinen berühmten Eltern Pierre Brasseur und Odette Joyeux fühlte er sich als Kind vernachlässigt, da diese vollauf mit sich selbst beschäftigt gewesen seien.
Trotz dieser Kindheitserfahrungen entschied sich Brasseur in den 1950er-Jahren ebenfalls für deren Beruf. Doch etwas von dieser frühen Verunsicherung schien vor allem in seinen jungen Jahren in seinen Auftritten immer wieder durch. Das aufmerksamkeitsheischende Selbstbewusstsein seines Vaters jedenfalls machte er sich nie zu eigen, auch wenn er einige von dessen markanten Eigenschaften geerbt hatte: eine tiefe Stimme, dichte Augenbrauen über hellwachen Augen sowie die Pausbacken.
Darauf bedacht, Entwicklungen anzustoßen
Claude Brasseur wirkte in seinen Rollen geduckter als sein Vater Pierre, bodenständiger, aber aufmerksam darauf bedacht, Entwicklungen anzustoßen, um nicht von der Abfolge der Ereignisse überrollt zu werden. Die beiden zu Legenden gewordenen Szenen aus Jean-Luc Godards „Die Außenseiterbande“ (1964) verdanken viel von ihrer Wirkung Brasseurs Interpretation des jungen Arthur, der US-amerikanischen Roman- und Filmgangstern nacheifert. Beim Rennen durch den Louvre übernimmt er die Führung und zieht Odile (Anna Karina) und Franz (Sami Frey) mit sich; auch der Café-Tanz der drei zur Juke-Box wird von ihm angestoßen, wobei er derjenige ist, der sich beim Tanzen am wenigsten verliert und konzentriert den Blick auf die Füße gerichtet hält.
Etwas von diesem leicht unbeholfenen Tanzstil griff Brasseur später in „La Boum– Die Fete“ (1980) wieder auf, wo er seiner pubertierenden Tochter Vic (Sophie Marceau) auf eine Rollschuhbahn folgt, mit den kreuz und quer ausscherenden Schuhen aber derart überfordert ist, dass an einen Auftritt als beschützender Vater nicht mehr zu denken ist. Stattdessen weckt er den Beschützerinstinkt seiner Tochter, die ihrem hilflosen Papa den peinlichen Moment verzeiht und zu ihm gleitet, um ihn zu stützen; ein unbeabsichtigter Ablauf, aber mit dem erhofften Effekt. Zugleich verdeutlicht er par excellence die enge Bindung von Vater und Tochter, aus der die Teenager-Komödie „La Boum“ und auch ihre Fortsetzung zwei Jahre später viel Profit ziehen, da die Authentizität dieses Verhältnisses die schwärmerischen und sentimentalen Augenblicke der jugendlichen Liebessuche ausbalanciert.
Zerknautschtes Gesicht, treuer Blick
Claude Brasseur fiel es in der Regel leicht, Sympathie zu wecken, wozu sein zerknautschtes Gesicht und der treue Hundeblick selbst da beitrugen, wo er zwiespältige Charaktere zu übernehmen hatte. Die innere Solidität der Figuren aus frühen Filmen wurde dabei zusehends zum äußeren Schein, hinter dem sich Überforderungen verbergen konnten. In der vierköpfigen Clique in Yves Roberts „Ein Elefant irrt sich gewaltig“ (1976) und „Wir kommen alle in den Himmel“ (1977) ist er der vermeintliche Fels in der Brandung, der den Freunden (verkörpert von Jean Rochefort, Guy Bedos und Victor Lanoux) mit lockeren Sprüchen die Banalität ihrer Liebes- und Lebensprobleme vor Augen führt, selbst aber mit der Leere eines unerfüllten Daseins und uneingestandenen Wahrheiten kämpft. So wie sich seine Figur Daniel erst mit Verve in die herben Streiche stürzt, bei denen er als angeblicher Blinder die Einrichtung eines Bistros demoliert, trifft ihn später ähnlich schlagartig die Erkenntnis, dass er sich zu Männern hingezogen fühlt. Entgegen dem seinerzeit nicht nur im französischen Kino üblichen Vorgehen bestand Claude Brasseur darauf, den Homosexuellen ohne jeden karikaturesken Zug zu spielen – eine historische Wegmarke, für die er seinen ersten „César“ gewann.
Der zweite „César“ folgte drei Jahre später für den Thriller „Der Polizeikrieg“, wo Brasseur einen Polizeikommissar spielt, der sich mit einem Kollegen (Claude Rich) einen Wettstreit um die Ergreifung eines Verbrechers liefert. Mit Rich hatte er bereits 1962 unter der Regie von Jean Renoir in „Der Korporal in der Schlinge“ zusammengespielt – in einem Film, der zum Ruf der jungen Schauspieler erheblich mehr beitrug als zu dem des Regisseurs; ein weiteres denkwürdiges Zusammentreffen der beiden gab es Anfang der 1990er-Jahre im Theaterstück „Le souper“ und der gleichnamigen Verfilmung durch Edouard Molinaro (1992). Brasseur als Fouché und Claude Rich als Talleyrand liefern sich darin in den Rollen der maßgeblichen Drahtzieher französischer Geschichte zwischen der Revolution von 1789 und der endgültigen Niederlage Napoleons 1815 ein Duell der Extraklasse. Die von Rich genüsslich ausgekostete Süffisanz von Talleyrand kontert Brasseur mit einer abwartenden Haltung, die sich im Zweifel aber nicht weniger kategorisch äußert und durch seine raue Stimme Respekt heischt.
Mit ungebrochener Spielfreude
Ab den 1990er-Jahren begann Claude Brasseur, seine Filmrollen zu reduzieren, meldete sich aber in unregelmäßigen Abständen immer wieder eindrucksvoll zurück, sei es in der anspruchsarmen, aber kommerziell enorm erfolgreichen „Camping“-Filmreihe (2006-2016), als Kunsthändler in Danièle Thompsons Komödie „Ein perfekter Platz“ (2006) oder in „Frühstück bei Monsieur Henri“ (2015) als grantiger alter Mann, der zum Teilen seiner Wohnung mit einer Studentin gezwungen wird. Bei der Verwandlung dieses Miesepeters konnte Brasseur noch einmal seine ungebrochene Spielfreude demonstrieren, mit der er sich für die Gunst seines Publikums erkenntlich zeigte. Am 22. Dezember 2020 starb er friedlich im Kreis seiner Familie in Paris.