In
dem gemeinsam verfassten Tagebuch-Poem „A Month of Single Frames“ verarbeitet
die US-amerikanische Experimentalfilmerin Aufnahmen ihrer Künstlerkollegin Barbara
Hammer, die 2019 verstarb. Die Kollaboration dient dabei nicht der
Verschleierung, wie Esther Buss in ihrem Kracauer-Blog herausarbeitet,
sondern der Progression: Das „Wir“ ist wie das Aufstoßen einer Tür.
Lynne
Sachs’ „A Month of Single Frames“ (2020) ist ein gemeinschaftlich verfasstes Tagebuch-Poem
„made with and for Barbara Hammer“. So ist es am Ende des Films zu lesen. Hammer,
eine Pionierin des lesbischen Avantgarde-Kinos, die 2019 verstarb, war in ihren
Arbeiten schon immer großzügig. In ihren kurzen, experimentellen Filmen, aber auch
in den 2010 veröffentlichten Memoiren („Hammer! Making Movies
out of Sex and Life“) teilte sie ihre eigenen (sensuellen und sexuellen)
Erfahrungen und stellte sie in einen größeren Zusammenhang kollektiver queerer
Identität.
Großzügig war Hammer auch mit der eigenen Autorschaft. Als die Künstlerin im Zuge ihrer fortschreitenden Krebserkrankung mit der Ordnung ihres Nachlasses begann, übergab sie der jüngeren Lynne Sachs 8- und 16mm-Bilder, Tonaufnahmen und Notizen, die zwanzig Jahre zuvor während einer einmonatigen Residency am Cape Cod, Massachusetts, entstanden und seitdem liegen geblieben waren. Sachs war eingeladen, aus dem Material einen Film zu machen. „A Month of Single Frames“, knapp 14 Minuten lang, ist das Ergebnis dieser Einladung, die ihrerseits Ausdruck einer Frauenfreundschaft wie eines lebendigen Begriffs von Nachlassarbeit ist.
Eine Form von Gemeinschaftsbildung
Eine
Form von Gemeinschaftsbildung ist auch den
Filmen von Lynne Sachs zu eigen. Sie gehen häufig aus engen Kollaborationen hervor,
etwa mit nahen oder auch weit entfernten Familienmitgliedern, mit migrantischen
Communities und künstlerischen Weggefährtinnen. In „Film About A Father Who“ (2020), ihrer
jüngsten Arbeit, nähert sie sich der schwer zu entziffernden Figur ihres
Vaters Ira Sachs – Vater von neun Kindern von vielen unterschiedlichen Frauen –
in Form eines brüchigen, mit zahlreichen Stimmen und Perspektiven geteilten Essays.
In „Your Day is My Night“
(2013) ist das „Sharing“ dagegen ökonomische Notwendigkeit. Gegenstand und Schauplatz des Films ist ein so genanntes
„shift-bed“-Apartment in Chinatown – eine Wohnung, in der sich chinesische
Einwanderinnen und Einwanderer ein Bett schichtweise teilen, abgestimmt mit
ihren prekären Tages- und Nachtjobs. Was Sachs mit Hammer am stärksten
verbindet, ist jedoch ihr Verständnis von Film als einem körperlichen, taktilen
Erleben. Auch „A Month of Single Frames“ will weniger betrachtet als
erfahren werden.

Der Rückzug in eine abgeschiedene Hütte ohne Strom und fließend Wasser ist ein kulturgeschichtlich aufgeladenes Motiv, zumal in Massachusetts, schließlich liegt der legendäre „Walden Pond“ kaum mehr als 200 Kilometer entfernt. (Thoreau schrieb, was weniger bekannt ist, auch ein Buch über Cape Cod). „A Month of Single Frames“ ist aber alles andere als Introspektion und naturfromme Betrachtung; eine der Welt zugewandtere Einsamkeits- und Naturerzählung hat man wohl selten gesehen. Das liegt zum einen an Hammers extrem haptischen Bildern und ihrem sehr eigenen Verständnis von „visueller Lust“. Zum anderen an der posthumen Bearbeitung durch Sachs, die den Raum einer geteilten Erfahrung erst öffnet.
Überwältigt von Einfachheit
Lynne Sachs montiert Tonbandaufnahmen, die kurz vor dem Tod der Freundin im April 2019 in deren Atelier entstanden – sie ließ Hammer aus ihrem „Duneshack“-Journal vorlesen, man hört auch Bruchteile ihres Gesprächs – mit Filmbildern: Aufnahmen von Insekten, der kargen Vegetation in den Dünen, von Lichtreflexionen, Schattenspielen und Wetterveränderungen, von banalen Alltagsdingen, die sich im Blick der Kamera in lyrische Objekte verwandeln. „I am overwhelmed by simplicity“, hört man Hammer einmal emphatisch zu dem Bild eines im Wind wehenden Fetzens Plastikfolie sagen. Ein anderes Mal blickt sie fasziniert auf eine Fliege, in der sie eine Miniatur der an der Küste patrouillierenden Armee-Helikopter wiedererkennt. Bei allem Staunen über die vielen Dinge, die darauf warten, mit den Sinnen entdeckt zu werden: Ihre Freude am filmischen Experiment überwältigt jeden Ansatz einer naturalistischen Betrachtung. „Why is it I can’t see nature whole and pure without artifice?“, wundert sich Hammer einmal.
Ausgiebig spielte sie mit den Möglichkeiten der Kameratechnik, etwa indem sie den Durchlauf des Filmmaterials bis zur Aufnahme von Einzelbildern verlangsamt. An anderer Stelle werfen Farbfolien bunte Lichter in den Sand oder tauchen die Landschaft in flirrend-leuchtendes Magenta.
„I am here with you in this film“
Markantestes
Zeichen der „zweiten“ Autorschaft ist Sachs’ eigener Text. In ihm wird die
gleichermaßen gegenwärtige wie abwesende Freundin angesprochen. Er legt sich
„stumm“ über das Bild, ist auktoriale Stimme in einem reflexiven Selbstgespräch
wie auch Stimme in einem intimen Dialog, die sich schließlich im Kollektiv all
derer auflöst, die den Film in diesem Moment gerade „zusammen“ betrachten. „You are alone“ – „I am here with you in this film“ –
„There are others here with us“ – „We are all together“.

Mit der Zirkulation und Vervielfältigung der Personalpronomen hat auch Chantal Akerman in ihren Filmen gespielt, etwa in „Ich, du, er, sie“ (1974). Bei Sachs steht hinter der Reihung der Pronomen aber nicht die Verschleierung des Selbst, sondern Progression. Das „Wir“ ist im Film wie das Aufstoßen einer Tür. Man wird angerufen, hereingebeten, fühlt sich gemeint. Man ist jetzt überall: in Cape Cod, in Hammers Atelier, in den Filmbildern, allein und mit allen.