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Ken Adam - Vom Erfinden der Wirklichkeit im Film

Vor 100 Jahren wurde der Setdesigner Ken Adam geboren, der es als einer der wenigen seines Metiers zu Starruhm brachte

Veröffentlicht am
17. April 2021
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Der aus Berlin stammende Ken Adam (1921-2016) schrieb mit spektakulären Sets Filmgeschichte und wurde einer der wenigen Szenenbildner mit Starstatus. Anlässlich seines 100. Geburtstags am 5. Februar präsentiert die Deutsche Kinemathek ein spezielles Online-Programm zu Ehren von Ken Adam. Diese rekurrieren teilweise auf die Ausstellung „Bigger than Life“, die 2014 Ken Adams Kunst auf grundsätzliche Weise umfassend nahebrachte. Eine Erinnerung an damalige Eindrücke.



Um mit einer Wort- und Buchstabenklauberei zu beginnen: Die Ausstellung „Bigger than Life – Ken Adams Filmdesign“ aus dem Jahr 2014 arbeitete sich an den vier Buchstaben ab, aus denen das Wort „auch“ besteht. Ken Adam wurde bis dato vor allem als der Meister rezipiert, der sich 1963 mit der Szenerie des War Room in Stanley Kubricks Dr. Seltsam oder Wie ich lernte, die Bombe zu lieben ins kollektive Kinogedächtnis einschrieb, sicher auch als derjenige, dem die frühen „James Bond“-Filme (insgesamt sieben) einen unverwechselbaren Look verdanken. Andere Arbeiten von Ken Adam wurden dagegen nur summarisch erfasst – so, als seien sie unerhebliche Nebenwerke. Eine Art Wurmfortsatz.

Konzeptzeichung des "War Room" in "Dr. Seltsam..." (Deutsche Kinemathek - Ken Adam Archiv)
Konzeptzeichung des "War Room" in "Dr. Seltsam..." (© Deutsche Kinemathek - Ken Adam Archiv)

In der Ausstellung der Deutschen Kinemathek erscheint der Szenenbildner stattdessen als der, der „auch“ hinter dem War Room steckt und der „auch“ die „James Bond“-Filme zu den Ikonen gemacht hat, die sie eben geworden sind, der aber ebenso am Design von mehr als 50 weiteren Filmen beteiligt war.

So zeichnete Adam im Verlauf seiner Karriere zwischen 1948 („This Was a Woman“) und 2001 (Taking Sides – Der Fall Furtwängler) unter anderem für das Production Design von Herbert Ross’ düster-stilisiertem Musical Pennies from Heaven (1981) verantwortlich, für Tinto Brass’ Blue-Underground-Perle Salon Kitty (1975) oder Joseph L. Mankiewicz’ Kammerspiel Mord mit kleinen Fehlern (1972). Damit ergeben sich perspektivische, nicht unerhebliche Verschiebungen. Durchweg sinnstiftend. Jedoch ohne angestrengten Fundamental-Revisionismus.


Mehr als 4000 Zeichnungen

Mehr als 4.000 Zeichnungen umfasst das offizielle Œuvre Ken Adams. Hinzu kommen andere Materialien, darunter Fotos, aber auch Filme, die während der Recherchen und am Set von Adam gedreht wurden, sowie biografische Zeugnisse und zahllose Auszeichnungen, darunter seine beiden „Oscars“ für Barry Lyndon (1975) und The Madness of King George (1994). Dieses Archiv überließ Ken Adam 2012 der Deutschen Kinemathek in Berlin. Damit ist die Institution in der privilegierten Situation, nicht nur eine umfassende Retrospektive gestalten zu können, sondern auch einen neuen Blick auf das fein ausjustierte Gleichgewicht dieses Werks zwischen ehrgeiziger Innovation und in sich ruhendem Klassizismus zu werfen.

Die Ausstellung möchte Adams Œuvre historisch und stilistisch einordnen, indem sie Einflüsse, Parallelen und Wirkungen offenlegt und biografische Verknüpfungen aufzeigt. Die Exponate ermöglichen die direkte Gegenüberstellung von Adams Filmwelten mit Werken der bildenden Kunst, der Architektur und des Designs.

In einem Gespräch mit der Objekt-Künstlerin Katharina Fritsch bekannte Ken Adam, dass er Größe und Spektakel nie gefürchtet habe, und so erstaunt es kaum, dass „Bigger Than Life“ auch Titel und Motto der Berliner Schau ist. Gegliedert in fünf Kapitel (oder Bereiche), inszeniert die Ausstellung weniger kühl erklärend als emphatisch suggerierend den Szenografen Ken Adam als exponierten Impulsgeber im Zusammenhang des komplexen, arbeitsteiligen Prozesses industrieller Filmherstellung.

In einer Reflexion über Adams Zeichenstil (enthalten im Katalogbuch zur Ausstellung) schreiben die Designer Carolin Höfler und Matthias Karch: „Obwohl Adam von der Architektur herkommt, sind seine Entwürfe zeichnerische Visionen, die auf optische Wirkung angelegt sind. Die einfache, mit schnellen Handbewegungen gezeichnete Skizze gehörte zu seinen zentralen Werkzeugen des Entwerfens, die dem bisher Unbekannten oder Nicht-Gedachten eine Form zu geben vermochten.“ Adam war der Arbeit mit Modellen nicht besonders zugetan: „Seine Vorliebe für die Zeichnung dürfte dem Umstand geschuldet sein, dass das Modell traditionell als vollgültige Repräsentation des zu Verwirklichenden wahrgenommen wird und weniger als eigenständige Realität, innerhalb derer in freier Gestaltung etwas ausprobiert und erkundet werden kann. Was Adam in seinen Zeichnungen zum Ausdruck bringt, sind Denkbewegungen und Handlungen, gegenüber denen jedes Modell wie eine Erstarrung erscheinen musste.“

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Denkbewegungen im Bild: "Man lebt nur zweimal" (Deutsche Kinemathek - Ken Adam Archiv)

Das Wesen der Szenografie

Es ist ein schöner, weil produktiver Widerspruch, dass Höfler und Karch dennoch anhand von Modellen versuchen, Adams komplexe Tätigkeit der Raumbildung zu erschließen und anschaulich zu machen: „Bei diesen Raumobjekten handelt es sich weder um Originalmodelle von Ken Adam oder seiner Mitarbeiter noch um getreue Rekonstruktionen ebensolcher. Die Modelle, eigens für die Ausstellung gebaut, sind auch keine maßstäblichen Verkleinerungen von Filmräumen, sondern imaginieren potenzielle Verräumlichungen von Skizzen, die Adam zu einzelnen Filmsets angefertigt hat. Hierdurch verkörpern sie nicht nur ein dienendes Verhältnis des Modells zum Modellierten, sondern bezeugen vielmehr ein komplexes Geflecht von Effekten und Rückwirkungen auf Bild und Raum.“

Wie in jedem Porträt nicht nur das porträtierte Objekt, sondern auch der Blick des Porträtierenden sichtbar wird, so offenbaren sich in der Gestalt der Ausstellung die szenografischen Ambitionen der Ausstellungsmacher. Was Szenografie eigentlich ist, hat Uwe R. Brückner in dem Buch „Szenografie. Narrative Räume“ prägnant formuliert: „vorausgesetzt, am anfang wäre inhalt, und sei es etwas so unsichtbar immaterielles wie eine idee, ein wunsch, ein traum: schon beginnt das fabulieren. Und wäre da etwas materie, ein ding: schon ist raum existent. fabel und raum brauchen form und rhythmus. das will szenografie: den szenischen raum.“


Groß gedacht und groß gemacht, aber elegant und leicht

Das Fantastischste an Ken Adams groß gedachten und groß gemachten Sets ist deren oft unfassbare Eleganz und Leichtigkeit. Eigentlich gehen sie immer gegen das Massive oder Starre ins Provisorische und Bewegliche: Technoides gekreuzt mit Biologischem, futuristische Visionen unterfüttert mit atavistischen Erinnerungen, Festes aufgelöst in Flüssigem. In seinen Designs wächst auf wundersame Weise gerade das zusammen, was nicht zusammengehört – es ist vielleicht eines der Kernelemente dessen, was man den „Adam-Stil“ nennen könnte. Nachklänge der Architekturen von Erich Mendelsohn und Hans Poelzig sind da ebenso zu finden wie die der Filme von Friedrich Wilhelm Murnau und Fritz Lang.

Befragt nach seinen künstlerischen Einflüssen, hat Adam immer wieder bekannt, wie stark ihn der deutsche Expressionismus, die Gemälde Ernst Ludwig Kirchners oder Lyonel Feiningers mit ihren dynamischen Linien und gewagten Perspektiven schon als Kind im Berlin der 1920er- und 1930er-Jahre fasziniert haben. Ebenso prägend dann seine Erfahrung als erster deutschstämmiger Jagdflieger der Royal Air Force – Ken Adam, der eigentlich Klaus Hugo Adam heißt – war 1934 mit seinen Eltern nach Großbritannien emigriert. Angstlust, Tempo und modernste Technik seien seither vermutlich Teil seiner DNA, erklärte Adam in mehreren Interviews.

Wie materialreich diese erste öffentliche Vorstellung des Adam-Archivs der Deutschen Kinemathek auch sein mag, der Reiz des Unternehmens liegt mindestens ebenso sehr in der berauschenden Inszenierung dieses Universums wie in den beherzt gesetzten Perspektiven von dessen Betrachtung. So soll hier doch noch einmal vom War Room, von Dr. Seltsam und von Stanley Kubrick die Rede sein. Und davon, wie dieses Wunderwerk, obwohl es schon vielfach in anderen Ausstellungen präsentiert wurde, dem Betrachter nun neu und vertiefend nahegebracht wird: Die Installation von Boris Hars-Tschachotin spielt mit der Idee, Ken Adam hätte sich 93-jährig noch einmal an seinen Zeichentisch in den Shepperton Studios bei London gesetzt. Zigarre rauchend, erinnert er sich an das Jahr 1962. Er hat seinen legendären Flomaster-Filzstift, dem, so konnte man mitunter schon lesen, auch stimulierende Substanzen entströmen, in die Hand genommen.

Vor den Augen der Zuschauer entwirft er mit diesem Stift noch einmal den atomsicheren Lagebesprechungsraum unter dem Pentagon und erzählt dabei von der fundamentalen Raummetamorphose dieser Machtzentrale: Der aufsteigende Rauch von Adams Zigarre nährt die Illusion, es würde dem Zuschauer Einblick in den „Denkraum“ des Designers gewährt: Aus dem undefinierten Dunkel steigen helle Linien auf und verdichten sich zu „Negativbildern“ des War Room – ein Verfahren, das Ken Adam immer wieder anwendete: Eine fertige Zeichnung (Schwarz auf Weiß) kopierte er in ein Negativbild um, in expressive helle Linien auf schwarzem Grund. So wird die fundamentale Metamorphose des Raums von einem Zwei-Etagen-Set zum dreieckigen, markanten Bunkerraum lebendig. Die Installation führt einen zentralen Teil des kreativen Verfahrens des Production Designers vor Augen.

Ken Adam bei der Arbeit (Deutsche Kinemathek/A.-M. Velten)
Ken Adam bei der Arbeit (© Deutsche Kinemathek/A.-M. Velten)

Hinweis

Die Deutsche Kinemathek erinnert aus Anlass von Ken Adams 100. Geburtstag mit zwei thematischen Online-Führungen und einer Erweiterung der Online-Präsentation unter www.ken-adam-archiv.de an den Szenenbildner und sein künstlerisches Werk. So erinnern sich am 5. Februar prominente Freunde, Kollegen, Weggefährten und Verehrer von Ken Adam an seine visionären Entwürfe wie auch an den Menschen. In gezeichneten, gefilmten und geschriebenen Grußbotschaften erzählen Barbara Broccoli, Silke Buhr, Sir Christopher Frayling, Axel Eichhorst, Uli Hanisch, Katharina Kubrick, Daniel Liebeskind, Alex McDowell und Gereon Sievernich über ihre vielfachen Erfahrungen mit dem Werk von Ken Adam.

Außerdem findet am 5. Februar um 13 Uhr eine „Instagram-Führung“ mit Rainer Rother, dem Künstlerischen Direktor der Deutschen Kinemathek, und der Grafikdesignerin Anett Sawall statt, die sich unter dem Titel „James Bonds Welten und ihr Designer“ dem szenografischen Werk von Ken Adam widmen. Am 10. Februar stellt die Kuratorin Kristina Jaspers um 19 Uhr ebenfalls in einer „Instagram-Führung“ die „Raumvisionen“ Ken Adams entlang seiner Biografie vor.


Biografisches zu Ken Adam

Klaus Hugo Adam wurde 1921 in Berlin in eine großbürgerliche jüdische Familie geboren. Er wuchs im Tiergartenviertel auf. Sein Vater Fritz Adam betrieb mit seinen Brüdern das exklusive Sport- und Modegeschäft „S. Adam“ in der Leipziger Straße. Werbewirksam ließ er in den 1920er-Jahren Stummfilm-Stars in seinen Sportmoden posieren. Auch Filme von Murnau und Pabst wurden von ihm ausgestattet.

Mit der Machtübernahme der Nationalsozialisten 1933 war die glückliche Kindheit schlagartig vorbei. Klaus’ älterer Bruder Peter überredete den Vater zur Emigration. In London gelang der Familie ein zunächst bescheidener Neustart. Die Mutter Lilli betrieb eine Pension, die zum Treffpunkt für emigrierte Ärzte, Schauspieler und Musiker wurde. Fritz Adam, der als deutscher Offizier im Ersten Weltkrieg gekämpft hatte, kam mit dem Exil nicht zurecht; er starb 1936 im Alter von 56 Jahren.

Das Œuvre von Ken Adam umfasst über 4.000 Zeichnungen und Objekte. Sein gesamtes Archiv schenkte der Production Designer 2012 der Deutschen Kinemathek. Dieses Vertrauen in eine Berliner Institution war zugleich eine Geste der Versöhnung. Es war Adams Wunsch, dass sein Schaffen nachfolgenden Generationen als Anregung dienen soll. Das Ken Adam Archiv ist seit 2016 online zugänglich. Am 10. März 2016 starb Ken Adam 95-jährig in London.


Der Artikel „Vom Erfinden der Wirklichkeit im Film“ von Ralph Eue erschien ursprünglich in der FILMDIENST-Ausgabe 25/2014.

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