Vor einem Jahr begeisterte der 1985 geborene Schauspieler auf der „Berlinale“ als diabolische Reinhold-Figur in „Berlin Alexanderplatz“; nun glänzt er in Dominik Grafs „Fabian“ erneut im „Berlinale“-Wettbewerb und zählt obendrein zu den jungen Schauspieltalenten, die als „European Shooting Stars“ präsentiert werden. Ein Gesicht, das man sich merken sollte – was aber gar nicht so leicht ist angesichts der Tatsache, dass Schuch in seinen Rollen geradezu verschwindet.
Unglamouröser hat schon lange kein Schauspieler mehr den Zenit seiner Kunst erklommen. Dünn und bleich wie eine Zauneidechse vor dem Sonnenbad steigt Albrecht Schuch als Dealer Reinhold in „Berlin Alexanderplatz“ von Burhan Qurbani in einer Flüchtlingsunterkunft auf einen Tisch. Von dort oben, in gebeugter Haltung, umwirbt er mit Fistelstimme die um ihn versammelten Männer. Geld sollen sie wollen, ein Auto, eine Frau. Und dazu selbst Dealer werden. Nach jedem Satz geht seine Stimme in die Höhe, jeden ihrer Wünsche souffliert er mit einem gelächelten Fragezeichen unter seinem Käppi hervor, auf sie herab. Die Zuhörer sind erst befremdet, dann fasziniert. Meistens sehen Verführer und Anführer ja anders aus. Stark. Machen Ansagen mit Punkt. Dass er all das nicht tut, ist vielleicht gerade das Verführerische an diesem buckligen Reinhold: Er könnte in Wahrheit ein ganz anderer sein.
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Wer dem Teufel eine Form geben will, muss nicht unbedingt selbst gut in Form sein. Aber klug im Einsatz seiner Mittel. Und wer über Albrecht Schuch sprechen will, muss über diese Rolle sprechen und über die Fähigkeit, über die Physis das Psychische zu gestalten. Eine über zwei Monate verschleppte Grippe hatte den Schauspieler so geschwächt, dass er, als das Angebot zum Casting für die Reinhold-Rolle kam, „wie ein Blatt“ gewesen sei, „das man wegblasen konnte“, erzählte Schuch. Neben seiner Verletzbarkeit kannte er auch den Regisseur noch nicht. Also einigten sich die beiden darauf, dass er zunächst nur unter Vorbehalt zusage. Nach drei Probe-Tagen aber war das Vertrauen in die Regie da. Und damit die Bedingung für das, was Schuch derzeit beherrscht wie kaum ein Zweiter: eine Körperkunst der Verwandlung, die ihre eigene Authentizität schafft.
Ein Seelen-Erforscher und seine „Patienten“
So kam es, dass der 1985 in Jena geborene Schuch, der jüngst zusammen mit neun anderen europäischen Talenten als „Shooting Star“ ausgewählt wurde, sich mit seiner Rolle des Reinhold ins kollektive Kino-Gedächtnis hineingeätzt hat. Und dadurch erst rückblickend vielen auffiel, die mit seinem Namen bis dahin nur vage ein Gesicht verbunden hatten: Ach, der Künstlergatte Otto Modersohn in „Paula“, das war er auch? Der Alexander von Humboldt in „Die Vermessung der Welt“, der nette Sohn in „Atlas“? Der Uwe Mundlos im NSU-Drama „Die Täter - Heute ist nicht alle Tage“? Der Titel-Hippie in „Kruso“? Hat man gar nicht wiedererkannt! Für Schuch ist das übrigens ein Kompliment.
Seine „Patienten“ nennt Schuch seine Rollen. Ein ironischer Verweis auf seine Herkunft als Sohn eines Psychiaters und einer Allgemeinärztin, zugleich aber auch auf seine analytische Herangehensweise. Charaktere erfordern schließlich auch die richtige Behandlung von Körper und Geist. Schon als Vierjähriger spielte er in Stücken, die seine älteren Schwestern (darunter die spätere Schauspielerin Karoline Schuch) sich ausdachten. Seine Schauspielausbildung absolvierte er von 2006 bis 2010 an der Hochschule für Musik und Theater „Felix Mendelssohn Bartholdy“ in Leipzig, es folgten Engagements am Berliner Maxim Gorki und am Wiener Burgtheater. Nach einer von ihm immer wieder erzählten Anekdote prägte ihn aber vor allem eine Lehrerin. Im Schülertheater spielten sie „Frühlings Erwachen“; an einer Stelle hätte er eine Mitspielerin verprügeln sollen. Ging aber nicht, so etwas macht man nicht. Die Lehrerin sagte ihm, er solle nur bis zu jener Stelle spielen und dann aufhören. Befreit von dem Druck, jemanden verprügeln zu müssen, konnte er es plötzlich (mit dem Einverständnis der Mitspielerin, versteht sich).
Ist das noch Begeisterung oder schon Wahnsinn?
„Extreme Entscheidungen“, sagt er in einem sehens- und hörenswerten Gespräch mit dem Filmkomponisten Karim Sebastian Elias, könne er eben nur treffen, wenn er dabei vergessen dürfe, „dass sie vielleicht extrem sind“. Klappt das nicht, geht das Ganze sehr schnell „nach hinten los“. Unstimmiges und Falsches fällt auf einen Schauspieler zurück, kann ihn unter Umständen Jahre k.o. setzen. Schuch weiß das.
Seine Rollen hätte vor 15, 20 Jahren vielleicht jemand wie der 2010 verstorbene Frank Giering gespielt, der sich nach der heftigen Kritik an Romuald Karmakars „Die Nacht singt ihre Lieder“ (2004) von der Leinwand zurückgezogen hatte. In Schuchs ähnlich blauäugiger, manchmal leicht pausbäckiger Physiognomie sticht auf den ersten Blick ja auch nichts Behauptendes hervor, nichts auffordernd Viriles oder Böses, es bleibt jedoch als Möglichkeit präsent. In Deutschland gebe es ganz wenige Männer mit Kraft, ohne dabei brutal zu wirken, beschrieb ihn einmal der Regisseur Christian Schwochow. Zugleich geht von Albrecht Schuch aber eben auch etwas Stabiles aus, eine Jedermann-Vertrautheit, harmlos wie eine Kinderzeichnung: Breite Augenbrauen unterm dunkelblonden Wuschelhaar, darunter zwei blaue Augen, eine unauffällige Nase, ein ganz normaler Mund, manchmal ein Schnurrbart. Schuch kann, wenn er etwa als Nazi eine zu große Deutschlandkarte an die Wand pinselt, den Blick gerade dezent genug weiten und dabei den Mund zu einem stummen Lachen öffnen, dass man nicht genau weiß: Ist das noch Begeisterung oder schon Wahnsinn?
Schauspielkunst als Verwandlungskunst
Er zwingt dazu, genauer und noch genauer hinzusehen, so fein dreht er an seinen mimischen Reglern. In Thomas Stubers Romanverfilmung „Kruso“ dosiert er dampfige Schimanski-Männlichkeit und Surfer-Strähnchen gerade so, dass sich sowohl Männer als auch Frauen von ihm angezogen fühlen: Barfuß, mit leicht nach vorn gestrecktem Becken, schreitet er da durch den Hiddenseer Sand, mit Brusthaar und Schnäuzer, selbst die Stimme scheint behaart, aber nicht grob, sondern weich. Etwas Beruhigendes geht von ihm aus. In der Investment-Banker-Serie „Bad Banks“ erschafft er hingegen mit seiner vermeintlich biederen Figur Adam Pohl eine diabolische Gleichzeitigkeit von Dreck und Oberflächenglanz. Einmal klebt ihm unerklärt Blut am Kiefer, während er am neuen Arbeitsplatz erst einmal die Tastatur mit einem Mini-Staubsauger säubert, um dann mit geschwollener Zornesfalte unterm brav an den Kopf geklatschten Blondhaar Anlagen-Schrott zu verkaufen.
Es gehört Mut dazu, Schauspielkunst als Verwandlungskunst aufzufassen. Und Entschiedenheit. „Ist es okay, körperliche Gebrechen zur Darstellung von innerer Verderbtheit zu nutzen?“, wurde der Reinhold-Schauspieler gefragt, und Schuch antwortete, darüber habe er nicht nachgedacht. „Wir haben nach einer Form des Teufels gesucht, der verschiedene Mittel hat, um sein Gegenüber dahin zu bringen, wo er es gerne hätte“. Statt sich von ethischen Bedenken gegenüber Minderheiten leiten zu lassen oder von „Method Acting“ zu schwärmen, erklärt Schuch seine Herangehensweise aus dem Künstlerischen und Handwerklichen heraus, beschreibt eine Figur als etwas von ihm und dem Regisseur Hergestelltes. So bewahrt er den mitunter lebenswichtigen Abstand zur Rolle, den Journalisten oft so gern aufgehoben sehen.
Wie man eine Rolle in den eigenen Körper bekommt
Sein kunstvoll verdrehter Reinhold brachte Schuch einen Deutschen Filmpreis für die „Beste männliche Nebenrolle“ ein; als „Beste männliche Hauptrolle“ wurde er im selben Jahr für seinen Auftritt in Nora Fingscheidts „Systemsprenger“ ausgezeichnet. Darin spielt er einen Anti-Aggressions-Trainer, der es mit einem Teufelsbraten zu tun bekommt, der extrem aggressiven neunjährigen Benni (Helene Zengel). Fast mönchisch sieht er aus mit seinem Kürzesthaarschnitt, und mit seinem athletisch geerdeten Körper bildet er das Gravitationszentrum des Films - im völligen Gegensatz zum schlängelnden, windigen Reinhold. Trotzdem brodelt es auch in dieser Schuch-Figur unterschwellig, als breche mit Benni seine eigene, innere dämonische Gestalt hervor, die zu besänftigen nun noch einmal seine Aufgabe ist.
Seine Arbeit bestehe darin, „eine Rolle in den Körper zu kriegen“. Zum Hineindenken und -spüren in eine Figur tanzt er zum Beispiel auch mal. Texte sind für ihn zwar nur ein nachgeordnetes Ausdrucksmittel, doch sperrigen Finanzbranchen-Slang wie in „Bad Banks“ übt er gründlich wie eine Partitur. Auch um Rhythmus und Taktwechsel zu verstehen (Schuch spielt auch Schlagzeug), geht es ihm darum, Texte „reinzuklopfen, auszupinseln, reinzuspritzen in den Körper“. Bleibt die Frage: Wie kriegt man das alles wieder aus sich heraus?
Im Gespräch mit Karim Sebastian Elias sieht man, wie es ihn vor Abscheu regelrecht schüttelt, wenn er sich in einem Filmausschnitt als Uwe Mundlos zusieht. Nicht, weil er sich darin schlecht findet, sondern weil die Figur ihn anwidert. Diese Rolle, der er durchaus nicht-monströse, ja gütige Züge verlieh, habe er damals „nicht richtig verarbeitet“, sagt er und appelliert an die Hochschulen, verstärkt auch Techniken des „Abstreifens“ einer Rolle zu lehren. Heute kann er das. Geht schwimmen, erfindet kleine Rituale. „Reinhold habe ich jeden Abend abgestreift.“
Mit „Fabian“ erneut im „Berlinale“-Wettbewerb
Vielleicht ist der Teufel ja gerade das Formlose, das unerlöst im Dazwischen hängt. Schuch gibt ihm durch Präzision, durch Kopf- und Körperarbeit gleichermaßen, eine Gestalt. Wie eine Sonde schickt man ihn deshalb wohl auch in Stoffe der jüngeren deutschen Literatur- und Zeitgeschichte: Demnächst spielt er in einem Film von Andreas Kleinert über Thomas Brasch sowie in Philipp Stölzls Neuverfilmung der „Schachnovelle“. In der Erich-Kästner-Verfilmung „Fabian oder der Gang vor die Hunde“ von Dominik Graf wird er zum dritten Mal in Folge im Wettbewerb der „Berlinale“ zu sehen sein. Man wird den Teufelskerl bestimmt wiedererkennen, als den, den nicht jeder gleich erkennt.