Filmdienst Plus
Ich habe bereits ein Benutzerkonto
Gedanken zur Abbildbarkeit von Wirklichkeit im Dokumentarfilm, der neben der technischen Apparatur stets auch von inszenatorischen Entscheidungen und Eingriffen geprägt ist
Das dokumentarische Filmschaffen will Wirklichkeit so widerspiegeln, wie sie sich einem interessierten, aber nicht interessengeleiteten Blick präsentiert. Das aber geht nicht ohne filmische Apparatur, zu der neben der Technik stets auch Inszenierung, Choreografie und Dramaturgie gehören. Eine notwendige Erinnerung anlässlich der Debatte um den Film „Lovemobil“.
Der Streit um den Dokumentarfilm „Lovemobil“ von Elke Lehrenkrauss, bei dem sich herausstellte, dass die im Film als Prostituierte und Freier agierenden Personen Darsteller waren und ihre Szenen von der Regisseurin inszeniert wurden, hat Grundsatzfragen des filmischen Dokumentarismus aufgeworfen. Wie verändert der Dokumentarfilm die Wirklichkeit, die er abzubilden behauptet? Wie lassen sich Inszenierung und Dokumentation eines Ereignisses unterscheiden? Gibt es eine grundsätzliche Trennung zwischen fiktionalem und dokumentarischem Film?
Zur Klärung dieser Fragen hilft ein Blick in die Filmgeschichte. In der Frühgeschichte des Films, in der unterschiedliche Aufnahme- und Wiedergabeverfahren existierten, stand die Abbildung dessen,
Ich habe bereits ein Benutzerkonto
Es ist sehr positiv, dass der Fall "Lovemobil" in vielen Bereichen die dringende Notwendigkeit aufgedeckt hat, etwas im System der Dokumentarfilmindustrie zu ändern, und das Interesse, alte Diskussionen über die Prekarität in der Dokumentarfilmwelt in Deutschland, den Druck, die geringen Chancen für neue RegisseurInnen und die brutalen Auswahlkriterien einiger Sender zu führen. In diesem Fall geht es jedoch nicht nur darum, die Verwendung der Inszenierung im Dokumentarfilm selbst zu diskutieren. Wie der Artikel von Professor Leder zu Recht sagt, haben Hunderte von RegisseurInnen Spuren in der Geschichte des Dokumentarfilms hinterlassen, in denen sie Inszenierung, Hybride und in der Entwicklung der Suche nach Poesie und Narration verwenden, um eine wahre Geschichte zu erzählen. Ganze Uni-Seminare widmen sich dem Kontinuum zwischen Dokumentation und Fiktion.Darum aber geht es hier nicht, sondern vielmehr darum, wie eine Regisseurin dazu kommt, fiktive Medien (noch dazu nicht Einzelelemente, sondern zentrale Inhalte) im eigenen Dokumentarfilm zu leugnen und nicht zu benennen oder offensichtlich zu machen. In diesem Fall war die Regisseurin auch die Hauptproduzentin des Films und traf bewusst Entscheidungen über den Einsatz von Schauspielern. Nicht speziell für die künstlerische, narrative und poetische Gestaltung des Films, sondern kalkuliert (anscheinend aus Angst vor der Ablehnung des NDR) und ließ Zuschauer und sogar Film-Profis wie z.B. bei Festivals glauben, dass alle Protagonisten real waren – sogar in den mehr als 20 Foren internationaler Festivals, in Interviews und bei Auszeichnungen, in denen sie stolz mit Ihren Trophäen posierte.Die Regisseurin und Produzentin hat damit Publikum und Fachwelt getäuscht. Zur wichtigsten Frage bei Festivals: Wie hat sie sich mit ihrem Kamerateam echten Prostituierte so intim angenähert, sogar in Sexszenen mit Freiern, wie so starke und rassistische Szenen gedreht? Sie erklärte einfach ihren mühsamen Prozess auf dem Gebiet und ihre jahrelange Beziehung zu den Protagonisten, um diese besonderen Momente einzufangen. Dieses Regietalent, die (vermeintliche?) menschliche Sensibilität und die Arbeit brachte ihr mehrere renommierte Auszeichnungen ein. Wir könnten endlos über die Methoden der Inszenierung im Film diskutieren und sogar darüber, wie monströs und voyeuristisch wir als Konsumenten von Medien und Dokumentationen geworden sind. In diesem Fall geht es aber nicht nur darum. Für viele Regisseure ist es hart, das Alter von vierzig Jahren zu überschreiten und den lang ersehnten Langfilm noch nicht gedreht zu haben (es gibt sogar solche, die aus Frustration Selbstmord begangen haben). Viele Kollegen mussten 3 oder 10 Jahre durchhalten, damit ein Sender ihr Projekt akzeptierte, andere entschieden sich für eine Selbstfinanzierung oder wechselten sogar ihren Beruf. Harte Realität. Und andere haben Glück und schaffen es mit 27 Jahren! Es ist nicht nur Glück oder Talent, es mangelt an klaren Chancen und einer zunehmend aggressiven Selektion, schon in der Ausbildung an den Akademien. Wenn die Regisseurin unter dem Druck des NDR stand und sich deshalb entschied, Schauspieler einzusetzen (was nicht per se schlecht ist!), z.B. um die Identität der Protagonisten zu schützen (was sehr menschlich und verständlich ist) – warum hat sie sie dann nicht mindestens im Abspann und in den Interviews erwähnt? Publikum und Fachwelt würden sogar eine noch klarere Kennzeichnung (durch Text oder filmische Mittel) erwarten. Warum nahm sie die Auszeichnungen an, von denen sie (und ihre Redakteure?) wussten, dass sie sie genau für diese intimen Szenen mit echten Protagonisten, unter der Annahme echt dokumentarisch zu sein erhielten? Was war die echte Angst vor der Wahrheit? Die Ablehnung des NDR, der Geldverlust, die Angst vor dem persönlichen Scheitern oder dass der Film keine/weniger große Preise gewinnt? Oder alle zusammen? Die Regisseurin akzeptierte Interviews und private Einladungen, war sogar als Dokumentarfilm-Expertin an Universitäten wie der HFBK Hamburg im Jahr 2019, wo sie weiter erzählte, wie sie mehrere komplette Sexszenen mit Prostituierten gedreht hatte, sich aber in der Montage aus ethischen Gründen entschied, viele davon zu heraus zu lassen, aus Respekt vor den Protagonisten (dies in einem Video).Es war sicher ein schwieriger Weg, und die Regisseurin dieses Films hatte mit ihrem ersten Dokumentarfilm und den Auszeichnungen einen Erfolg, von dem jeder Debütant träumen dürfte. Aber was müssen Regisseure bereit sein alles zu tun, um einen solchen Erfolg zu haben? Ich denke, wir müssen als Kollegen neben der wichtigen Diskussionen um Geschlecht, Industrie und profesionelle Zwänge akzeptieren, dass es sich hier auch auf rechtlicher Ebene um einen Fall von Betrug handelt. Es wäre auch gut, mit der Lupe die Verantwortlichkeiten zu prüfen, wie Professorin Rollberg es ausdrückt: Die Rolle der Fernsehredakteure, die hier ihre Hände zu waschen versuchen und die Schuld auf die Schwächsten abschieben wollen. Es ist dabei unplausibel, dass der NDR die Veränderung der Charaktere über drei Jahre nicht bemerkt hat, oder wurde das Material erst nach 3 Jahren gesichtet? Es wäre auch gut, andere Filme rigoros zu überprüfen, die ähnliche Wege gegangen sind, aber nie "entdeckt" wurden. All das entschuldigt jedoch nicht die Regisseurin, da es unmöglich ist, sie (vor allem) als Opfer zu sehen. Ich unterstütze jedoch das Umdenken, das viele Tabus in Bezug auf Respekt und Macht in der Filmindustrie bricht. Neue Richtlinien wären wünschenswert, die eine Kultur des offenen Dialogs auf Augenhöhe ermöglichen, in der die Rechte von RegisseurInnen, Protagonisten und Zuschauern respektiert werden.
Es ist sehr positiv, dass der Fall "Lovemobil" in vielen Bereichen die dringende Notwendigkeit aufgedeckt hat, etwas im System der Dokumentarfilmindustrie zu ändern, und das Interesse, alte Diskussionen über die Prekarität in der Dokumentarfilmwelt in Deutschland, den Druck, die geringen Chancen für neue RegisseurInnen und die brutalen Auswahlkriterien einiger Sender zu führen. In diesem Fall geht es jedoch nicht nur darum, die Verwendung der Inszenierung im Dokumentarfilm selbst zu diskutieren. Wie der Artikel von Professor Leder zu Recht sagt, haben Hunderte von RegisseurInnen Spuren in der Geschichte des Dokumentarfilms hinterlassen, in denen sie Inszenierung, Hybride und in der Entwicklung der Suche nach Poesie und Narration verwenden, um eine wahre Geschichte zu erzählen. Ganze Uni-Seminare widmen sich dem Kontinuum zwischen Dokumentation und Fiktion.Darum aber geht es hier nicht, sondern vielmehr darum, wie eine Regisseurin dazu kommt, fiktive Medien (noch dazu nicht Einzelelemente, sondern zentrale Inhalte) im eigenen Dokumentarfilm zu leugnen und nicht zu benennen oder offensichtlich zu machen. In diesem Fall war die Regisseurin auch die Hauptproduzentin des Films und traf bewusst Entscheidungen über den Einsatz von Schauspielern. Nicht speziell für die künstlerische, narrative und poetische Gestaltung des Films, sondern kalkuliert (anscheinend aus Angst vor der Ablehnung des NDR) und ließ Zuschauer und sogar Film-Profis wie z.B. bei Festivals glauben, dass alle Protagonisten real waren – sogar in den mehr als 20 Foren internationaler Festivals, in Interviews und bei Auszeichnungen, in denen sie stolz mit Ihren Trophäen posierte.Die Regisseurin und Produzentin hat damit Publikum und Fachwelt getäuscht. Zur wichtigsten Frage bei Festivals: Wie hat sie sich mit ihrem Kamerateam echten Prostituierte so intim angenähert, sogar in Sexszenen mit Freiern, wie so starke und rassistische Szenen gedreht? Sie erklärte einfach ihren mühsamen Prozess auf dem Gebiet und ihre jahrelange Beziehung zu den Protagonisten, um diese besonderen Momente einzufangen. Dieses Regietalent, die (vermeintliche?) menschliche Sensibilität und die Arbeit brachte ihr mehrere renommierte Auszeichnungen ein. Wir könnten endlos über die Methoden der Inszenierung im Film diskutieren und sogar darüber, wie monströs und voyeuristisch wir als Konsumenten von Medien und Dokumentationen geworden sind. In diesem Fall geht es aber nicht nur darum. Für viele Regisseure ist es hart, das Alter von vierzig Jahren zu überschreiten und den lang ersehnten Langfilm noch nicht gedreht zu haben (es gibt sogar solche, die aus Frustration Selbstmord begangen haben). Viele Kollegen mussten 3 oder 10 Jahre durchhalten, damit ein Sender ihr Projekt akzeptierte, andere entschieden sich für eine Selbstfinanzierung oder wechselten sogar ihren Beruf. Harte Realität. Und andere haben Glück und schaffen es mit 27 Jahren! Es ist nicht nur Glück oder Talent, es mangelt an klaren Chancen und einer zunehmend aggressiven Selektion, schon in der Ausbildung an den Akademien. Wenn die Regisseurin unter dem Druck des NDR stand und sich deshalb entschied, Schauspieler einzusetzen (was nicht per se schlecht ist!), z.B. um die Identität der Protagonisten zu schützen (was sehr menschlich und verständlich ist) – warum hat sie sie dann nicht mindestens im Abspann und in den Interviews erwähnt? Publikum und Fachwelt würden sogar eine noch klarere Kennzeichnung (durch Text oder filmische Mittel) erwarten. Warum nahm sie die Auszeichnungen an, von denen sie (und ihre Redakteure?) wussten, dass sie sie genau für diese intimen Szenen mit echten Protagonisten, unter der Annahme echt dokumentarisch zu sein erhielten? Was war die echte Angst vor der Wahrheit? Die Ablehnung des NDR, der Geldverlust, die Angst vor dem persönlichen Scheitern oder dass der Film keine/weniger große Preise gewinnt? Oder alle zusammen? Die Regisseurin akzeptierte Interviews und private Einladungen, war sogar als Dokumentarfilm-Expertin an Universitäten wie der HFBK Hamburg im Jahr 2019, wo sie weiter erzählte, wie sie mehrere komplette Sexszenen mit Prostituierten gedreht hatte, sich aber in der Montage aus ethischen Gründen entschied, viele davon zu heraus zu lassen, aus Respekt vor den Protagonisten (dies in einem Video).Es war sicher ein schwieriger Weg, und die Regisseurin dieses Films hatte mit ihrem ersten Dokumentarfilm und den Auszeichnungen einen Erfolg, von dem jeder Debütant träumen dürfte. Aber was müssen Regisseure bereit sein alles zu tun, um einen solchen Erfolg zu haben? Ich denke, wir müssen als Kollegen neben der wichtigen Diskussionen um Geschlecht, Industrie und profesionelle Zwänge akzeptieren, dass es sich hier auch auf rechtlicher Ebene um einen Fall von Betrug handelt. Es wäre auch gut, mit der Lupe die Verantwortlichkeiten zu prüfen, wie Professorin Rollberg es ausdrückt: Die Rolle der Fernsehredakteure, die hier ihre Hände zu waschen versuchen und die Schuld auf die Schwächsten abschieben wollen. Es ist dabei unplausibel, dass der NDR die Veränderung der Charaktere über drei Jahre nicht bemerkt hat, oder wurde das Material erst nach 3 Jahren gesichtet? Es wäre auch gut, andere Filme rigoros zu überprüfen, die ähnliche Wege gegangen sind, aber nie "entdeckt" wurden. All das entschuldigt jedoch nicht die Regisseurin, da es unmöglich ist, sie (vor allem) als Opfer zu sehen. Ich unterstütze jedoch das Umdenken, das viele Tabus in Bezug auf Respekt und Macht in der Filmindustrie bricht. Neue Richtlinien wären wünschenswert, die eine Kultur des offenen Dialogs auf Augenhöhe ermöglichen, in der die Rechte von RegisseurInnen, Protagonisten und Zuschauern respektiert werden.