© Deutsche Kinemathek, courtesy of Universal Studios Licensing, LLC (Mae West in „Belle of the Nineties“)

Lustige Ladys: „No Angels“: Die „Berlinale“-Retro 2022

Über die „Berlinale“-Retrospektive 2022: „No Angels – Mae West, Rosalind Russell & Carole Lombard“

Veröffentlicht am
17. Februar 2022
Diskussion

In den 1930ern verkörperten Mae West, Rosalind Russell und Carole Lombard im Komödienfach sehr unterschiedliche Frauentypen – West als provokative Sexbombe, Russell als kompetentes Working Girl und Lombard als unkonventionell-bezauberndes Temperamentsbündel. Dabei fand jede auf ihre Weise Wege, Widerstand gegen hergebrachte Genderbilder zu leisten. Eigentlich sollte die „Berlinale“-Retrospektive bereits 2021 die drei Diven hochleben lassen; wegen der Corona-Turbulenzen wurde dies auf die Ausgabe 2022 verschoben, die am 10. Februar beginnt.


No „No Angels“ – so musste man im Retrospektive-freien „Berlinale“-Jahrgang 2021 doppelt verneinen: Dreifache Frauenpower war angekündigt, doch das Filmprogramm mit den Hollywoodstars Mae West, Rosalind Russell und Carole Lombard wurde letztlich auf 2022 verschoben. Lediglich das vom künstlerischen Direktor der Deutschen Kinemathek Rainer Rother verfasste Buch zur Retro lag bereits im Sommer 2022 vor und machte große Lust auf die 27 restaurierten Spielfilme der Retrospektive.

Allein der titelgebende Mae-West-Film „I’m No Angel“ wurde am 20. Juni 2021 am Schloss Charlottenburg vorab gezeigt. Dass das Publikum dabei entspannt bis lasziv auf Liegestühlen Platz nehmen durfte, hätte der Diva bestimmt gefallen. West (1893-1980), die in „Ich bin kein Engel“ (1933) als Löwenbändigerin ihren Kopf ins Maul einer Raubkatze legt und ebenso spielend mit Männern wie Cary Grant fertigwird, schrieb den Großteil des Drehbuchs selbst. Ihre Sprüche wie „When I’m good, I’m very good. But when I’m bad, I’m better“ dürften mit dazu beigetragen haben, dass der Film 1934, als der Hays Code in Kraft trat, aus dem Verkehr gezogen wurde. In seinem Buch widmet Rother jeder der drei Schauspielerinnen, die das Komödienfach verband, ein eigenes Kapitel.


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Drei sehr unterschiedliche Entwürfe von Weiblichkeit

Schließlich sind es ja sehr unterschiedliche Persönlichkeiten, deren Karriere-Schwerpunkt jeweils in den 1930er-Jahren lag. „Mae West schlüpft nie in fremde Rollen“, charakterisiert Rother die femme fatale und Drag-Queen-Wegbereiterin aus Brooklyn, deren „ikonisch gestaltete (Show-)Persona jede der von ihr mitverfassten und von ihr verkörperten Rollen“ prägte. Karriere in Hollywood machte sie erst mit 39 und trotz einer üppigen, dem gängigen Schönheitsideal wenig entsprechenden Figur.

Überbordende Kleidung gehörte zu Mae Wests Markenzeichen (hier in „Klondike Annie“) (© IMAGO / Everett Collection)
Überbordende Kleidung gehörte zu Mae Wests Markenzeichen (hier in „Klondike Annie“) (© IMAGO / Everett Collection)

Die Collage auf dem Buchcover verschneidet die Stars zu einem dreigeteilten Gesicht: Lombards Mund und Nase, Russells linkes Auge, Wests rechtes Auge. Auch im Textteil schert Rother mitunter aus dem Monografischen aus und stellt Vergleiche an. Was die Kleidung anbetrifft, sind die Unterschiede ja schon in Standfotos augenfällig. Mae West zeichnet sich aus durch ihre „überbordend ausfallenden und fantasievoll drapierten Kleider, die wie eine Umhüllung wirken – fast wie eine die Figur betonende Panzerung, die sehr bewusst gewählt wurde. Die ‚Lombard-Persona‘ erscheint dagegen immer ohne solche Verhüllungen, ohne solch eine ‚Fassung‘“, so Rother. Während die schlanke Carole Lombard, die nicht selten neurotische Charaktere spielte, durch glänzende und fließende Stoffe und tiefe Ausschnitte am Rücken oftmals sexy und fragil wirkte, trug Rosalind Russell häufig Business-Kostüme. „Was sie trägt“, erklärt der Autor, „ist modern und angepasst an das Erscheinungsbild der (meist selbstständigen) berufstätigen Frau, die sie fast immer verkörpert. Es ist ein Look, der Kompetenz signalisiert und vor allem alltagstauglich ist.“


Heldin im Hechtsprung

Rosalind Russell (1907-1976) hatte die längste Hollywoodkarriere im Trio. Andererseits ist sie dem breiten Publikum am wenigsten bekannt. Die in Connecticut geborene Schauspielerin steht auch nicht auf der vom American Film Institute herausgegebenen Top-25-Liste der größten weiblichen Stars, anders als West (Platz 15) und Lombard (Platz 23). Russell zeigt sich nicht nur in ihrem bekanntesten Film, Howard Hawks’ „Sein Mädchen für besondere Fälle“ (1940), als körperlich aktivste der porträtierten Darstellerinnen. Legendär ihr Hechtsprung, mit dem sie als Reporterin Hildy Johnson einen Mann zu Fall bringt, der ihr keine Informationen geben will und vergeblich vor ihr wegzulaufen versucht.

Auch in George Cukors rein weiblich besetzter Ensemblekomödie „The Women“ (1939) zeigte Russell ihr Slapstick-Talent. Bei diesem Film, der die reale Rivalität zwischen Joan Crawford und Norma Shearer widerspiegelt, öffnet sich die Perspektive zu anderen Stars – und zur Genderproblematik im Hollywood der Studio-Ära überhaupt. Wie Retrospektive und Buch ohnehin von der Frage grundiert sind, welche Spielräume es für eigenwillige Frauen in der damaligen Filmindustrie gab. Rosalind Russell verkörperte einen Frauentyp, der eher nicht daran denkt, mit der Heirat den Beruf aufzugeben.

Rosalind Russell als Karrierefrau in „Take a Letter, Darling“ (mit Fred MacMurray) (© IMAGO / Everett Collection)
Rosalind Russell als Karrierefrau in „Take a Letter, Darling“ (mit Fred MacMurray) (© IMAGO / Everett Collection)


Provokation & Selbstbehauptung

„Wo Mae West ihre Rollen als explizite Entgegnungen zu bestehenden Verhältnissen, als offene Provokationen entwarf, und wo Rosalind Russell sich in den Kampf um ihre Position stürzte, da nahm es Lombard mit Drehbüchern auf, die von eklatanten Diskrepanzen in der Typisierung der männlichen und weiblichen Hauptfiguren durchdrungen scheinen. Alle Auswege aber, die im Skript die Chance boten, der Schablone zu entkommen, erkannte und nutzte sie“, heißt es bei Rother. Carole Lombard (1908-1942) starb früh bei einem Flugzeugabsturz. Sie war im Vergleich zu ihren Kolleginnen wohl diejenige Schauspielerin, die am unzufriedensten in der Komödienschublade war und ins dramatische Fach strebte. Ernst Lubitschs Meisterwerk „Sein oder Nichtsein“ (1942) – immerhin eine schwarze Komödie voller Suspense und vor dem Hintergrund des Nazi-Überfalls auf Polen – war ihr letzter Film. Hier und auch in „Mein Mann Godfrey“ (1936, mit ihrem Exmann William Powell, dem sie trotz ihrer Ehe mit Clark Gable freundschaftlich verbunden blieb) attestiert Rother Lombard eine ironische Distanziertheit zu ihren Rollen („In gewisser Hinsicht ‚verkörpert‘ Lombard nicht Irene, sondern steht neben ihr“).

Als „sophisticated comedian“ agiert die schon als 12-Jährige von Allan Dwan in „A Perfect Crime“ (1921) eingesetzte Schauspielerin ganz anders als etwa Mae West, die von Susan Sontag in ihrem Aufsatz „Anmerkungen zu ‚Camp‘“ von 1962 als Musterbeispiel für die Darstellungs- und Erlebnisweise des Camp aufgeführt wird. Und wiederum im Kontrast zu Wests zwischen Naivität und Berechnung schillernder, unterkühlter Theatralik sprüht Rosalind Russell in ihren Rollen geradezu vor Lebenslust und Spielfreude. Es sind die vielen Facetten des Komischen, auf die man sich bei der 72. „Berlinale“ besonders freut. Zumal wenn man die Zeit davor genutzt hat, um Rothers vorzügliche Essays zu lesen.

Schlagfertig: Carole Lombard (mit Fredric March und Walter Connolly) in „Nothing Sacred“ (© IMAGO / Everett Collection)
Schlagfertig: Carole Lombard (mit Fredric March und Walter Connolly) in „Nothing Sacred“ (© IMAGO / Everett Collection)


Hinweis:

Mehr Infos zur Retro und den präsentierten Filmen bietet die Seite der Deutschen Kinemathek.


Rainer Rother: No Angels – Mae West, Rosalind Russell & Carole Lombard. Herausgegeben von der Stiftung Deutsche Kinemathek. edition text+kritik, München 2021. 162 Seiten, 15 Euro. Erhältlich in jeder Buchhandlung oder hier.


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