Ein
kinematographischer Monolith voller sakraler Leuchtkraft und eruptiver
Gewaltexzesse: Pier Paolo Pasolinis enigmatische „Medea“-Adaption um den
antiken Tragödienstoff von Euripides präsentierte 1969 in der Titelrolle keine
geringere als Opern-Diva Maria Callas. 2021 ist der Film beim Label Filmjuwelen
erstmals als Blu-ray erschienen.
Alles beginnt in Pier Paolo Pasolinis bewusst verästelter „Medea“-Lesart im wundersamen Lichtspiel des Sonnenaufgangs irgendwann in vormythischer Zeit: Der kleine Jason streckt sich genüsslich den ersten Morgenstrahlen entgegen. Anschließend erläutert ihm ein imposanter Kentaur (Laurent Terzieff) die Themenkomplexe „Mythos und Heiligkeit“ sowie „Wahrheit und Lüge“, ehe er auf eine Reise zu seinem Onkel Pelias in die Bergwelt entsandt wird.
Dort erhält Jason (Giuseppe Gentile)
den Auftrag, das „Goldene Vlies“ von den Kolchern zu rauben, wozu er mit einer
Horde tapferer Männer aufbricht. Die zwittrige Hohepriesterin und obskure
Giftmischerin Medea (Opern-Star Maria Callas) verhilft ihm
schließlich zu seinem Objekt der Begierde und führt ihn, trunken vor Lust, auch
bald in die Geheimnisse der Liebe ein, wodurch sie alsbald zur mehrfachen
Mutter wird. Als sich ihr verehrter Heros Jason allerdings in Korinth in Glauke
(Margareth Clementi), die Tochter des Königs Kreon, verliebt,
nimmt diese beständig zwischen Logos, Mythos, Fatalismus und Magie mäandernde
Geschichte erneut eine grausam-krasse Wendung. Die in Rage versetzte Medea
startet sogleich ihren mörderischen Rachefeldzug, der viele Opfer fordern wird,
bis sie am Ende auch selbst mit letztem Furor im Leib in den Flammen ihres
brennenden Hauses mit folgenden Worten zu Grunde geht: „Jetzt ist nichts mehr
möglich.“
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Mythenzertrümmerung
Zwischen waghalsigen Raum- und
Zeitsprüngen und ebenso fantasievollen wie unzeitgemäßen Kostümen Piero Tosis spielt zudem Dante Ferrettis zwischen Kargheit und
Opulenz schwankende Ausstattung eine Hauptrolle in dieser sehr freien, höchst
eigensinnigen „Medea“-Adaption durch Pier Paolo Pasolini
(1922-1975), die 1969 als italienisch-französisch-deutsche Koproduktion
entstand.
Unterbrochen durch gleichsam kryptische wie blutrünstige Fruchtbarkeitsriten der vorzeitlichen Kolcher sowie die atemberaubenden (Alb-)Traum-Visionen Medeas (Bildgestaltung: Ennio Guarnieri) gelingt es diesem Wunderwerk einer kinematografischen Mythenzertrümmerung, auch 50 Jahre nach seiner Uraufführung noch minutenlang zu irritieren.
„In ihrer feurigen Leidenschaft und großen Zuneigung tief verletzt, rächt sich Medea in grausamer Weise. Ausgehend von der antiken Tragödie des Euripides hat mich in dieser Konstellation die Maßlosigkeit ihrer Liebe am meisten fasziniert“, erklärte Pasolini bei der Galapremiere seines späteren Kinoflops in der prächtigen Pariser Oper voller Verve. Bereits 1960 hatte der italienische Regieberserker, Poet und Intellektuelle mit dem Faible für christlich-mythologische Stoffe Aischylos’ „Orestie“ für Vittorio Gassmans „Teatro Popolare Italiano“ neu übersetzt und sich parallel mit dem „Medea“-Mythos erstmals längere Zeit künstlerisch auseinandergesetzt.
Zwei Weltverständnisse prallen aufeinander
Komplettiert durch Pasolinis
intellektuelle Steckenpferde Religion, Mythos und Moderne sowie seine offene
Parteinahme für die politischen Interessen vieler „Dritte Welt“-Staaten unter
Bezugnahme auf Marx, Freud und Jung, lässt diese filmische „Medea“-Version den
antiken Mythos in fulminanten Bilderlandschaften voller Prunk und Archaik
wiederauferstehen. Hierbei stehen sich auf der en gros schwer zu fassenden
Erzählebene vor allem zwei Kulturbegriffe diametral gegenüber: Während Medeas Umfeld
anfangs für eine teils irrational angelegte, teils paradiesisch-utopisch
überzeichnete Lebenswelt steht, bricht sich in Korinth bereits eine rationale
Moderne Bahn, die scheinbar jegliches Gespür für Archaik und Metaphysik
verloren hat.
In dieser von der zeitgenössischen Filmkritik überwiegend gelobten (Peter Buchka: „Medea ist der überzeugendste der postneorealistischen Filme Pasolinis“), aber kommerziell desaströsen „Medea“-Adaption überraschte die damalige Mittvierzigerin Maria Callas als Pasolinis Besetzungscoup in der titelgebenden Hauptrolle. Fast ohne Worte und häufig wie in Trance agierend trägt ihr überwiegend im Profil gezeichnetes Gesicht weite Passagen dieses insgesamt widerspenstigen Diskurs-Films, der weiterhin das Potential in sich birgt, anecken und keinerlei roten Faden bieten zu wollen.
Konfrontation statt Konklusion
Zusammen mit der damals jüngst von Aristoteles Onassis getrennten Operndiva, die als junge Sängerin mit ihrer gesanglichen Interpretation der „Médée“ aus Luigi Cherubinis Opéra comique international berühmt wurde, unternahm Pasolini eine Forschungsreise in archaische (Un-)Welten zwischen der bizarren Felslandschaft Kappadokiens und der kulturhistorisch bedeutenden Zitadelle von Aleppo. Fernab des bildungsbürgerlich-humanistischen Wertekanons lautete Pasolinis permanente Devise während der aufwändigen Dreharbeiten: Konfrontation statt Konklusion, die seiner „Medea“-Vision bis zum bildgewaltigen Finale stets etwas ungemein Raues, Forderndes und Ungestümes verleihen. Kongenial ergänzt werden die hart montierten Sequenzen durch tibetanische, japanische und afrikanische Kultmusiken, die Pasolini mit Unterstützung von Elsa Morante und unter der überraschenden Einbeziehung moderner Rockmusikklänge gegen den Willen seiner Produzenten Franco Rossellini und Marina Cicogna durchsetzte.
Pasolinis lebenslange Sympathie für eine „regellose, barbarische Kunst, die an der Welt des Traumes teilhat“ und die intensive Auseinandersetzung mit Mircea Eliades’ zentralen Thesen („Wir sind Zeugen der Krise des modernen Menschen“) aus „Das Heilige und das Profane“ (1956) wurden hier in visuell bestechende „Körper-Raum-Zeit“-Tableaus transformiert. Das ist in der Summe ein hoch manieriertes, vollkommen eklektisches und wunderbar sensuelles Kino, das einen zweiten Blick absolut wert ist.