Mit „Die Stunde, wenn Dracula kommt“ nahm 1960 die Karriere des italienischen Filmemachers Mario Bava Fahrt auf, der in den 1960er-Jahren und 1970er-Jahren zur prägenden Figur des italienischen Horror- und Giallo-Kinos werden sollte. MUBI widmet ihm am 7. März eine kleine Hommage, in der auch „Die Stunde, wenn Dracula kommt“ nicht fehlt.
Der Nachthimmel
von Mario Bavas „Die Stunde, wenn Dracula kommt“ ist schwarz und
leer. Nur ein paar Wolkenfetzen hängen da und verlieren sich im Nebel. Sie werden
Zeuge, wie eine junge Frau von finsteren Gestalten als Dämonen-Braut angeklagt
und gebrandmarkt wird. Eine Maske mit Nägeln auf der Innenseite besiegelt ihr
Schicksal. Sie verflucht ihre Scharfrichter – ihre eigene Familie – und es
vergehen 200 Jahre. Moldawien im Jahr 1630 weicht Moldawien im Jahr 1830. Doch
auch diese Jahrhunderte sind nur wie eine über das Antlitz der Welt genagelte
Maske, unter der eine andere Zeit weiterlebt.
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Denn auch die Aufklärung hat den Menschen nicht von seinen archaischen Wurzeln befreit. Diese Beziehung zwischen den Epochen wird am besten von der Britin Barbara Steele verkörpert, die in einer Doppelrolle auftritt: Als Hexe Asa Vaida, die im Prolog für ihre Beziehung zu Satan verurteilt wird, und als junge Adelige Katia Vajda, eine Nachfahrin von Asas Bruder. Dem Mann, der sie zum Tode verurteilt hat. Zwei Versionen eines Menschen, die sich im Verlauf des Films begegnen und voneinander zehren. Der Vampir ist immer eine Figur parasitärer Temporalität. Ein Symbol der Vergangenheit, der das Lebensblut der Gegenwart saugen muss, um zu überleben. Es ist gewiss kein Zufall, dass die Protagonisten Ärzte auf dem Weg zu einer medizinischen Konferenz sind. Avatare der Neuzeit, die das Wissen der Menschheit mehren wollen, aber hilflos zusehen müssen, wie die Barbarei einer anderen Zeit in ihrer ausbricht.
Skulpturen aus Schatten
Es ist auffällig, dass Vergangenheit und Gegenwart sich in ihren strengen Schwarz-weiß-Bildern gleichen. „Black Sunday“ ist wahrscheinlich der treffendste unter vielen Verleih-Titeln, unter denen Mario Bavas im Original „La maschera del demonio“ („Die Maske des Dämons“) betitelter Film aus dem Jahr 1960 erschienen ist. Denn der Film ertrinkt fast in Schwärze, Schatten werden wie große Laken über das Bild gespannt. Ein Blick wie durch eine Maske. Der dramatische Kontrast lässt sogar kargen Stein wie Kristall erstrahlen. Als wäre Bava ein Bildhauer wie sein Vater, nur dass er seine Skulpturen aus Schatten meißelt.
Später sollte der italienische Regisseur für seine ausdrucksstarken Farb-Dramaturgien berühmt werden, für visuellen Exzess und psychedelische Strudel aus Albtraum und Wahnsinn. Schon dieses Debüt – der erste Film, bei dem er der alleinige Regisseur war – enthält viele der Elemente, die ihn als Künstler definieren werden. Die Farblosigkeit liegt über ihnen und macht „Die Stunde, wenn Dracula kommt“ zu einer Art Bindeglied zwischen zwei Zeiten und Stilen: Zwischen dem frühen US-Horrorkino etwa des Universal-Studios und dem italienischen Genre-Film der 1960er- und 1970er-Jahre, dem Bava nach dem Horror-Verbot durch die Faschisten zu (neuem) Leben verhalf. Schon sein nächster Film – das Peplum-Abenteuer „Vampire gegen Herakles“ – ist dann in farbiges Licht getaucht.
Stil trumpft Handlung
Mario Bava, lange als einfacher Erfüllungsgehilfe und Handwerker missverstanden, machte sich früh einen Namen mit guten, oft sehr preisgünstigen Spezialeffekten. Vor allem aber war er Kameramann, bevor er Regisseur wurde, für Filmemacher wie Mario Costa oder Pietro Francisci. Und er blieb immer Kameramann. Als Regisseur war ihm sein Stil, wie sich die Kamera durch die Räume bewegte, stets wichtiger als Figuren oder Handlung. Dramatisch war das Sehen und Nicht-Sehen, das Entdecken und Erkennen, das Anschleichen und Heranstürmen gieriger Augen. Seine Kamera mordete, etwa im Kriminalfilm „Blutige Seide“, einem der Grundsteine des von Bava mitbegründeten Giallo-Subgenres. Seine Kamera war wie der Wind, wurde Wind; in „Die Stunde, wenn Dracula kommt“ weht sie einmal durch einen Raum, plustert Vorhänge auf und weht Gegenstände um.
Dann wieder ist sie wie Musik, die aus einer Tuba aufsteigt und ein tanzendes Paar begleitet. Ein anderer Mann tritt an die beiden heran, kurz glaubt man, er wolle sich grob die Frau greifen, doch dann schließt er heiter ihren Tanzpartner, wohl einen Trinkkumpanen, in seine Arme. Oder die Kamera schreitet erbarmungslos voran und erobert die neue Welt wie das alte Böse.
Ein in Finsternis gefasstes Menschenbild
Das ist sicher ein faszinierender Aspekt von Bavas Werk: dass er sich als Regisseur, der die Welt formt, gleichsam zusammentut mit den Mächten, die seine Figuren peinigen. Er ist an Darstellern und ihren Rollen nicht desinteressiert, aber sie sind meist irgendwo zwischen Schachfiguren und Hindernissen anzusiedeln. Ein in Finsternis gefasstes Menschenbild.
Keine Sequenz von „Die Stunde, wenn Dracula kommt“ ist effektiver
als die, in der einer der Ärzte, Professor Kruvajan, in der Nacht in das
Schloss der Familie Vaida gerufen wird. Eine Kutsche, gelenkt von Asas Meister
Dracula, trägt ihn durch nebeliges Nichts, dann wandelt er durch das
Schattenlabyrinth des Schlosses. Nahezu wortlos durchmessen sie diesen
unwirklichen Ort, bis er einsam in der Gruft endet, die er in seinem
Forschergeist schon einmal besucht hat. Er muss erkennen, dass er am Anfang des
neuen Schreckens steht, und in diesem Moment der Erkenntnis ist er auch schon
ein Verführter. Ein Diener des Dämonen Dracula. Die Kamera zerrt ihn durch
Raum, Zeit und sein Inneres, und er findet sich in den schwärzesten Abgründen
einer untoten Welt wieder.
Hinweise:
MUBI zeigt im März 2022 im Rahmen eines kleinen Mario-Bava-Schwerpunkts drei Filme des Regisseurs: "Die Stunde, wenn Dracula kommt" (ab 7.3.2022), "Die toten Augen des dr. Dracula" (ab 11.3.2022) und "Lisa und der Teufel" (ab 15.3.).
Außerdem ist "Die Stunde, wenn Dracula kommt" beim Label Koch Media im Rahmen einer "Mario Bava Horror Collection" auf DVD und BD sowie als Einzel-DVD und BD verfügbar.