Am 21. April 2022 feiert die US-amerikanische Komikerin, Drehbuchautorin und Regisseurin Elaine May ihren 90. Geburtstag. Im Showgeschäft hat sie sich an verschiedenen Fronten hervorgetan. Anfang der 1970er-Jahre wechselte sie nahtlos von der gefeierten Stand-up-Komikerin an der Seite von Mike Nichols zur Regie und war zeitweise die einzige Regisseurin im patriarchalen Studiosystem. Ihre vier selbst inszenierten Filme erweisen sich im Rückblick als originäre und frische Arbeiten, die immer noch zu wenig bekannt sind.
Das Bild, das die meisten von Elaine May gesehen haben, ist eines, auf dem sie nicht zu erkennen ist. In „Die Reifeprüfung“, dem großen Erwachen einer ganzen Generation des Hollywood-Kinos, realisiert von ihrem langjährigen Stand-up-Partner Mike Nichols, sieht man sie als Silhouette der Mitbewohnerin von Katharine Ross. Eine Schattenfigur, zu lange übersehen, aber auch heimisch im Reich des Ungewissen. Elaine May, vermutlich geboren 1932 als Elaine Berlin, Tochter des jiddischen Theaterstars Jack Berlin und seiner schauspielenden Gattin Ida Berlin.
So ganz genau weiß man das nicht, denn May (ihr Nachname kommt von ihrem ersten Ehemann Marvin May) widerspricht sich gern in Interviews und Pressemitteilungen. Das passt nur allzu gut zu den Figuren, die sie dem Kino geschenkt hat. Sich verkleidende Senatoren, eigentlich verstorbene Männer, Hochstapler, Lügner, Realitätsverweigerer, sich hinter dem Rausch eines Augenblicks versteckende Identitäten. Alles ist ein doppeltes Spiel, die große Heuchelei. Das Land der Möglichkeiten verkehrt sich in sein Schattenbild, eine Welt, in der jede Möglichkeit ihre eigene Unmöglichkeit einschließt. Das ist manchmal tragisch, aber bei May vor allem komisch.
Nur vier Filme durfte sie realisieren
Nur
vier Filme durfte die Schauspielerin, Komikerin, Drehbuchautorin und
Regisseurin May realisieren und das, obwohl drei zu den besten zählen, die Hollywood
in seinen ohnedies rühmlichen 1970er-Jahren produzierte. Ihr Debüt, „A New Leaf“ (1970; deutscher Titel:
„Keiner killt so schlecht wie ich“) ist eine herrliche Komödie, in der ein
misogyner Walter Matthau dringend eine Frau ehelichen und
umbringen muss, um seinen Reichtum zu bewahren. Die einzige in Frage kommende,
allerdings unfassbar tollpatschige Dame spielt May, die auch das Drehbuch
verfasste, selbst. Der Film ragt ins Groteske und führt die männlichen
Abwehrreaktionen gegen alles, was nach Gefühlen und Verantwortung aussieht, mit
einem regelrechten Feuerwerk an schwitzenden Gesichtern in Nahaufnahmen und
unvorhersehbaren Wendungen vor.
Ihr zweiter Film heißt „The Heartbreak Kid“ („Pferdewechsel in der Hochzeitsnacht“) und ist als existenzialistische Variation auf das berühmte Schlussbild von „Die Reifeprüfung“ seinem Vorbild in vielerlei Hinsicht überlegen. In seiner ersten großen Hauptrolle brilliert Charles Grodin nach einem Drehbuch von Neil Simon. Nach seiner Hochzeit mit Lila (Jeannie Berlin, die Tochter Mays) bekommt der um keine Lüge verlegene Mann plötzlich kalte Füße auf der Hochzeitsreise und verliebt sich zudem am Strand in eine andere Frau (Cybill Shepherd). Der Film arbeitet zwar mit komödiantischen Grundstrukturen, aber die selbstbezogene Zerrissenheit des Herzensbrechers und der damit verbundene Schmerz, den er seiner Frau zufügt, verformen die romantische Leichtigkeit in eine abgründige spirituelle Leere. Am Ende sitzt Grodin mit der gleichen Unzufriedenheit auf seiner zweiten Hochzeit, wie er es bereits auf seiner ersten Hochzeit tat, und man ahnt, dass das Glück bei May nur ein Irrlicht ist, das man jagt, um mit ihm unterzugehen.
Ihr dritter Film, „Mikey und Nicky“ (1976) ist vielen hierzulande am ehesten ein Begriff, weil die Präsenz von Peter Falk und John Cassavetes manche Wiederentdeckung des Films motivierte. Tatsächlich bringen viele den von Improvisationen, langen Einstellungen der Schauspieler und harten Schnitten gekennzeichneten Stil Mays mit jenem von Cassavetes in Verbindung. Auch wenn May aufgrund ihrer Abhängigkeit von großen Filmstudios sicherlich nie die Tiefe von Cassavetes in ihren Arbeiten erreichte, lassen beide ähnliche Interessen am widersprüchlichen Kern der menschlichen Seele erkennen.
Mays Film sind von müden, paranoiden, vom Leben aufgefressenen Menschen, die es zu lieben gilt, bevölkert. Sie schreien, bluten, spucken und weinen, obwohl sie all das verstecken wollten. So beginnt „Mikey und Nicky“ schon mit dem Gefühl eines Endes, als Nicky (Cassavetes) seinen Freund Mikey (Falk) darum bittet, ihm aus der Klemme zu helfen, da er von Gangstern verfolgt wird. Es entfaltet sich ein fulminantes Drama zwischen Flucht und Betrug, ein Buddy-Movie, das sich seiner selbst nie sicher sein kann.
Was fast alle Figuren im Universum von May gemein haben, ist ein unverantwortlicher Umgang mit Geld. Sie stehlen, geben zu viel aus, verlieren und wissen nicht, wohin damit. Das Geld hat die Figuren so sehr verformt, dass es wertlos geworden ist. Es ist eine Art MacGuffin, der die Zustände erklärt, aber nicht mehr heilen kann.
Verhängnisvoller Perfektionismus
Ihr Perfektionismus, der bei männlichen Kollegen ja oft bewundert wird, geriet May zum Verhängnis. Bereits ihr dreistündiger Schnitt von „A New Leaf“ wurde trotz vehementen Protests der Filmemacherin abgelehnt und ist bis heute nicht erschienen. Am schlimmsten erging es ihr aber mit „Ishtar“ (1986), einem großen Flop, bei dem es bereits am Set zu Unstimmigkeiten mit der Produktion kam, weil May vom korrekten Casting der Kamele bis zur Form der Sanddünen alles kontrollierte. Aufgrund dieser Konflikte arbeitete sie lange Jahre lediglich als Drehbuchautorin für männliche Kollegen. So schrieb sie etwa „Der Himmel soll warten“ von Warren Beatty und Buck Henry und hat auch an „Tootsie“ von Sydney Pollack maßgeblichen Anteil, obwohl sie in den Credits nicht erwähnt wird.
Die beiden Stars dieser Filme, Warren Beatty und Dustin Hoffman, wussten, bei wem sie sich zu bedanken hatten, und spielten folglich in Mays bis dato letztem Film „Ishtar“. Der Kassenflop ist eine wilde Auseinandersetzung mit der gleichen Mittelmäßigkeit, für die May in einem Sketch mit Nichols bei den Emmys 1959 einen „Total Mediocrity Award“ vergab. Zwei Möchtegern-Popstars werden von einem dubiosen Agenten nach Marokko geschickt und geraten dort in eine CIA-Abenteuergeschichte um einen politischen Konflikt und versteckte Schatzkarten. Der Film führt die sich selbst mythologisierenden Heldengeschichten des Ronald-Reagan-Kinos förmlich vor und spielt konsequent entlang der Linien, an denen Komödie unerträglich und das Unerträgliche lustig wird. Die Mittelmäßigkeit vermischt sich stets mit Extravaganz, so wie May bereits in ihren Sketchen das Vulgäre mit dem Snobistischen vermischte.
Den Wahnsinn um uns herum verstehen
Elaine May ist eine Filmemacherin, die den uns umgebenden Wahnsinn versteht. Weder erklärt sie ihn, noch psychologisiert sie ihn, stattdessen zelebriert sie in einem ausufernden Glückssegen schräger Figuren und Situationen die Ticks, die direkt unter der Oberfläche des pervertierten amerikanischen Traums schwimmen. Elektrische Pfeffermühlen, schwitzende Republikaner und eine geradewegs ins Absurde kippende Wahrnehmung des für Komödien so relevanten Geschlechterkampfes. Männer sind immer lächerlich in ihren Filmen, egal ob sie erfolgreich sind oder nicht. Die Frauen bekommen die Slapstickrollen, für die man sich fremdschämen muss.
Kritiker bemängelten, dass May ein äußerst negatives Bild jüdischer Frauen zeige. Sie haben nicht verstanden, dass schlicht nichts vor ihrem Blick sicher ist. Alle Liebesgeschichten und Freundschaften beruhen auf einer Lüge; die Frage ist nur, wie die Figuren mit dieser Lüge umgehen. Das entscheidet letztlich, ob ihre Filme ins Komödiantische oder Tragische neigen. Neben der Lüge existieren all die Dinge, die Menschen nicht können. Bei May sind diese Mängel der Motor, der das Komische ins Rollen bringt: Frauen, die nicht schwimmen können, tauchen in drei ihrer Filme auf. Ein geradezu metaphorisches Bild für das Haifischbecken patriarchaler Strukturen, die May nie direkt angreift, aber an ihren Grenzen erzittern lässt.
Als
Schauspielerin arbeitete sie unter anderem mit Woody Allen („Schmalspurganoven“
und „Crisis in Six Scenes“), aber vermehrt
am Broadway, wo sie Anfang der 1960er-Jahre mit Mike Nichols
alles andere als das heute mit ihr assoziierte Schattendasein fristete. Die
beiden waren Stars am Theater, im Radio und Fernsehen. Nichols und May lernten
sich in der Improvisationsszene Chicagos in einer Gruppe namens „The Compass“
kennen. Dort strebte man nach einer Wiederbelebung der italienischen „Commedia dell’arte“-Tradition in einer von den
Darstellern selbst initiierten Melange aus Pantomime, Gesang und Schauspiel.
Was May und Nichols auf die große Bühne brachte, war wohl ihre Fähigkeit, in
den absurdesten Sketchen einen entscheidenden Hauch an Identifikation zu
bewahren, sodass man sich nie sicher sein konnte und kann, ob man nicht selbst
Ziel des Witzes ist.
Mays Drehbuch zu „The Birdcage – Ein Paradies für schrille Vögel“ von Mike Nichols zeigt diese Kunstfertigkeit, mit der die beiden es verstanden, eine eigentlich ausweglose Situation in einen fruchtbaren Grund für Gags zu verwandeln. Die lange finale Sequenz, in der ein schrilles schwules Paar vor einem konservativen Politiker und dessen noch konservativerer Frau so tun müssen, als wären sie ebenso konservativ, gehört zu den am gründlichsten vorbereiteten Absurditäten der Filmgeschichte. Auch in den Filmen, die May selbst realisierte, spielen sich entscheidende Szenen immer in fast theatralen Settings ab. Dialoge in Innenräumen und die nur einfach wirkenden Begegnungen zweier Menschen gehören zu ihren Spezialitäten. Es gibt wohl wenige Filmemacherinnen, die die Nähe von Sketch und Tonfilm so gründlich erforscht haben wie May.
Abseits der vorgezeichneten Wege
Dabei wandelt sie stets einige Meter abseits der bereits vorgezeichneten Wege des Komödien-Genres, sodass man sich in ihren Filmen nie sicher fühlt. Verstärkt wird dieses Gefühl von ihrer Eigenart, den Ton verhältnismäßig deutlich vor dem Bild zu schneiden. Derart hört man bereits Stimmen, die noch gar nicht im Bild sind. May führt die oftmals geäußerte Maxime von Filmen vor, die deshalb gut sein sollen, weil man ihnen vertraut. Ihre Filme sind gefährlich, unberechenbar – und sie machen glücklich. „Selbst wenn sie im Kontext ist, wirkt Elaine May, als wäre sie aus dem Kontext gerissen“, schrieb Ally Acker einmal. Damit ist fast alles gesagt.
Denn neben Claudia Weill und Joan Micklin Silver gehört Elaine May zu den lange übersehenen, großen jüdischen Filmemacherinnen New Hollywoods. Mays Männerfiguren passen sehr gut in ihre Zeit. Sie sind Anti-Helden, die in den Ruinen des American Dream nach Sinn suchen. Trotzdem wurde ihre Arbeit nur selten besprochen, wenn es um New Hollywood ging. Nach Ida Lupino, die zuletzt 1966 bei einem Spielfilm Regie führte, blieb May mit „A New Leaf“ bis zu Joan Darling und ihrem Drama „First Love“ 1977 die einzige Frau, die einen Film mit einem großen Studio realisierte. Sie erhielt für ihre dreifache Arbeit (Buch, Regie, Schauspiel) 50.000 Dollar; Walter Matthau mehr als das Siebenfache. Bis heute wird ihre Karriere über ihre Zusammenarbeit mit Männern (Nichols, Cassavetes, Beatty) definiert. Das alles wäre schon problematisch genug, aber wenn man die schiere Wucht und Brillanz dieser Filme sieht, dann bleibt da nur das Gefühl, dass wir etwas verpasst haben. Es gereicht zur Scham eines patriarchalen Systems, dass Mays Schatten heller leuchtet als die meisten Sterne am Himmel.
Hinweis
Der Film "A New Leaf" von Elaine May kann über Prime Video gesehen werden (hier), ebenso "Ishtar" (hier).