© Filmwelt Verleihagentur / Gordon Timpen (aus dem geförderten Til-Schweiger-Film „Lieber Kurt“)

Kino gegen den Stream (III) - Vom Autorenfilm zum Produzentenkino

Wie kam es dazu, dass die deutsche Filmförderung heute ermöglicht, was sie einst bekämpfte? Eine historische Spurensuche, Teil I

Veröffentlicht am
30. Oktober 2022
Diskussion

Nach dem „Oberhausener Manifest“ 1962 konnten die Unterzeichner mit Unterstützung der Politik rasch die Filmförderung auf den Weg bringen, was den Aufstieg des anspruchsvollen „Neuen Deutschen Films“ ermöglichte. Über rund zwanzig Jahre konnte der Autorenfilm blühen, weil Kreative, Förderwillen und internationale Beachtung ein gemeinsames Interesse verfolgten. Doch wurden in dieser Zeit auch schon die Voraussetzungen für das Umdenken geschaffen, durch das in der heutigen Praxis die Filmförderung eher schlechten Filmen zugutekommt als guten. Eine historische Spurensuche, Teil 1.


„Wir erklären unseren Anspruch, den neuen deutschen Spielfilm zu schaffen. Dieser neue Film braucht neue Freiheiten. Freiheit von den branchenüblichen Konventionen. Freiheit von der Beeinflussung durch kommerzielle Partner. Freiheit von der Bevormundung durch Interessengruppen.“ („Oberhausener Manifest“)


Die Geschichte der Kunst ist reich an Manifesten, viele hören nicht auf, nachfolgende Generationen zu inspirieren. Dass sie hingegen einmal die Politik inspirieren, kommt nur selten vor. Anders das Oberhausener Manifest, das 1962 eine Debatte über staatlich gelenkte Filmförderung befeuerte und die deutsche Filmgeschichte verändern sollte. Schon der Sprachduktus erinnert eher an eine politische Rede, was vielleicht damit zu tun hat, dass der Wortführer der jungen Filmemacher, die es unterzeichneten, Dr. jur. Alexander Kluge, bereits einige Jahre als Rechtsanwalt praktiziert hatte. Man kann auch Filmmanifeste schreiben, die deutlicher ausdrücken, welche Art von Kunst wir propagieren wollen.

In seiner Filminstallation Manifestowählte der Künstler Julian Rosefeldt das Papier eines anderen deutschen Filmemachers, um es Cate Blanchett als Film-Dozentin in den Mund zu legen. Werner Herzogs Minnesota Declaration wurde erst am 30. April 1999 verlesen; da war die Epoche des Neuen Deutschen Films bereits Geschichte: „Im Film liegt die Wahrheit tiefer, und es gibt so etwas wie poetische, ekstatische Wahrheit. Sie ist geheimnisvoll, schwer greifbar und man kommt ihr nur durch Dichtung, Erfindung und Stilisierung bei.“

Längst waren die Zeiten vorbei, in denen Filmemacher für staatliche Förderungen kämpften, was man in Minnesota wohl ohnehin etwas exotisch gefunden hätte. Tatsächlich hatte Werner Herzog zu den ersten Künstlern gehört, die vom erstaunlichen Einfluss der jungen Männer profitierten, die vor gut sechzig Jahren, am 28. Februar 1962, in der Oberhausener Volkshochschule zur Pressekonferenz eingeladen hatten. Herzogs Langfilmdebüt Lebenszeichen verdankte seine Entstehung 1967/68 dem aus dieser Initiative hervorgegangenen Kuratorium junger deutscher Film.

Programmatisch: Kluges „Abschied von gestern“ (© Constantin)
Programmatisch: Kluges „Abschied von gestern“ (© Constantin)

Es ist leichter, schlechte Filme zu produzieren als gute

Heute hingegen bringen uns große Worte großen Filmen wohl nicht mehr näher. Die Filmförderung selbst hat sich ihnen in den Weg gestellt, indem sie es den Produzentinnen und Produzenten leichter macht, schlechte Filme zu produzieren als gute. Wie konnte das geschehen? Wie ist es möglich, dass nach sechs Folgegesetzen zur Änderung des Filmfördergesetzes und weiteren Neufassungen genau jenes Kino gefördert wird, dem man doch ursprünglich eine bessere Alternative ermöglichen wollte?

Blenden wir noch einmal zurück. Wenig ließ in ersten Presseveröffentlichungen von 1962 die Wirkung der „Oberhausener“ erahnen. „Oberhausen sollte sich weigern, den Tummelplatz für Leute abzugeben, deren Aktionen meist nur aus ebenso anmaßenden wie taktlosen Auftritten bestehen und deren Jugendlichkeit dafür allenfalls eine Entschuldigung, aber keine Erklärung ist“, urteilte etwa die Aachener Volkszeitung. Den vielzitierten Satz, „Papas Kino ist tot“, eine übersetzte Parole der Pariser Nouvelle Vague, hatte die Gruppe nicht einmal in ihr Manifest geschrieben. Medienwirksam verteilte sie diesen auf grünen Stickern. Entscheidender als das Papier selbst war wohl, wie konsequent die Gruppe ihr Ansinnen weiterverfolgte. Noch 1962 gründeten 14 der Unterzeichner die „Stiftung junger deutscher Film“, die 1965 zum „Kuratorium junger deutscher Film“ wurde.

Bereits 1964 hatte der damalige Bundesinnenminister, Hermann Höcherl, gegenüber einer Delegation um Kluge seine Bereitschaft erklärt, neben der glücklosen Drehbuchförderung, die es bereits gab, eine Regieförderung einzurichten. Im Oktober 1965 wurden aus zwanzig Anträgen sechs Förderprämien vergeben, darunter sind spätere Klassiker des „Neuem Deutschen Films“: Kluges Abschied von gestern, Der Brief von Vlado Kristl und Mahlzeiten von Edgar Reitz. Am 22. Dezember 1967 schließlich wurde das erste Filmförderungsgesetz verabschiedet und damit die bis heute bestehende Filmförderungsanstalt gegründet. Als eine ihrer Aufgaben listet § 2 gleich an erster Stelle, „die Qualität des deutschen Films auf breiter Grundlage zu steigern“.

„Mahlzeiten“ von Edgar Reitz (© IMAGO / United Archives)
„Mahlzeiten“ von Edgar Reitz (© IMAGO / United Archives)

Anderswo war man 1962 schon weiter

Andere europäische Filmnationen besaßen längst ähnliche Institutionen. Die föderalistische Struktur der Bundesrepublik Deutschland hatte zwar der Bühnen- und Museumskunst zu paradiesischen Strukturen verholfen, doch das überregional operierende Kinogeschäft sich selbst überlassen. Die ersten Filmförderungsgesetze Europas wurden in den 1950er-Jahren in Italien, Frankreich und Großbritannien erlassen. 1962 folgte die Schweiz, in Schweden erfüllt das 1963 gegründete Schwedische Filminstitut bis heute diese Aufgabe. Dabei ist es wohl nicht ganz unerheblich, dass all diese Nationen ihre Filmförderung an bereits bestehende Institutionen angliedern konnten, die sich bereits mit der kulturellen Pflege von Filmkultur und Filmerbe befassten. In der Bundesrepublik Deutschland wurde erst in den 1950er-Jahren das Bundesarchiv Filmarchiv gegründet. Das Fehlen einer solchen Institution hatte auch mit der unseligen Verflechtung von Staat und Kino im Nationalsozialismus und der Auflösung des Reichsfilmarchivs als Kriegsbeute zu tun.

1962 fehlte es in Deutschland sogar an einer öffentlichen Filmausbildung. Wer das Filmemachen erlernen wollte, hatte kaum eine andere Wahl, als an industriellen Produktionen mitzuwirken. Den jungen Kurzfilmregisseuren ging es primär darum, ihre Langfilme unabhängig von der privatwirtschaftlich operierenden Filmindustrie zu drehen. Heute ist es praktisch umgekehrt: Die Filmförderung sieht ihre Aufgabe darin, weitgehend außerhalb künstlerischer Kriterien Produktionsfirmen in die Lage zu versetzen, ihre Produkte herzustellen. Die öffentliche Hand nimmt ihnen das finanzielle Risiko fast vollständig ab und verhilft ihnen – durch Handlungskosten und „Producer’s Fees“ – bereits bevor die erste Kinokarte verkauft ist, profitabel zu operieren. Das gelingt natürlich bei einer Massenproduktion effektiver als bei Einzelstücken.

Aber natürlich wäre es naiv zu glauben, die Adenauer-Regierung von 1962 hätte keine wirtschaftlichen Interessen im Blick gehabt, als sie den mehrheitlich in München tätigen Jungfilmern die Hand reichte. Nicht anders ist die überraschende Allianz zwischen CSU-Minister Höcherl und dieser Avantgardebewegung zu verstehen. Der wollte, wie eine Äußerung gegenüber der Illustrierten „Quick“ nahelegte, zugleich der Filmindustrie einen Denkzettel erteilen. Die hatte sich angesichts des dramatischen Besucherrückgangs während des Fernsehbooms alles andere als qualitätsbewusst gezeigt:

„Mit Bedauern muss die Bundesregierung sehen, dass die deutsche Filmwirtschaft sich über die kurze Scheinblüte seichtester Unterhaltung und Schnulzen nicht im Klaren war und dass eine Gesundung auf lange Sicht nur von der filmkünstlerischen Seite insbesondere über die Heranbildung eines hoch qualifizierten Nachwuchses erwartet werden kann. Ich glaube versichern zu können, dass die Bundesregierung bereit wäre, hier zu helfen, wenn von der Filmwirtschaft her wirklich konstruktive Lösungsmöglichkeiten aufgezeigt werden.“

Heimatfilme wie „Försterliesel“ standen für die künstlerische Dürftigkeit vor dem Oberhausener Manifest (© IMAGO / United Archives)
Heimatfilme wie „Försterliesel“ standen für die künstlerische Dürftigkeit vor dem Oberhausener Manifest (© IMAGO / United Archives)

Hoffnung auf das Überschwappen der Nouvelle Vague

Man wollte die Filmindustrie also zum Jagen tragen, indem man ihr eine ökonomischere und zugleich anspruchsvollere Alternative gegenüberstellte. Dietrich Kuhlbrodt, als Filmkritiker einer der Zeitzeugen, erinnerte anlässlich des vierzigsten Jahrestags des Manifestes in der taz: „Die Oberhausener Jungen Arm in Arm mit dem von uns geschmähten CSU-Polizeiminister: Was war das für eine Koalition! Und wenn wir dezidiert pro Oberhausen waren, dann weil wir hofften, dass etwas von der Nouvelle Vague, die es ja schon seit 1958 gab, zu uns schwappen würde […]. Das Oberhausener Wirtschaftskonzept sah vor, das Risiko des einzelnen Films zu minimieren. Wenn nur einer der zehn Filme erfolgreich sein würde und drei so lala durch die Kinos kämen, könnten sechs Flops durchgezogen werden. Schon im März 1962 stellte der Berliner Altproduzent Artur Brauner dann in Spandau seine eigene Rettungsstrategie vor: die „riskante Welle“. Für nur 350.000 Mark statt der bis dahin üblichen 1,2 Millionen wollte er jährlich drei Filme produzieren, bei denen auch Jungautoren und Jungregisseure eingebunden werden sollten. Doch unseren Manifest-Pathetikern war das zu spekulativ und billig.“

Nach der ersten Gesetzesfassung operierte die FFA als eine reine Referenzfilmförderung. Die Referenzfilme mussten Brutto-Einnahmen von 500.000 DM vorweisen können, falls sie ein Prädikat oder einen Preis bei einem A-Festival erhalten hatten, reduzierte sich dieser Betrag auf 300.000 DM. Eine Schlüsselrolle kam dem Fernsehen zu. Die FFA sollte die TV-Rechte aller geförderten Filme für je 100.000 DM erwerben und sie an die Sender zum gleichen Betrag wieder veräußern. Das aber war mehr als das Doppelte dessen, was dort üblicherweise für Spielfilmankäufe bezahlt wurde. Durch den überhöhten Betrag sollten die Fernsehanstalten ihrerseits die Filmindustrie fördern. Das nützte den Altproduzenten und verdankte sich einer intensiven Lobbyarbeit der Filmtheaterbesitzer. Den Regisseurinnen und Regisseuren des Neuen Deutschen Films hingegen schadete diese Regelung, da sie ja bereits in aller Regel mit Geldern der Fernsehanstalten arbeiteten, die sich dafür die TV-Rechte sicherten. So konnten sie eine der Bedingungen des ersten FFA-Gesetzes gar nicht erfüllen.

Die Fernsehanstalten wiederum sahen nicht ein, für Filme zu bezahlen, auf die sie keinen Einfluss hätten und weigerten sich, die von der FFA für die TV-Ausstrahlung angekauften Filmlizenzen zu erwerben. Bereits in der ersten Novelle von 1971 verschwand deshalb die Verpflichtung der FFA zum Lizenzankauf. Eine erweiterte „Minderqualitätsklausel“ schloss Filme von der Förderung aus, die „sexuelle Vorgänge in expliziter Weise“ darstellten. 1970 war mit dem von Wolf C. Hartwig für 200.000 DM produzierten Film Schulmädchenreport eines der profitabelsten Werke der deutschen Filmgeschichte erschienen und wies einem Teil der deutschen Filmindustrie eine goldene Zukunft, die wahrlich keiner Förderung bedurfte. Sechs Millionen Zuschauer sahen allein diesen Film, dem zwölf Fortsetzungen folgten.

In der Minderqualitätsklausel sah Alexander Kluge ein Einfallstor für Zensur. Auf Druck der Kinobetreiber und -verleiher wurde in der ersten Novelle eine Sperrfrist von fünf Jahren für Fernsehausstrahlungen eingeführt, die in Ausnahmefällen auf zehn Jahre verlängert werden konnte.

„Lebenszeichen“ von Werner Herzog (© StudioCanal)
„Lebenszeichen“ von Werner Herzog (© StudioCanal)

Der Autorenfilm mit relevanter Sichtbarkeit im Kino

Die allerdings verkürzte die „Große Novelle“ von 1973 auf zwei Jahre – und verlangte zugleich eine angemessene Anzahl von Fördervorhaben, die überhaupt zur Ausstrahlung im Fernsehen geeignet seien. Der Versuch, die Sender dazu zu verpflichten, ähnlich wie die Kinobetreiber Abgaben an die FFA zu zahlen, scheiterte hingegen – die Intendanten verwiesen darauf, dass Fernsehen Länderangelegenheit sei. Alexander Kluge erreichte schließlich – als Wortführer der „Arbeitsgemeinschaft der Neuen Deutschen Filmproduzenten“ – einen Kompromiss, mit dem 1974 das Film-Fernseh-Abkommen geboren wurde. Es setzte eine bestimmte Geldsumme für Koproduktionen fest. Nun erhielt der deutsche Autorenfilm auch eine relevante Sichtbarkeit im Kino.

Zunächst hatten die Fernsehanstalten noch auf TV-Premieren bestanden, die dann nur wenige Kinos nachspielen wollten. Verlierer dieser Entwicklung waren die Altproduzenten; der Neue Deutsche Film hingegen erlebte seine Glanzzeit. Das gute Verhältnis, das seine Kreativen zu den Fernsehredaktionen aufgebaut hatten, trug Früchte und größere Budgets erweiterten ihre Möglichkeiten.

Der glücklichen Lobbyarbeit insbesondere durch Alexander Kluge war es zu danken, dass das Produkt „Neuer“ oder „Junger Deutscher Film“ trotz seiner engen Bindung an die Fernsehredaktionen international zu einer Marke wurde. 1974 zeigte Cannes Fassbinders Douglas-Sirk-Hommage Angst essen Seele auf im Wettbewerb, Wenders’ Highsmith-Verfilmung Der amerikanische Freund beeindruckte auch in der amerikanischen Filmöffentlichkeit. Abgekoppelt von dieser Entwicklung waren Publikums- oder Genrefilme, die sich nicht in diesen Geschmackskanon integrieren ließen – wie etwa die Werke von Roland Klick. Obwohl seine Filme Bübchen“, Supermarkt und Deadlock seit ihrer Wiederentdeckung in den 1990er-Jahren (zum Beispiel durch die Viennale-Retrospektive „Nicht versöhnt – Filme aus der BRD 1964-76“) bleibende Anerkennung erfuhren, zählten sie damals nicht zum filmkünstlerischen Kanon. Ähnlich war es bereits in den späten 1960er-Jahren den Filmen von Ulrich Schamoni („Alle Jahre wieder“, 1967) und May Spils („Zur Sache, Schätzchen“, 1968), Klaus Lemke („48 Stunden bis Acapulco“, 1967) oder Rudolf Thome („Rote Sonne“, 1970) ergangen, freien Produktionen ohne Filmförderung. Ihr zum Teil beträchtlicher Publikumserfolg – 6,5 Millionen sahen Zur Sache, Schätzchen – bewies, dass es zumindest eine Zeitlang auch ohne staatliche Hilfe die Chance einer deutschen „Nouvelle Vague“ gegeben hätte.

Ein Nouvelle-Vague-geprägter Kassenerfolg ohne Filmförderung: „Zur Sache, Schätzchen“ (© Alpha)
Ein Nouvelle-Vague-geprägter Kassenerfolg ohne Filmförderung: „Zur Sache, Schätzchen“ (© Alpha)

Warum wurden Kunst und Unterhaltung so stark getrennt?

Die Filmförderung ermöglichte dagegen erstmals seit der staatlich gelenkten Filmproduktion der NS-Zeit wieder Filme, die sich nicht wirtschaftlich rechnen mussten: Radikale Kunstwerke, vergleichbar dem modernen Theater, Ballett oder der Bildenden Kunst, die damals ebenfalls Blütezeiten erlebten. Aus heutiger Sicht stellt sich natürlich die Frage: Warum wurden diese beiden Facetten des Kinos, Kunst und Unterhaltung, in der Wahrnehmung so stark voneinander getrennt? Die deutsche Feuilleton-Kritik unterstützte das hierarchische Verständnis von „High“ and „Low“ noch bis in die 1990er-Jahre. Erst im retrospektiven Blick von heute scheinen die Mauern zu fallen. 2019 fragte ich nach einer Berlinale-Aufführung eines gemeinsamen Kurzfilmprograms die Filmemacherinnen Helke Sander und Ula Stöckl, ob sie May Spils’ Zur Sache, Schätzchen seinerzeit gesehen hätten – was sie verneinten. Auch die von der Filmwerbung herausgestellte Besonderheit, dass hier zum ersten Mal seit Leni Riefenstahl eine weibliche Regisseurin hinter der Kamera eines abendfüllenden deutschen Spielfilms stünde, verhalf May Spils’ Komödie offenbar nicht dazu, im Kontext des anspruchsvollen Autorenfilms beachtet zu werden.

Aus der Perspektive der Filmförderung betrachtet, würde eine Trennung zwischen Kunst und Kommerz natürlich insofern Sinn machen, als eine wirtschaftlich erfolgreiche Industrie naturgemäß keiner Hilfe bedarf. Kunstanspruch aber war im Fördergesetz weder explizit gefordert, noch waren Qualitätskriterien definiert. Offenbar reichten die Vorlieben der Fernsehredaktionen und das gewachsene Renommee des Neuen Deutschen Films, um den kulturellen Anspruch zu garantieren.

Glückliche Höhepunkte der Symbiose zwischen Fernsehen und Kino waren Werke, bei denen man gar nicht mehr sagen konnte, ob sie ihre ideale Wirkungsstätte eher auf dem Bildschirm oder der Leinwand hätten – Fassbinders Berlin Alexanderplatz (1980) und Edgar Reitz’ Heimat (1981) waren gleichermaßen Fernsehkunst und episches Kino.

Wenigstens bis zu Fassbinders Tod 1982 hielt diese Einheit aus Förderphilosophie, der Gunst der Fernsehredaktionen und internationaler Wahrnehmung. Dann aber verschoben sich diese Vorlieben. Mit der Konkurrenz zum Privatfernsehen (das 1984 an den Start ging, aber erst 1989 in die FFA einzahlte) verloren die Verfechter der Neuen Deutschen Films in den Redaktionen an Einfluss. Der Produzent Bernd Eichinger, Regisseure wie Wolfgang Petersen, Roland Emmerich oder Doris Dörrie, die mit „Männer“ sechs Millionen Zuschauer anlockte, verschafften deutschen Produktionen Sichtbarkeit auch in den Multiplexen.

„Das Boot“ lockte Millionen in Multiplexe (© Constantin)
„Das Boot“ lockte Millionen in Multiplexe (© Constantin)

Wesentliche Änderungen ab 1983

1983 konnte der CSU-Innenminister, Friedrich Zimmermann auf die Unterstützung des Boulevards vertrauen, als er kurz nach seinem Amtsantritt die Freiheiten staatlicher Filmförderung in deutliche Schranken wies. Nach einer Vorstellung von Herbert Achternbuschs wegen angeblicher Blasphemie kritisiertem Film Das Gespenst, verweigerte er dem Filmemacher und Produzenten die letzte Auszahlung aus den Fördermitteln des Bundesfilmpreises; für sich selbst verlangte er dagegen nach einem Schnaps.

In der Folge setzte er wesentliche Änderungen für ein weiteres wichtiges Förderinstrument, die Vergabe der Bundesfilmpreise, durch. Unter anderem sollte das Preisgeld für das nächste Projekt nur noch 30 Prozent der gesamten Produktionskosten ausmachen. In der Bundestagssitzung vom 24. Oktober 1983 erklärte Zimmermann, er werde keine Filme finanzieren, die außer dem Produzenten niemand sehen wolle. Für den deutschen Autorenfilm bedeutete das ein Ende der Unabhängigkeit, da sich kaum jemand in der Lage sah, die restlichen 70 Prozent eines Budgets vorzufinanzieren oder zu erwirtschaften. Alexander Kluges Befürchtungen nach einem Einfallstor für Zensur hatten sich bestätigt.

Bereits 1979 sah eine große Gruppe teils prominenter Vertreter des Autorenfilms die Errungenschaften der „Oberhausener“ bedroht, darunter die damaligen Manifest-Unterzeichner Alexander Kluge und Edgar Reitz neben Rainer Werner Fassbinder, Wim Wenders, Margarethe von Trotta, Volker Schlöndorff, Hark Bohm oder Peter Fleischmann. Ihre Sorge galt allerdings noch nicht einer Priorisierung wirtschaftlicher Aspekte, sondern der Dominanz von Gremien und Sendeanstalten bei der Mittelvergabe. Am 22. September 1979 verlasen sie ihre „Hamburger Erklärung“ anlässlich des dortigen „Filmfests der Filmemacher“. Dieses heute weniger bekannte Manifest hatte seinerzeit beträchtlichen Einfluss.

„Wir haben 17 Jahre nach Oberhausen eine Art Bilanz gezogen: Die Stärke des deutschen Films ist seine Vielfalt. In drei Monaten beginnen die 80er Jahre. Phantasie lässt sich nicht verwalten. Gremienköpfe können nicht bestimmen, was der produktive Film tun soll. Der deutsche Film der 80er Jahre kann nicht mehr von Gremien, Anstalten und Interessengruppen so wie bisher fremdbestimmt werden. Vor allem: Wir lassen uns nicht auseinanderdividieren: – der Spielfilm nicht vom Dokumentarfilm, – Filmemacher, die schon Filme gemacht haben, nicht vom Nachwuchs, – Filme, die das Medium reflektieren (und das praktisch tun, indem sie experimentieren) vom Erzähl- und Kinofilm. Wir haben unsere Professionalität erprobt. Wir können uns deshalb nicht als Zunft verstehen. Wir haben gelernt, dass unsere Verbündeten nur die Zuschauer sein können: Das sind die Menschen, die arbeiten, die Wünsche, Träume und Interessen haben, das sind Menschen, die ins Kino gehen, und die, die nicht ins Kino gehen, auch die, die sich einen ganz anderen Film vorstellen können. Wir müssen uns auf die Socken machen.“

Zu „blasphemisch“ für eine von der CSU überwachte Filmförderung: „Das Gespenst“ (© Verlag der Autoren)
Zu „blasphemisch“ für eine von der CSU überwachte Filmförderung: „Das Gespenst“ (© Verlag der Autoren)

Das Hamburger Filmbüro und der Auftritt von Dieter Kosslick

Auch dieses Manifest hatte Einfluss auf die Politik. Eine neue Form der Filmförderung wurde aus der Taufe gehoben, die regional ausgerichtet war. Der Hamburger Senat erkannte seine Chance gegenüber der Filmstadt München und bewilligte jährlich drei Millionen D-Mark für eine Filmförderung. Das Hamburger Filmbüro e.V. wurde gegründet, um die Gelder in selbstgewählten Gremien zu verteilen.

In Hamburg existierte seit den frühen 1960er-Jahren eine blühende Experimental- und Undergroundszene, die 1968-1971 die vielbeachteten Hamburger Filmschauen ausgerichtet hatte – darunter Hellmuth Costard, Klaus Wyborny, Werner Grassmann, Helmut Herbst, Dore O. und Werner Nekes. Grabenkämpfe zwischen ästhetischen und politischen Schulen sorgten freilich für ein dauerhaftes Konfliktpotential. Der bekannte Hamburger Filmemacher und zeitweilige Fassbinder-Darsteller Hark Bohm gehörte nicht zu diesem „anderen Kino“. Mit erfolgreichen Coming-of-Age-Filmen wie Tschetan, der Indianerjunge, Nordsee ist Mordsee und Moritz, lieber Moritz stand er für einen populären Autorenfilm, den man heute als „Arthouse-Cinema“ bezeichnen würde; für Fatih Akin wurde er später zum Mentor. Bohm war es, der der Förderpolitik des Hamburger Filmbüros in Richtung einer marktorientierten Förderung den entscheidenden Impuls gab – indem er als Geschäftsführer einen neuen Typ des Kulturmanagers vorschlug – Dieter Kosslick.

Die basisdemokratische Mittelverwaltung des Hamburger Filmbüros behandelte Dokumentar- und Spielfilme gleichrangig, wobei 70 Prozent der Fördergelder an abendfüllende Kinoproduktionen gingen und 30 Prozent an „Filme, die durch die Raster gefallen sind“. Kurzfilme und innovative Projekte aus allen filmischen und elektronischen Produktionsverfahren. Jährlich wurden vier Gremien gewählt, die aus je drei Personen bestanden. Für jeden Schwerpunkt gab es zwei Gremien, eines aus Filmemachern und eines aus „Filmlaien“, Journalisten, Musikern, Malern oder Wissenschaftlern usw. Dass bereits 1982, knapp drei Jahre nach Gründung des Filmbüros, eine Wirtschaftsförderung als zweites Standbein hinzukam, markierte eine Wende in der Filmpolitik – und ist eng verbunden mit dem Auftritt des in den folgenden beiden Jahrzehnten vielleicht einflussreichsten Vertreters dieser neuen, schließlich weithin kopierten Standortpolitik – Dieter Kosslick. 2021 resümierte er in seinen Memoiren: „Jetzt ging es um die Nachfolge der Geschäftsführung des Hamburger Filmbüros, der kulturellen Filmförderung. ‚Du bist doch ein guter Manager‘, meinte Hark Bohm. ‚Dich könnten wir gebrauchen.‘[…] Ich war sehr nervös, als ich dem Gremium im Filmbüro in der einstmals größten Schiffsschraubenfabrik Zeise in der Altonaer Friedensallee 7 gegenübertrat. Nicht Fragen zu Werdegang und Zielen würden entscheidend sein, sondern die nach meinem Lieblingsfilm. Einen Film aus der Riege der Anwesenden zu nennen, wäre kontraproduktiv gewesen. Also sagte ich: „Ben Hur.“ Da herrschte erst mal Schweigen. Ben Hur, dieser epochale Sandalenfilm, hatte nun gar nichts mit dem zu tun, was die meisten der anwesenden Regisseure umtrieb: die Erneuerung des Films mit Geschichten, die das Leben widerspiegeln – und keine Gladiatoren, die wild einander prügeln, sondern kleine Helden des Alltags. Am Ende klappte es aber trotzdem. Ein Fünf-Jahres-Vertrag machte klar, dass es sich nicht um eine kurzfristige Angelegenheit handelte. Es ging um nichts weniger als die Erneuerung der deutschen Filmförderung.“

(Fortsetzung folgt)


Hinweis

Die Beiträge des Kracauer-Blogs „Kinomuseum“ von Daniel Kothenschulte und viele andere Texte, die im Rahmen des Siegfried-Kracauer-Stipendiums in früheren Jahren entstanden sind, finden sich hier.

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