© Cinémathèque suisse/Carine Roth (Jean-Marie Straub)

Ins Wort fallen - Jean-Marie Straub

Erinnerungen an den französischen Regisseur Jean-Marie Straub (8.1.1933-20.11.2022) und sein zusammen mit seiner Partnerin Danièle Huillet geschaffenes Werk

Veröffentlicht am
30. Januar 2023
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Am 20. November 2022 starb der französische Regisseur Jean-Marie Straub, der zusammen mit seiner Partnerin Danièle Huillet ein einzigartiges Œuvre erschaffen hat. Das als Huillet-Straub bekannte Duo arbeitete sich an politischen Fragen, Literaturvorlagen und Musik auf eine Weise ab, die zwischen heftiger Ablehnung und trotziger Verteidigung wenig Zwischentöne erfuhr. Dieser Umgang mit ihrem Werk wurde dem Ansinnen der beiden aber kaum gerecht, da für sie die Auseinandersetzung und konkrete Einwände die wichtigsten Impulse waren.


„Tönn.“ Danièle Huillet hat sich im Gespräch für das Kulturmagazin „Einer Keiner Hunderttausend“ des Vierten Kanals vor laufender 16mm-Kamera gerade in Fahrt geredet und auf die Fallen von Verständniskrücken im Umgang mit einer Textvorlage hingewiesen: „Das ist eine Lawine. Man nimmt ein anderes Wort und eine Seite oder dreißig Seite später“, als sie von Jean-Marie Straub jäh aus dem Rhythmus gebracht wird. Der sitzt neben ihr am Tisch, schaut vor sich hin, hängt mit im Satz und stopft ein Loch. Kein inhaltlicher Widerspruch, kein Selbst-Anmelden, keine Besserwisserei, nur diese eine Silbe, nah dran am akustischen Signal. Huillet greift das ihr Zugespielte auf: „Tör? ... Tönn.“ Will weitermachen und stockt irritiert. „Wieso ‚Tönn‘?“ – „Sei-Tönn.“ – „Ja. [beide lachen] ... später entdeckt man…“

Das ist schon alles. Das ist der ganze „Huillet-Straub“, über den nur selten unemotional geredet wird, und der von vielen entschieden abgelehnt, von anderen ebenso entschieden gefeiert werden muss. Für beide Haltungen können die Filmemacher nichts. Für das unbedingt Unterschiedslose kann man sich nichts kaufen. Ein Arbeitsverhältnis zur Arbeit stellt sich so nicht her. Dieser eine Moment in einer Situation aus dem Jahr 1988, ein Versprecher mit französischem Akzent beim Erklären einer Vorgehensweise, die Numerusflexion im Suffix, der Singular ist ein Plural im Versteck, diese ungewollte Selbstvorstellung in den Papieren des Films, zeigt besser als die vielen Zuschreibungen, worauf es bei den beiden ankam: nämlich sich anzuhalten, genauer zu sein. Ihre Arbeitsethik ist nicht an Perfektion interessiert, sondern will etwas herausfinden und hört nicht einfach auf. Sie ist leidenschaftlich, spielerisch, konfrontativ, streng und lustig zugleich. Und verliebt. Zwei plus. Allein geht das nämlich nicht. Danièle Huillet: „Als wir noch ganz jung waren und uns noch nicht lange kannten, habe ich ihn einmal in der Metro aus der Entfernung angeguckt und gedacht: Was der vorhat, schafft der nie allein. Zu zweit werden wir nicht zu viele sein.“ (Was sie aus einem Bresson-Film hat.)


Bei Huillet/Straub gibt es keinen Singular

Wenn nun aber „Huillet-Straub“ für Menschen, die sich für Film interessieren, ein Begriff für eine Arbeitsweise ist, und sie als zentrale Position unbestritten in den Filmgeschichten und -theorien stehen – was schreibt man dann nach dem 20. November 2022 zum Tod von Jean-Maire Straub, wenn Danièle Huillet schon am 9. Oktober 2006 gestorben ist? Wenn einer bei beiden immer mehrere ist, die sich immer neu zusammentun und erfinden?

Die vielen „Seitönn“ einer geteilten Autorschaft im Singular angehen zu wollen, macht nicht wirklich Sinn. Unter einem Namen lassen sich diese Filme nicht subsumieren. Die Filme, die Jean-Marie Straub nach „Jene ihre Begegnungen“ (2006) drehte, sind biografisch (halb)verbunden, Trauerarbeit und mehr, sie sind aber etwas anderes.

Der letzte gemeinsame Film: "Jene ihre Begegnungen" (ZDF/Renato Berta)
Der letzte gemeinsame Film: "Jene ihre Begegnungen" (© ZDF/Renato Berta)

Bei den Huillet-Straub-Projekten hat man es mit Gruppenarbeiten von mehr als einer/einem und auch mehr als zwei – aber nicht zu vielen – zu tun. Mit Mitstreitern, die in Kamera (Renato Berta, William Lubtchansky, Henri Alekan), Ton (Louise Hochet, Antonio Grigioni, Georges Vaglio) und Drehbuch allesamt einzeln Autorschaft für sich reklamieren könnten. Die Teams sind klein. Und gewohnt, sich bei der Arbeit mit Toten auszutauschen, den Erfahrungen einer historischen Situation, die die eigene neu verhandelt und unter Anpassungsdruck setzt. Das ist ganz selbstverständlich. Weil das, was man selbst zu erzählen hätte, nicht so viel hergibt. „Originell ist man nicht“, lautet der Dauerbrenner. Auch muss nicht aus allem gleich eine Geschichte gemacht werden. Die jeweiligen Projekte konsultieren bereits Entworfenes aus unterschiedlichen Feldern für eine Vorgehensweise, die es erst noch gemeinsam zu entdecken gilt. Aktiviert zur Mit- und Weiterarbeit werden öffentliche Angebote mit einer Komplexität, die anspricht. Brachliegende, angefangene Potenziale.

Ob die Personen, die für diese Vorarbeiten zeichnen, Hölderlin, Kafka, Bach oder Cézanne heißen, ob sie jetzt leben oder in der Vergangenheit, ist unerheblich. Das gilt auch für Huillet/Straub. Ihre Arbeiten bieten sich für die aktuelle Situation an. Sie liegen nahe. Man kann sie nehmen und mit ihnen einfach weitermachen. Daher sind sie in unserer jeweiligen Beschäftigung ausdrücklich eingeladen, Handlungsmacht zu übernehmen, zu verschiedenen Zeiten erste Aufschläge für gemeinsame Vorstöße in ein unbekanntes Terrain zu liefern, ihre Stärke und Schwäche zu zeigen und uns nicht an jeder Ecke so einfach davonkommen zu lassen. Auf der Ebene des Textes sind sie zugleich nicht mehr als eine Vorgabe in Unterscheidungsvermögen und Nuancen im Problem, die die anderen in unserem Team in ihrem jeweiligen Bereich auch mitbringen. Sie sind kein Zentrum, sondern nur ein Teil unter anderen.


Es geht nicht um Bildung

Das verwirrt viele, weil sie an den großen Namen hängen, die sie aus der Schule kennen. Aber es geht nicht um Bildung oder den Kanon. Es dreht sich auch nicht alles um den einen Text, bei dem ja erst noch geprüft werden muss, was sich von ihm heute verwenden lässt. Und am sogenannten Ende wird auch nicht einfach nur ein Film stehen. Das wäre auch etwas mager. In einem aktuellen Anliegen treffen Situationen auf Orte in Verbindungen, die sich nicht ohne weiteres synchronisieren lassen. Orte, die selbst wiederum nicht-menschliche Akteure sind, deren Qualitäten es intakt zu halten gilt. Und die nicht nur danach gescoutet werden –„gecastet“ wäre hier vielleicht genauer –, wie sie aussehen, sondern wie sie sich anhören. Weshalb auf der Tonspur von „Machorka-Muff“ (1962) Bonner Straßenbahngeräusche vor dem Fenster eines Zimmers in München auch wenig Sinn machen. An diesen Orten und in diesen Situationen begegnen sich dann weitere Akteure, die sprechen, aber nicht spielen müssen (Straub: „Die meisten Schauspieler können nicht einmal mehr eine Tür aufmachen.“). Das zu verfolgen, ist spannend.

Renate Lang, Erich Kuby in "Machorka-Muff" (imago/United Archives)
Renate Lang, Erich Kuby in "Machorka-Muff" (© imago/United Archives)

Mitte der 1980er-Jahre waren die beiden, die seit Anfang der 1960er-Jahre aktiv sind, auf einmal von der Bildfläche verschwunden, auch wenn sie weiter Filme drehten. Hartmut Bitomsky bemerkte in der Zeitschrift „Filmkritik“: „Die Verteidigung von Straub, die Versuche, seinen Filmen ins Kino zu helfen, waren lange Zeit der Motor der Beschäftigung mit Straub gewesen. In dem Moment, wo er durchgesetzt war [...], gab es dann auch keine Auseinandersetzung mit seinen Filmen mehr.“ Wolf-Eckart Bühler ergänzte: „Als man nicht mehr glaubte, Straub verteidigen oder lancieren zu müssen, begann es mit den Protokollheften.“ Die Cinephilie ist zu sehr mit sich beschäftigt, als dass sie für diese Arbeiten noch von Interesse sein konnte. „Cineasmus ist nur ein Mangel an Ambition“, sagte Danièle Huillet.

In dieser Zeit der Abwesenheit begann leicht zeitversetzt auch die Zeit jenseits des Films, in der die beiden von der Kunstwelt entdeckt wurden, als Pathosformel einer Radikalität, die keine Zugeständnisse macht. Also als etwas, das sich für die eigene Arbeit nicht behaupten lässt. (Wofür die beiden auch nichts können.) 1996 zeigt das Dickson Art Center in Los Angeles, kuratiert von Steven Wong, die Filmreihe „4 Days at 2160E“, dessen Katalog auf jeweils separaten Seiten die Titel von fünfzehn Filmen von Huillet/Straub inklusive Längenangaben in bloßer Nennung beschwört. Gekoppelt werden sie mit vom Fernseher abfotografierten Zuschauerbildern vom Wimbledon-Finale der Frauen im Jahr zuvor. Zur Halbzeit konnte man auf einer Publicity-Fotografie von Singapur Airlines verschnaufen, auf der eine Stewardess zwei Reisenden neben einem Bildschirm aus der Armlehne eine Menükarte reicht, während Filmreihe und Ausstellung des Bildteils von Colin Gardner von seinem Text „Images and Intervals: A Brief Note on Filmic Haunting“ kommentiert werden. Der Weg, nicht nur das Ergebnis, sei Teil der Wahrheit, sagt Marx am Schluss. Die Rezeption der Filme von Huillet-Straubs, deren Zahl von Jahr zu Jahr weiter anwuchs, hatte sich verschoben. Alle Filme werden ein Film. Was war passiert?


Die Kritik bekam die Filme nicht zu packen

Der Ausdruck „Haunting“ trifft hier etwas. Begonnen hat es mit dem Aussetzen von Kritik. Mit der Unfähigkeit, bei diesen Filmen genau werden zu können, etwas in ihnen zu packen zu bekommen, weil sie im Grunde viel zu nahe liegen. So nahe, dass alles, was sich im Einzelfall zeigt, die eigenen blinden Flecken sind. Man hatte etwas spürbar Großartiges vor sich, aber nichts in der Hand. Statt in genau das zu investieren, dem Widerstand und dem Verwischten nachzugehen, immunisierte man sich als Feind oder als Gläubige. Ging es um Huillet/Straub, traute man sich nicht. Man nahm sich nichts heraus. Dass man Huillet/Straub in der „Filmkritik“ nie kritisiert hatte, wie Harun Farocki einmal bemerkte, sollte sich rächen.

1986 kommt ausgerechnet mit dem Film, in dem sie so weit gegangen waren wie nie zuvor, und mit dem sie in der Folge auch nie mehr zu Rande kamen, die eigene Gewissheit massiv ins Schleudern. Jean-Marie Straub schreibt in einem Brief vom 24. Mai 1987: „Es ist Krieg!“ Was war vorgefallen? Warum waren die beiden so aufgewühlt? Ist Leben und Tod nicht ein bisschen viel?

Autograph von Jean-Marie Straub
Autograph von Jean-Marie Straub

Mit der „lobenden Erwähnung“ für „Klassenverhältnisse“ auf der 34. „Berlinale“, schien es möglich zu sein, über einen neuen Huillet/Straub-Film reden zu können, statt immer nur dessen Existenz rechtfertigen zu müssen. Als es zwei „Berlinalen“ später 1986 bei der nächsten Erstaufführung wieder um die Wurst ging, nämlich die Entscheidung darüber, ob „Der Tod des Empedokles oder: Wenn dann der Erde Grün von neuem Euch erglänzt“ einen Verleih finden wird oder nicht, war das Ergebnis eine Zeitreise zurück. Die Kritik in Deutschland präsentierte sich ziemlich einig und fundamental. „Nee, Nee“, so geht das nicht. Was wir nicht kennen, wollen wir nicht hören. Was wir nicht sehen, darf nicht sein. Was wir nicht beschreiben können, muss ein Ende haben. Wo kämen wir sonst hin? Daumen runter. Empedokles soll Gespenst bleiben. Keine Gegenwart haben. Diese Arbeit hat den Tod verdient. Die Schublade.

Daran stimmt, dass es Filme, die man nicht sehen kann, nicht gibt. Die Edition Manfred Salzgeber, kein eigentlicher Verleih, sprang ein und hielt Empedokles über Wasser. Nachts läuft das Fernsehen. „Der Tod des Empedokles oder: Wenn dann der Erde Grün von neuem Euch erglänzt“ wurde am 28. Februar 1989 in der ARD im Spätprogramm ab 23 Uhr gezeigt. Sollte es das jetzt gewesen sein? Nach all den Jahren und Déjà-vus gab es bei Huillet/Straub einen Knacks. Sie sind die jährlichen Umgangsformen satt. Und beginnen ihren Arbeitskampf.


Der Traum vom Austausch wurde enttäuscht

Was den Pakt mit den Kritikern aufgekündigte, war nicht ein konkretes Ergebnis. Oder ein abschließendes Verdikt. Sich Noten abzuholen, war noch nie ein Grund, einen Film einzureichen. Schlechte Filme sind nicht gut, klar. Aber wenn man nur angehimmelt wird, ist man auch schon tot. Der große Traum, die kleine Utopie besteht im Austausch. Dass irgendwo mit anderer Arbeit in die Arbeit eingestiegen wird. Ist die Kritik imstande, Fehler zu finden und Einsätze offenzuhalten, interessiert sie sich für die Zukunft, den Aufweis von Anschlüssen, für Möglichkeiten der Weiterarbeit, dann passiert etwas. Selbstkritik hatten Huillet/Straub bereits in hohem Maße internalisiert. Ihre Arbeit besteht ja gerade darin, das, was nicht trägt, in Grund und Boden zu kritisieren, auf jeder einzelnen Ebene die jeweiligen Bausteine einer genauen Überprüfung zu unterziehen. Da sind sie offen, streitlustig und gnadenlos und da kann man von ihnen auch für alle möglichen Arbeitsfelder lernen.

„Gestern haben wir ‚L’Enfant sauvage‘ angesehen und weil das ein schöner, guter und kluger Film ist, fällt mir bei vielen Einstellungen auf: Das könnte noch ein bißchen genauer sein. Das kommt von Straub. […] Wenn das Kind an den Fluß läuft, macht die Kamera eine komische Annäherung an das Ufer. Die Bewegung müßte etwas früher kommen, nach so einem verschärften Kriterium.“

Infragestellen wirft die beiden nicht um. Auch wenn es schwerfällt, zu glauben, dass jetzt alles bei ihnen nicht stimmen soll. Schwierig wird es, wenn ihre Arbeit auf Urteile und nicht auf andere Arbeit trifft. Und wenn nur noch der Affekt zeigt, dass sich etwas nicht einfach abtun lässt. Huillet/Straub kündigen nun ihrerseits auf, was nicht zustande kommen konnte: eine mögliche Zusammenarbeit.

Aus dem „Tod des Empedokles“ wird der Empedokles-Komplex. Huillet/Straub sind verletzt, haben den Kopf nicht frei und drehen sich im Kreis. Pressekonferenzen nach den Filmen werden zunehmend allgemeiner, zu Spektakeln und Ritualen eigener Art. Man will sehen, wie Straub boxt, den Kommunismus beschwört. Biografie überlagert, was man gerade gesehen hatte. Das Konkrete, das es einem nicht leicht macht, verschwindet; das Allgemeine, das zur Sprache kommt, kannte man vorher schon. In der laufenden Arbeit bekommen die Entscheidungen für Folgeprojekte einen stärkeren Selbstbezug. Werden zu Briefen an das Drama „Empedokles“. An sich selbst soll ein Exempel statuiert werden.


Ein Original ist eigentlich eine Verschwendung

Die Übergänge sind fließend. Die beiden Filmemacher hatten schon vor der „Berlinale“ darüber nachgedacht. Bei einem Drehverhältnis eines Zweistundenplusfilms, bei dem von 63.000 Metern abgedrehtem 35mm-Material 58.000 Meter zu verwenden sind, ist ein Original eigentlich eine Verschwendung. Zugleich müssen vor Ort Arbeitsvorgaben der Geldgeber in einer Mischfinanzierung erfüllt werden. Kaum ist der Film gelaufen, sitzen die beiden wieder in diversen Schneideräumen unterschiedlicher Länder. Ihr wollt unseren Film nicht? Gut, dann kriegt ihr ihn eben vier Mal! Vier Mal „Director’s Cut“, vier Fassungen der ersten Fassung vom selben Dreh (Rom, Paris, Berlin, Hamburg). Umsonst. Ihr sagt: ‚Ihr mit eurem O-Ton, macht doch lieber Hörspiele!‘ Gut, dann nehmen wir euer Angebot für ein Hörspiel, filmen den kleinen Bruder des Empedokles, das dritte Fragment als Bonus und reichen die Tonspur als Arbeitsbeleg fürs Radio ein. („Schwarze Sünde“, gesendet am 10. August 1989 im NDR).

Szene aus "Schwarze Sünde" (Jean-Marie Straub)
Szene aus "Schwarze Sünde" (© Jean-Marie Straub)

Ihr versteht nicht, wie unsere Texte zustande kommen? Und schon gar nicht, wo es momentan doch den großen Paradigmenwechsel in der deutschen Editionswissenschaft zwischen der Stuttgarter und der Frankfurter Hölderlinausgabe gibt und Sattlers gänzlich neue Edition vom „Tod des Empedokles“ gerade noch in Arbeit ist? Ihr wollt auch noch eine richtige Übersetzung des Textes ins Französische, in der das Deutsche nachklingt? Aus der sich vielleicht Untertitel machen lassen? Gut, dann veröffentlichen wir zwei zweisprachige Hölderlin-Editionen in der Éditions Ombres, die aus unserer eigenen Entzifferung von Hölderlins Handschriften herrühren und die Fehler von Sattler in der Lesefassung vermeiden, noch bevor diese erschienen ist: „Friedrich Hölderlin: La Mort d’Empédocle“ (Toulouse 1987), „Friedrich Hölderlin: Empédocle sur L’Etna“ (Toulouse 1989).

Ihr sagt, unsere Bilder zeigen das Entscheidende nicht? Gut, dann schaut euch doch mal unsere Einstellung der Rede an den Berg aus dem „Tod des Empedokles“ im filmischen Selbstzitat parallel zu Cézannes Anläufen, den Montagne Sainte-Victoire zu malen, an. („Cézanne“, 1989). Ihr sagt, wir haben keine Ahnung vom Schauspiel? Gut, dann inszenieren wir unseren nächsten Hölderlin vor den Dreharbeiten in Sizilien auf der Probebühne der Schaubühne Berlin in der Cuvrystraße in Kreuzberg zunächst als szenisches Projekt und nehmen Eintritt dafür: „Die Antigone des Sophokles nach der Hölderlinschen Übertragung für die Bühne bearbeitet von Brecht.“ (Premiere am 3. Mai 1991).


Das Impulsive stört die Arbeit

Huillet/Straub reagieren, statt zu agieren, wollen etwas beweisen und machen Fehler, die sie früher nicht gemacht hätten. Nach dem ersten „Empedokles-Original“-Viererpack schneiden sie auch gleich vier Fassungen aus den 42 Minuten Material des zweiten. Den Angriff auf die Ideologie der Einzigartigkeit des Originals hatte man allerdings schon vorher gesehen. An den Anfang von „Schwarze Sünde“ kleben sie ein Abziehbild ihrer Befindlichkeit: Ernst Barlachs Bronze „Der Rächer“ von 1914 – Tyrone Power als Zorro hätte es auch getan – und das, obwohl Jean-Marie Straub gegenüber Farocki einmal selbstironisch zum Blick aufs Meer in der „Chronik der Anna Magdalena Bach“ gesagt hatte, dass man früher an das Ende der Rollen ein hübsches Bild geklebt habe, weil beim Vorführen im Kino das letzte Bild leicht kaputtging. Das schlechte Schutzbild zu Beginn geht aber leider nicht kaputt, sondern macht kaputt. Den „christallisirte[n] Krieg, der Sturm über Alles Hindernis, so daß mans glaubt“, der 1914 erst noch für „das Hochgefühl des gemeinsamen Einstehens für die gewaltsame Durchsetzung der Rechte der eigenen Nation“ gestanden hatte, bevor er 1922 „zum Sinnbild des Fortwirkens der destruktiven Kräfte in einer als Frieden bezeichneten Zeit“ avancierte, wird man vor der Arbeit am Fragment nicht mehr los. Das Nicht-Recherchierte, Impulsive kommt der Arbeit in die Quere. Ob Huillet/Straub gerade sauer sind, ist keine interessante Information.

Mit der Adaption der doppelten Transkription hatten sich die Filme im Hölderlin-Overkill erschöpft und begannen zu klappern. Den Ausweg hatte „Cézanne“ deutsch-französisch als „Zwei-Sprachversionen-Nicht-Vier-Fassungen-Film“ gezeigt, der das Dokumentarische als eine Seite der Unterscheidung anders als bislang in den Vordergrund stellte. An den Essentialismus der vier Basisfilmtypen hatten die beiden ohnehin nie geglaubt. Alle ihre Arbeiten positionieren sich betont auf der Kippe, dem Dauer-Umschlagpunkt von dokumentarisierenden und fiktionalisierenden Beobachtungsmodi, die jederzeit wechseln können, und senden fortwährend klare Signale in beide Richtungen.

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Ein Zwei-Sprachversionen-Nicht-Vier-Fassungen-Film: "Cézanne" (© Edition Salzgeber)

Der Reboot geschieht im weitgehenden Verzicht auf Körper im Bild und in der stärkeren Konzentration auf die Wahrnehmung der verschiedenen Schichten der Umgebung. Der vielversprechende Anfang von „Schwarze Sünde“ auf der Tonspur unter den Titeln (und dem Beginn des Hörspiels), das Geräusch von heißer Luft, die sich am Rande eines Vulkans aus einem Erdloch presst, das Amorphe, das die Frage nach der Dauer des Einsetzens aufwirft, war im Film noch durch die unmittelbare Nachbarschaft zum Barlachritter als „Requisit“ (Oskar Pastior) verschenkt worden. Der knapp 20-minütige Film „Lothringen!“ verfährt weniger festgefahren dokumentarisch und erhält ein Ausrufezeichen wie zur Anfeuerung. Kraft wird hier anders getankt als zuvor. „Von heute auf morgen“ (1997) und „Sicilia!“ (1999) agieren wieder mit Körpern auf schöne Weise unbefangen. Sicilia trägt ein paralleles Umgebungs-Ausrufezeichen. „Une visite au Louvre“ (2004) spaziert durch Bildersammlungen.


Eigentlich ist alles ganz einfach

Dabei sind alle diese Arbeiten seit 1962 eigentlich ganz einfach. Huillet/Straub arbeiten konkret. Und sie tun dies in der Gruppe. Ihre Filme laufen nicht einfach auf ein Ende zu. Für die Vielzahl der Medien, die im Spiel sind, von denen Film nur eines unter vielen ist, wird größtmögliche Sorge getragen. Huillet schreibt den Text, Straub zeichnet Diagramme der Kamerapositionen und zieht den Rahmen vor Ort. Die Erarbeitung der Sprechakte und den Schnitt machen beide zusammen. Alle in der Gruppe sind Spezialist:innen für das dauernde Ausbleiben, die Lücken und die Unwahrscheinlichkeit einfacher Verbindungen. Das Licht der Außenaufnahmen pumpt, weil Atmos nicht mehr die Zeitdifferenzen zwischen zwei Einstellungen vor Ort zuschmieren. Sprecher stocken, weil visuelle Markierungen wie das Ende einer Zeile den Vorzug vor rhetorischen Stilmitteln des Zusammenhangs (wie dem Enjambement) erhalten. Aus Pathos wird die Luft gelassen.

ABC und kleines Einmaleins, Kultur- und Körpertechniken werden in den Situationen neu ausgehandelt, viel Erlerntes muss verlernt werden. Das Eingemachte kommt immer wieder auf den Tisch. Danièle Huillet und Jean-Marie Straub machen die Bewegung vom Allgemeinen zum Besonderen in aller Ruhe. Rollt man ihre Politik der kleinen Schritte von hinten auf, zerlegt man die Filme ins Offene, stößt man auf die Fülle der Angebote. Alle Arbeiten brauchen ihre Zeit. Mit denen von Huillet/Straub geht es erst noch los.


Verwendete Quellen

Interview „Auskünfte von Danièle Huillet und Jean-Marie Straub“, in: „Einer Keiner Hunderttausend“, Nr. 1, Kanal 4, SAT.1/RTL, 1989, Robert Bramkamp u.a., 20:12 min.

„Moderne Menschen. Ein Interview mit Danièle Huillet und Jean-Marie Straub von Isabell Graf“, in: „Texte zur Kunst“, 7. Jg., Nr. 27 (September 1997), S. 57.

Barbara Bernauer, Wolfram Schütte und F.W. Vöbel: „Gespräch mit Jean-Marie Straub“, in: „Filmstudio“ 48, H. 48, Januar 1966, S. 2.

Harun Farocki, Hartmut Bitomsky, Udo Sympen, Susanne Röckel und Manfred Blank: „Rückblick (1): Auszüge aus Gesprächen“, in: „Filmkritik“ 313, Jg. 27, Heft 1, Januar 1983, S. 4.

„Der Rächer“. Ernst Barlach Museum Güstrow.

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