Der spanische Filmemacher Carlos Saura wurde als politischer Regisseur, aber auch als Autor großartiger Musikfilme bekannt. 1981 gewann er mit „Los, Tempo!“ einen „Goldenen Bären“; Jahre zuvor war er zweimal mit einen „Silbernen Bären“ ausgezeichnet worden, für „Die Jagd“ (1965) und „Peppermint frappé“ (1967). Einen Tag bevor er in Sevilla mit einem „Ehren-Goya“ für sein Lebenswerk geehrt werden sollte, ist er in seinem Haus in Madrid gestorben.
Am 3. Februar kam der letzte Film von Carlos Saura in die spanischen Kinos. „Las paredes hablan“ ist ein essayistischer Dokumentarfilm über den Ursprung kreativer Leidenschaft. Der Film schlägt einen Bogen von der prähistorischen Höhlenmalerei bis zu den avantgardistischen Graffiti-Künstlern der Gegenwart. Saura war bis zu seinem Lebensende aktiv. Vor wenigen Wochen hatte er eine Theaterperformance über den spanischen Dichter Féderico Garcia Lorca abgeschlossen und bereitete nun einen Film über den deutschen Komponisten Johann Sebastian Bach vor.
Diese Vielseitigkeit war charakteristisch für ihn. Er hat rund 50 Filme in ganz unterschiedlichen Genres gedreht, war aber auch in anderen Disziplinen aktiv. Saura fotografierte, inszenierte Opern und Theaterstücke und schrieb einen Roman über den spanischen Bürgerkrieg.
In seinen Filmen war er stets auf der Suche nach neuen künstlerischen Ausdrucksformen. Begeistert interessierte er sich für alle neue Möglichkeiten der Filmtechnik. In den letzten Jahren arbeitete er vermehrt in seinem Haus in Collado Mediana im Guadarrama-Gebirge nahe Madrid, mit Farben und anderen Materialien, woraus beispielsweise seine übermalten Fotos entstanden, die er „Fotosaurier“ nannte.
Der kindliche Blick auf Krieg und Diktatur
Als eine andere Art „Fotosaurier“
entstand 2021 sein Kurzfilm „Rosa Rosae. La guerra
civil“. Aus der Perspektive eines Kindes werden 30 Bilder über den Spanischen
Bürgerkrieg so verändert, bis sie zu einer Anklage gegen den Krieg schlechthin
werden. Saura selbst war vier Jahre alt, als der Bürgerkrieg begann. Der Krieg
habe ihn stark geprägt, insbesondere auch die Angst seiner Eltern. Gleichwohl
merkte Saura auch an, dass er den Krieg manchmal fast als Abenteuer empfunden
habe: „Von der Terrasse unseres Hauses wirkte das brennende Barcelona oft wie
ein Spektakel.“
Der neugierige Blick des Kindes auf die unterschwellige Gewalt und das kollektive Schweigen einer repressiven Gesellschaft charakterisierte dann auch seine ersten Filme. Saura zählte zu den Filmemachern des „Nuevo Cine Español“, die an der Zensur des Franco-Regimes vorbei neue Wege für den spanischen Film suchten. Seine Filme spiegelten die repressive Gesellschaft während der Diktatur durch skurrile, böse und gewalttätige Geschichten aus dem Bürgertum, mit dunklen, psychologischen Märchen, in denen die kindliche Wahrnehmung immer auch für die politische Unterdrückung steht. So eskalieren in „Die Jagd“ (1965) die unterschwelligen Konflikte zwischen drei Männern auf gewalttätige Weise. Protagonistin vieler seiner frühen Filme, etwa „Peppermint frappé“ (1967), „Züchte Raben…“ (1975) oder „Elisa, mein Leben“ (1977), war Geraldine Chaplin, seine langjährige Lebensgefährtin. In ihnen wird die Familie mit ihren Rätseln und Geheimnissen zur Metapher für gesellschaftliche Unterdrückung, Gewalt und Korruption.
Flamenco und andere Tänze
Eine Wende in Sauras Schaffen bahnte sich 1981 mit dem Musikdrama „Bluthochzeit“ nach Féderico García Lorca an. Der Wechsel vom innerlich- rätselhaften Kino zum Folklore-lastigen Flamenco-Drama war für viele eine Herausforderung. Ein französischer Verleiher habe ihn damals zur Rede gestellt, erzählte Carlos Saura: „Er sagte: Wenn du diesen spanischen Folklorefilm machst, wirfst du dein ganzes Prestige als Filmemacher auf den Müll! Und ich antwortete: Dann ist das wohl jetzt der richtige Moment dafür!“
Saura hat sich
als Künstler immer wieder neu erfunden und nach unverbrauchten Ausdrucksformen
gesucht. So inszenierte er seine Musikdramen sehr unkonventionell und siedelte
sie in einer künstlich abgehobenen, kargen, fast verfremdeten Umgebung an. Mit
seinem zweiten Flamenco-Drama „Carmen“ (1983) wurde Saura
weltbekannt.
Darauf folgten
zahllose weitere Projekte, in denen Saura mit beweglichen Stoffpanels arbeitete,
auf die er unterschiedliche Farben oder Fotos projizierte. In Filmen wie „Flamenco“,
„Tango“ und „Jota - Mehr als Flamenco“ setzte er sich mit ganz
unterschiedlichen populären Tanzkulturen auseinander. Sein letzter Musikfilm
„El rey del todo el mundo“ (2021) führt in die Welt des musikalischen
Melodramas in Mexiko.
Auch in seinen Musikfilmen zeigte sich Carlos Saura als Erzähler, der auf Abstand hielt, das Publikum aber mit überraschenden Wendungen konfrontiert.
Kein Realismus und kein Gefühlskino
Als Filmemacher lehnte er den nackten Realismus ebenso ab wie ein auf Tränen basierendes Gefühlskino. Er sah sich in einer Linie mit seinem Freund und Mentor Luis Buñuel: „Wir hassten beide die Gefühlsduselei. Das ist so einfach! Es ist so leicht, das Publikum zum Weinen zu bringen.“
Carlos Saura war
eine der großen Figuren des europäischen Autorenfilms. Immer wieder wagte er
das Experiment, das Spiel mit Licht, Farbe und Ton. Für seine Projekte musste
er kämpfen, und manche Geschichten konnte er nicht als Film erzählen. Etwa
seinen Roman „Esa luz“ („Dieses Licht“) über ein getrenntes Ehepaar im
spanischen Bürgerkrieg. Ein Stoff, an den sich kein spanischer Produzent
herantraute.
Dass es mit seinen Filmen immer länger dauerte, war ihm längst klar geworden, als sich die Finanzierung seines Spielfilmprojektes „Picassos y el Guernica“ mit Antonio Banderas in der Hauptrolle immer weiter hinauszögerte. Viele seiner erfolgreichen Filme aus den frühen Jahren würden heute wahrscheinlich keine Produzenten mehr finden, resümierte Saura 2021 mit leichtem Sarkasmus. Am 10. Februar 2023 ist der Filmemacher im Alter von 91 Jahren in seinem Haus bei Madrid gestorben.