Mit dem kurzen Animationsfilm „Weihnachten im Anflug“ (bei Disney+) erfüllte sich Regisseur David Lowery mithilfe von Alfonso Cuarón als Produzenten einen Kindheitstraum und erweckte eine weihnachtliche Welt zum Leben, die wirkt, als sei sie kunstfertig aus Pappe und Papier gefertigt. In Wahrheit ist es eine Computeranimation, was der Eigenwilligkeit des Looks und dem Flair des Films aber keinen Abbruch tut.
Stop-Motion und doch nicht so ganz, alles echte Pappe oder doch CGI-Magie? Bei David Lowerys erstem, nur 22-minütigen Animationsfilm weiß man zunächst nicht so recht, mit was man es zu tun hat: Der kleine Weihnachtsfilm entführt die Zuschauer in eine Welt, die wirkt, als hätte jemand einen Altpapiercontainer geplündert, um sie zu erschaffen. Tatsächlich handelt es sich um eine Computeranimation, doch die haptische Karton-Anmutung ist gut getroffen. Und harmoniert bestens mit dem Inhalt des Films.
Noch während der Dreharbeiten an seinem Disney-Großprojekt „Peter Pan & Wendy“ bekam Lowery von Drehbuchautor Jack Thorne und dem mexikanischen Filmemacher, Produzenten und „Oscar“-GewinnerAlfonso Cuarón ein Skript zugesandt. Es basiert auf der realen Geschichte einer kleinen Eule, die 2020 in New Yorks weihnachtlichem Wahrzeichen, dem großen Christbaum auf dem Platz vor dem Rockefeller Center, gefunden wurde. Der Film spinnt daraus ein abenteuerliches, weihnachtliches Drama: Ein unternehmungslustiger Eulenjunge namens Moon, der mit Vater und Bruder in den Wäldern des Staates New York lebt, findet sich nach einigen Turbulenzen mit gebrochenem Flügel auf einer Tanne wieder, die zu seinem Pech alsbald von Menschen gefällt wird, ums in die am Horizont funkelnde Metropole abtransportiert zu werden und als Weihnachtsbaum zu erstrahlen.
Getrennt von seiner Familie, wird das Eulchen förmlich ins Getümmel der „City That Never Sleeps“ geworfen. Und dort hat im Vorweihnachtstrubel niemand ein Auge für das in Not geratene Waldtier – nur ein Mädchen, dem es offensichtlich selbst nicht gutgeht, schenkt ihm Beachtung und rettet den Kleinen schließlich vor drei rauflustigen Stadttauben. Obwohl sich die beiden nicht verständigen können, verstehen sie sich doch auf eine Art und Weise, die etwas Magisches hat. Fortan irren sie zusammen durch die Straßen, jeweils auf der Suche nach ihrem Zuhause und ihren Lieben und doch auch umeinander bemüht. Eine Solidarität, die wie durch ein Wunder ansteckend zu sein scheint: Als es darauf ankommt, kommen den beiden auch andere zu Hilfe. Begleitet wird die Geschichte der ungleichen Outcasts von einem Straßenmusikanten, der sich sein Geld mit Liedern und dem Schrammeln auf seiner Gitarre verdient. Er dient als Erzähler dieser herzerwärmenden Geschichte.
Lowery nutzte den Stoff mit Cuaróns Ermutigung zu einem stilistisch eigentümlichen Projekt, das sich mit seinem Papp-Look wohltuend vom glatten Mainstream-CGI-Animationsstil abhebt. Sein Motiv für diese visuelle Entscheidung ist, wie er in einem Interview berichtet, so simpel wie persönlich: Schon als kleines Kind produzierte der spätere Erfolgsregisseur seine eigenen Stop-Motion-Filme und verwendete dabei ausschließlich Karton, aus dem er Raumschiffe, Schlösser etc. bastelte. Außerdem verbindet ihn das Material mit Erinnerungen an seinen Vater, mit dem er im Keller des Lowery’schen Familienhauses ganze Städte aus Pappe bastelte. Zunächst sollte auch „Weihnachten in Anflug“ eine reine Stop-Motion-Produktion werden, doch weil sich abzeichnete, dass sowohl das Budget als auch die dafür benötigte Zeit nicht ausreichten, wurde Computeranimation zu Hilfe genommen, um so realistisch wie möglich die Pappkarton-Landschaften, die Lowery vorschwebten, zum Leben zu erwecken.
Das Ergebnis überzeugt; das Flair kindlicher Kreativität bleibt gewahrt. Dem anonymen Menschengewimmel aus „Komparsen“ in Form von zweidimensionalen Kartonschablonen stehen die wichtigen Figuren (Moon, das Mädchen, weitere Tiere wie Moons Familie und die frechen Tauben) gegenüber, die wie detailreich gebaute 3D-Pappmachéfiguren wirken. Dafür, dass sie zu markanten Charakteren werden, tragen auch die handverlesenen Sprecher bei. So ist beispielsweise Schauspieler Mamoudou Athie (in der Originalfassung) als eine der Tauben zu hören; John C. Reilly gibt den Straßensänger/Erzähler.
Mit seinem Debüt in der Animationswelt beweist David Lowery, ähnlich wie schon in „Elliot der Drache“, erneut sein Geschick, einerseits die klassische Disney-Klaviatur zu bedienen, zugleich aber eine ganz eigene Sensibilität und einen eigenen Stilwillen auszuleben. „Weihnachten im Anflug“ dürfte einer jener Weihnachtsfilme sein, die nicht nur eine Saison lang Freude bereiten, sondern alle Jahre wieder.