Teaserplakat von "Unschuldig - Mr. Bates gegen die Post" (© ITV Studios/Little Gem)

Leders Journal (41): „Unschuldig - Mr. Bates gegen die Post“

In der arte-Mediathek: die außergewöhnliche Miniserie um den britischen Justizskandal über die britische Post, die ihren Subunternehmer die Kosten für eine defekte Software aufzwang.

Aktualisiert am
02.05.2025 - 09:41:09
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In der arte-Mediathek ist bis Ende Juni die vierteilige Serie „Unschuldig - Mr. Bates gegen die Post“ über einen der größten britischen Gesellschafts- und Justizskandale zu sehen. Den Betreibern kleiner Post-Läden auf dem Land wurde Ende der 1990er-Jahre von der britischen Post ein fehlerhaftes Computersystem aufgedrängt. Die daraus entstehenden finanziellen Probleme mussten sie selbst tragen, da die Post jede Verantwortung bestritt. Die Miniserie erzählt in der Tradition der realitätsnahen „British New Wave“ davon, wie sich Betroffene zusammenschlossen und Klage erhoben.



Im laufenden Programm war die Serie „Unschuldig - Mr. Bates gegen die Post“ eher versteckt. arte zeigte die vierteilige Mini-Serie des britischen Privatsenders ITV nur am späten Abend. Doch die Geschichte eines erfolgreichen Aufstands ist bis zum 24. Juni in der arte-Mediathek abzurufen. Sie sei allen anempfohlen, die sich für soziale und politische Konflikte in Spielfilmen und Serien interessieren und die eine Serie jenseits der üblichen Genres sehen wollen.

„Mr Bates vs The Post Office“, wie die Serie im Original heißt, wurde in Großbritannien im Januar 2024 an vier Abenden ausgestrahlt. Sie erzählt von einem Skandal, von dem kaum jemand außerhalb Englands je gehört hat. Die Serie ist zwar durchweg mit professionellen Schauspielern inszeniert, folgt aber weitgehend den realen Ereignissen und verwendet auch – anders als etwa die Serie „Die Affäre Cum-Ex“ – viele Namen der beteiligten Personen. Jede Folge beginnt mit Schrifttafeln, auf denen steht: „This is a true story. Some names and characters have been changed. Some scenes imagined.“ (Im Untertitel: „Dies ist eine wahre Geschichte. Einige Namen und Figuren wurden geändert. Manche Szenen erfunden.“)


Viele Fehler im Computersystem

Die Erzählung startet im November 2003, während die Geschichte ihren Ursprung schon im Jahr 1999 hat, als die britische Post (seit 1969: Post Office, vor 1969: General Post Office) in ihren Filialen ein einheitliches Computersystem einführte. Das galt auch für die vielen privat geführten Läden, in denen das Post-Büro nur ein Angebot unter mehreren ist und das von den Ladeninhabern nebenberuflich geführt wird. Da die neue, nicht zu Ende entwickelte Soft- und Hardware eines japanischen Unternehmens viele Fehler aufwies, gerieten diese „Subpostmasters“, die in der Regel wenig Ahnung von Computern hatten, in große Schwierigkeiten. Daten wurden falsch verbunden, Rechnungen fehlerhaft ausgeführt, Kontierungen verweigert.

Toby Jones als Allen Bates in "Unschuldig - Mr. Bates gegen die Post" (ITV Studios)
Toby Jones als Alan Bates in "Unschuldig - Mr. Bates gegen die Post" (© ITV Studios)

Wandten sich die Betreiber diese Post-Läden an das Post Office oder an die Hotline des Unternehmens, wurde ihnen suggeriert, dass die Fehler ausschließlich an ihnen lägen. So sahen sich viele gezwungen, die auf Grundlage der schadhaften Software entstandenen Fehlbeträge durch eigenes Geld zu decken, was sie in große Verzweiflung und in die Verschuldung trieb. Wer sich weigerte zu zahlen, wurde verklagt. Die Gerichte folgten dem Gedanken, dass das Post Office als ehrwürdige Institution keine Fehler begeht. In knapp 16 Jahren wurden mehr als 900 Post-Laden-Inhaber verklagt, über 700 wurden verurteilt – teilweise auch zu Haftstrafen.

Die Serie erzählt davon als Geschichte mehrerer Frauen und Männern, die alle aus der Mittelschicht und der Provinz kommen. Sie haben mit der glitzernden Welt der japanischen Computerfirma wie des im Neo-Liberalismus neu aufgestellten und also auf Gewinn getrimmten Post Office nichts zu tun. Entsprechend hilflos stehen sie da, als sie eine spezielle Einheit des Post Office in die Mangel nimmt. Wie man am Ende erfährt, erhielten diese Ermittler für jede Verurteilung eine Prämie, sodass sie kein Interesse daran hatten, die Lage der Post-Laden-Betreiber auch nur ansatzweise zu verstehen.


Einige lehnen sich auf

Gwyneth Hughes, die das Drehbuch schrieb, hat ein Spektrum an Charakteren geschaffen, das unter diesem Machtsystem litt. Während die einen an sich verzweifeln und den Ärger mit sich allein selbst ausmachen, lehnen sich andere auf. Die verspüren bald die Härte eines Systems, das Widerspruch und Zweifel an sich nicht kennt, geschweige denn zulässt. Uneingestandener Held der Serie ist Alan Bates, den Toby Jones als einen mit Understatement ausgestatteten Waliser spielt, der sich schlitzohrig gegen die Ermittler zur Wehr setzt. Als Bates 2003 seinen Laden verliert, womit die erste Folge beginnt, zieht er sich mit seiner Partnerin (Julie Hesmondhalgh) aufs Land zurück, nimmt aber alle Unterlagen mit.

Julie Hesmondhalgh, Toby Jones (ITV Studios)
Julie Hesmondhalgh, Toby Jones (© ITV Studios)

Einige Jahre später, als er merkt, dass sein Fall nur einer unter vielen ist, informiert er eine Journalistin einer Computerzeitschrift, die nach umfangreicher Recherche den ersten Artikel über die Probleme mit der Software veröffentlicht. Danach lädt Bates in der englischen Provinz zu einem Treffen von Betroffenen ein. Erst kommen nur wenige, doch bald füllt sich der Raum mit vielen, die alle dieselbe Geschichte erzählen, nämlich dass sie jeweils die einzigen gewesen sein sollen, die Probleme mit der Software hatten. Unter ihnen sind Menschen wie Jo Hamilton (Monica Dolan), Lee Castleton (Will Mellor) oder Saman Kaur (Krupa Pattani), deren durchaus unterschiedlichen Erfahrungen die Serie zuvor erzählt hatte. Sie beschließen, sich gemeinsam zu wehren.

Ihre emotionalisierende Wucht entfaltet die Serie auch dadurch, dass sie nachzeichnet, wie das System aus Post Office und Software-Firma auf jeden kleinen Erfolg von Bates und seinen Mitstreitern unerbittlich reagiert. Dieses System ist sich sicher, dass es die Klagen und Widersprüche schon allein auf Grund seiner ökonomischen Größe aussitzen wird. Die Probleme werden weiterhin geleugnet oder als Einzelfälle abqualifiziert, auch als ein erster Tory-Abgeordneter (Alex Jennings) kritische Fragen stellt.

Immerhin gestehen Post Office und Softwarefirma zu, dass ein unabhängiger Ermittler (Ian Hart) die Fälle untersuchen soll. Dieser steht der Gruppe um Bates zunächst skeptisch gegenüber, ehe mit jedem Fall, den er untersucht, seine Zweifel wachsen. Was anfangs als zufällige Fehler erschienen, wächst sich in seiner Erkenntnis zu einem Systemfehler aus. Aber auch er wird immer wieder durch Verfahrenstricks ausgebremst.


Ein Erfolg mit Kehrseite

Erst als sich eine Anwaltskanzlei, die von einem Risikofinanzier bezahlt wird, der Fälle annimmt, kommt es 2019 zu einem Prozess, aus dem nach einigem durchaus dramatischen Hin und Her die Post-Laden-Betreiber als Sieger hervorgehen. Doch auch dieser Erfolg hat eine Kehrseite; den größten Teil der Entschädigung, die ihnen zugesprochen wird, kassieren die Anwälte und vor allem der Finanzinvestor. Viele der Post-Laden-Betreiber erhalten unterm Strich also weniger, als ihnen das Post Office fälschlicherweise abgenommen hatte. Im Prozess war bekannt geworden, dass eben dieses Geld dem Post Office half, seine Bilanz zu schönen. In der Gruppe der Kläger kommt es zum Streit. Manche wollen aufgeben, doch Alan Bates bleibt standhaft.

In den Händen der Juristen: "Unschuldig - Mr. Bates gegen die Post" (ITV Studios)
In den Händen der Justiz: "Unschuldig - Mr. Bates gegen die Post" (© ITV Studios)

Unschuldig - Mr. Bates gegen die Postist konventionell erzählt. Sie folgt der Chronik der Ereignisse, lässt aber die politischen Veränderungen in Großbritannien jener Jahre außer Betracht. Dafür feiert sie mit idyllischen Flugaufnahmen das Leben auf dem Land, wo die meisten dieser Post-Läden angesiedelt sind, während die Räume des Post Office und der Computerfirma in London kalt und abweisend erscheinen. Die Figuren der Post-Laden-Betreiber sind auf Identifikation angelegt; als einfache Menschen, die von einem profitorientierten System verfolgt werden. Dramatische Ereignisse wie der Suizid eines fälschlich Verdächtigten oder der Krebstod der Mutter von Jo Hamilton sorgen immer wieder für hochemotionale Szenen.

Dass diese Erzähl- und Darstellungsmuster nicht oder nur wenig stören, liegt an einer grandiosen Besetzung, die das Drama erst mit Leben füllt. Der Vielfalt der Charaktere entspricht einer Vielfalt von Schauspielerinnen und Schauspielern, die unter der Regie von James Strong die durchaus widersprüchlichen Figuren überzeugend verkörpern. Die Serie folgt inszenatorisch einer Tradition, die vermutlich mit der „British New Wave“ (1958-1965) begonnen hat, als Regisseure wie Tony Richardson, Lindsay Anderson oder John Schlesinger dazu übergingen, unbekannte Schauspielerinnen und Schauspieler und Laien für ihre realistischen Spielfilme zu besetzen. Eine Tradition, aus der auch Ken Loach kommt und der er bis heute treu geblieben ist.

Toby Jones, der vor einigen Jahren in der Folge „The Lying Detecticve“ der BBC-Serie „Sherlock“ einen finsteren Bösewicht aus dem Finanzkapital spielte, agiert als Titelfigur zurückhaltend und mit leisen Tönen. In den wenigen Momenten seines Triumphes huscht ihm gerade mal ein leichtes Lächeln über die Züge. Noch mehr beeindruckt, wie Monica Dolan die Figur von Jo Hamilton anlegt, die sich auch nach den härtesten Niederlagen immer wieder aufrappelt und zum großen Rückhalt von Bates wird. Ian Hart gelingt es als Finanzsachverständiger, den Wandel vom Skeptiker zum Verteidiger der Post-Laden-Besitzer überzeugend darzustellen; einmal kann er, der ansonsten die Sachlichkeit in Person ist, die Tränen nicht zurückhalten, als er von dem erwähnten Suizid erfährt.

In Großbritannien hatte der Skandal nur für wenig Aufsehen gesorgt. Erst die sehr erfolgreiche Ausstrahlung der Fernsehserie führte der britischen Gesellschaft vor, was von 1999 bis 2015 vor sich gegangen und juristisch immer noch nicht genügend aufgearbeitet worden war. Auf einmal galt der Skandal, für den sich zuvor kaum jemand interessierte, als einer der größten Justizfehler des Landes. So äußerte sich wenige Tage nach der Ausstrahlung auch Rishi Sunak als damals amtierender Tory-Premierminister im Parlament und versprach eine umfassende Entschädigung der Opfer.


Eine mediengeschichtliche Pointe

Mediengeschichtlich weist die Produktionsgeschichte um die Serie, an der sich keine andere europäische Fernsehgesellschaft beteiligen wollte, sodass sie am Ende ITV alleine finanzierte, noch eine weitere Pointe auf. Die Vorgänger-Institution des Post Office war das General Post Office (GPO), das von 1933 bis 1940 in einer von John Grierson gegründeten „Film Unit“ wichtige Dokumentarfilme produzieren ließ, die Filmgeschichte schrieben. So feierte der Film „Night Mail“ (1936) von Basil Wright und Harry Watt die Mitarbeiter des GPO, die in Nachtzügen dafür sorgten, dass die Briefpost pünktlich am nächsten Tag im ganzen Land zugestellt wurde.

Diese Filme sorgten mit dafür, dass das GPO und das nachfolgende Post Office über viele Jahre als eine gleichsam heilige Institution Großbritanniens galt. Es ist dieser Ruf, der sie über Jahre das von der Serie geschilderte Schreckensregime über die Betreiber ihrer ländlichen Filialen ausüben ließ.

Von dem Jusitzskandal sind viele betroffen: "Unschuldig - Mr. Bates gegen die Post" (ITV Studios)
Von dem Justizskandal sind viele betroffen: "Unschuldig - Mr. Bates gegen die Post" (© ITV Studios)


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