Caroline Champetier beim Dreh von „Die Witwe Clicquot“ (© Caroline Dubois/Capelight Pictures)

Die Kunst des Liebens - Die Kamerafrau Caroline Champetier

Notizen zum Werk der Kamerafrau Caroline Champetier, die kürzlich mit dem Marburger Kamerapreis 2025 geehrt wurde

Aktualisiert am
23.05.2025 - 12:19:50
Diskussion

Die französische Kamerafrau Caroline Champetier ist Ende April mit dem Marburger Kamerapreis 2025 ausgezeichnet worden. Ihre künstlerische Handschrift entwickelte sich in den 1980er-Jahren bei Jean-Luc Godard und Jacques Rivette, in den folgenden Jahrzehnten prägte sie die naturalistischen Bilder des Mönchdramas „Von Menschen und Göttern“ ebenso wie das „Cinéma du look“ von Leos Carax. Dabei betont sie selbst ihre „Opérateur“-Rolle als diejenige, die Bilder ins richtige Licht rückt.


Im Abspann von Jean-Luc Godards halbstündigem Video „Puissance de la parole“ (1988) werden unter dem Stichwort „Images“ zwei Namen genannt: Pierre Binggeli und Caroline Champetier. Wie üblich hatte Godard eine Auftragsarbeit (einen Werbefilm für France Telecom) für seine eigenen Interessen zweckentfremdet. Man sieht eine Menge Telefone, allerdings eher von der altertümlichen Sorte. Mit Edgar Allan Poe und James M. Cain im literarischen Gepäck führt „Puissance de la parole“ in eine Welt der zeichenhaften Farben: leuchtend grüne und rote Strümpfe, die Oberflächen des Meers und der Lava. Ein Fest für die Menschen hinter der Kamera. Von Pierre Binggeli, der damals bei einer Reihe von Projekten dabei war, verliert sich bald die Spur. Caroline Champetier aber stand 1988 am Anfang einer formidablen Karriere. Sie fand in Godards Werkstätte einen pragmatischen Geist, dem es beim Komponieren seiner Bildwelten nicht so sehr auf Formate ankam („Puissance de la parole“ wurde auf Video gedreht) als auf eine Durchlässigkeit zwischen den vielen medialen Schichten der Gegenwart.


Verantwortung für das Licht

Champetier war damals Mitte dreißig und hatte wegen der Geburt ihrer Tochter eine mehrjährige Pause gemacht, nachdem sie 1982 bei „Eine ganze Nacht“ von Chantal Akerman zum ersten Mal als allein verantwortliche Kamerafrau gearbeitet hatte. Nun fand sie bei Godard und Jacques Rivette innerhalb weniger Jahre herausragende Möglichkeiten, sich zu beweisen und zu profilieren. Für Godard auch noch bei dem Spielfilm „Schütze deine Rechte“ (1987), und für Rivette bei „Die Viererbande“ (1988). In beiden Fällen trat Champetier in die Tradition der Nouvelle Vague ein, der Erneuerungsbewegung im französischen Kino seit den späten 1950er-Jahren.

U.a. mit „Die Viererbande“ etablierte sich Caroline Champetier in den 1980er-Jahren (© Flaxfilm)
Mit „Die Viererbande“ etablierte sich Caroline Champetier in den 1980er-Jahren (© Flaxfilm)

Bei einem öffentlichen Gespräch in Marburg, wo ihr Ende April der Kamerapreis überreicht wurde, legte sie Wert auf den Umstand, dass „die Person, die schwenkt“, auch das Licht beziehungsweise die Beleuchtung setzt. Als „opérateur“, wie ihre Rolle in der französischen Filmsprache genannt wird, übernimmt sie Verantwortung dafür, in welches Licht sie die Bilder gerückt haben will – im amerikanischen Studiokino waren diese Bereiche noch deutlicher getrennt, die Nouvelle Vague konzentrierte die Verantwortung stärker bei den Personen an einem Filmset, die als Autoren galten.


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Die Kamerafrau als Auteur

Für die französische Filmkritik vor allem bei der Zeitschrift „Cahiers du Cinéma“, wo Truffaut, Godard, Rivette, Rohmer und viele andere ihre Ideen für das Kino entwickelten, stand dieser Begriff im Zentrum: „Auteur“. Filme waren dann gut, wenn sie eine Handschrift hatten, wenn sie einen „Auteur“ erkennbar werden ließen. In erster Linie waren das die Regisseure, die sich mit ihren Obsessionen und ästhetischen Ideen in ihren Werken ausdrückten. Erst später wurde der Begriff des „Auteurs“ auch auf andere Bereiche des Filmemachens bezogen. Luc Moullet schrieb ein berühmtes Buch über eine „Politique des acteurs“. Wenn Schauspieler wie Gary Cooper auch „Autoren“ ihres Werkes und ihrer Karriere sein konnten, musste das dann nicht auch für Kameraleute gelten? Oder für Schnittmeister?

Das Werk von Caroline Champetier lässt sehr schön erkennen, dass diese Frage zwar einerseits eindeutig mit Ja zu beantworten ist, dass aber die konkrete Beschreibung ihrer visuellen Handschrift vor großen Problemen steht. Denn natürlich ist sie als die Frau hinter der Kamera auf die Vorgaben der Regie angewiesen, und damit ist sie abhängig davon, wie weit sie von Regisseuren in die Arbeit eingebunden wird. Sie hat im Lauf der Jahre mit vielen der besten und auch eigensinnigsten dieser Künstler gearbeitet: neben Jean-Luc Godard, Jacques Rivette und Chantal Akerman noch mit Arnaud Desplechin, Jacques Doillon, Philippe Garrel, Laetitia Masson, Margarethe von Trotta, Xavier Beauvois, Amos Gitai, Barbet Schroeder, Benoît Jacquot oder Leos Carax. Mit jedem dieser Namen verbinden sich individuelle Visionen und ein bestimmter Stil. Lässt sich dabei auch ein Stil von Caroline Champetier erkennen?

In „Von Menschen und Göttern“ setzt Champetier die Wirkung von Sonnenlicht ein (© nfp)
In „Von Menschen und Göttern“ setzt Champetier die Wirkung von Sonnenlicht ein (© nfp)


Die Herausforderung der menschlichen Haut

Ihre Lehrzeit absolvierte Champetier, die 1954 in Paris geboren wurde, bei William Lubtchansky, der vor allem für seine Arbeit mit Rivette und mit Jean-Marie Straub und Danièle Huillet bekannt ist. Vor allem Rivette vertrat ein Ethos der möglichst ununterbrochenen (Plan-)Sequenz, also einer ausgeklügelten Kameraarbeit, bei der das Legen von Schienen genauso wichtig war wie das Ziehen des Fokus. Dazu kam der materialistische Purismus von Straub-Huillet, der dem Medium Film in seiner Physis entscheidende Bedeutung einräumte.

Wie sehr Champetier von diesen frühen Eindrücken geprägt ist, konnte man in Marburg heraushören, wenn sie von dem Wissen sprach, das der Kodak-Konzern über die Eigenschaften von Filmmaterial gewonnen hat. Vor allem die menschliche Haut ist für Kameraarbeit eine große Herausforderung, die Chemiker und Laborkräfte bei Kodak haben sich mit diesen Aspekten bis in die feinsten Pigmentierungen des Zelluloids auseinandergesetzt. Das Bild der Haut als eines großflächigen Organs lässt sich gut auf die Kameraarbeit übertragen, denn ein Filmbild ist ja tatsächlich so etwas wie eine Haut einer Wirklichkeit, mit der sie in einem organischen Kontakt steht.

Der Übergang in die Digitalisierung vollzog sich in den Jahren, in denen Champetier viel beschäftigt und eine der wichtigsten Personen in ihrem Metier in Frankreich war. Sie hat diesen Übergang ohne Protest vollzogen, sicher auch unter dem Eindruck, den sie bei Godard gewann, der Video sehr früh für sich entdeckte und zu einem persönlichen Ausdrucksmittel machte. Mit Godard hat auch Champetiers Interesse für die Firma Aäton aus Grenoble zu tun, die mit ihren Kameramodellen dazu beitrug, die Qualitäten von 35mm in das digitale Zeitalter so gut wie möglich zu überführen. 2012 drehte sie mit einer Penelope Delta von Aäton den Film „Von Menschen und Göttern“ von Xavier Beauvois, der im Atlasgebirge in Marokko entstand, wo sie sich vor allem für die Nuancen der Farben zwischen Sonnenlicht und Vegetation interessierte. Visuell herausragend sind auch Szenen, in denen die christlichen Mönche in extremen Großaufnahmen geradezu bedrängt werden. Champetier sprach angesichts solcher Begegnungen mit Schauspielern davon, dass sie (vermittelt durch ihre „Operationen“) letztlich eine Beziehung zum Ausdruck bringt, die sie nur als „Liebe“ bezeichnen kann. Damit legt sie eine Kurzformel für ihr Schaffen nahe: eine Kunst des Liebens.

Auch mit dem Stilisten Leos Carax (hier bei „Annette“) besteht eine rege Zusammenarbeit (© Alamode)
Auch mit dem Stilisten Leos Carax (hier bei „Annette“) besteht eine rege Zusammenarbeit (© Alamode)


Revision des Kunstkanons

Mehrfach führte sie auch selbst Regie. Der Kurzfilm „Evidence“ (1979) zeigt in Schwarz-weiß ein Badezimmer und eine schwangere Frau in einer Szene, die sich offensichtlich von Chantal Akermans Selbstversuchen vor der Kamera inspirieren ließ. „Berthe Morisot“ (2012) ist ein Porträt der impressionistischen Malerin und dabei auch eine Revision des Kanons der Kunst des späten 19. Jahrhunderts. Man kann diesen Fernsehfilm auch autorenpolitisch lesen: Caroline Champetier projiziert sich am Beispiel von Berthe Morisot in eine Zeit zurück, in der Frauen es in den Männermetiers noch schwerer hatten als an der Wende zum 21. Jahrhundert. Als bedeutende Kamerafrau ist Champetier zwar keine einsame Ausnahme mehr, aber an der Dominanz von Männern im Kino hat sich erst in den letzten Jahren etwas zu ändern begonnen.

Sie betont aber vor allem die Qualitäten der Zusammenarbeit zum Beispiel mit Jacques Doillon, der mit vielen Proben und genauer Planung einen Eindruck entstehen lässt, als wäre alles zufällig entstanden, was er oft im Spiel mit Kindern entwickelt. Und sie geht mit diskreten Andeutungen darüber hinweg, wenn sie bei einzelnen Szenen de facto das Kommando übernimmt, weil ein Regisseur sich als indisponiert erweist.

Das Kino schafft Kunstwerke, an denen viele Menschen beteiligt sind. Die Regie ist der Kopf, die Kamera ist das Auge und die Hand. An einem Drehort passiert deutlich mehr als das, was „son + image“ (Ton und Bild, so nannte Godard eine seiner Firmen) einfangen. Zu den Begabungen von Caroline Champetier zählt wohl auch, dass sie sich in solche Konstellationen besonders gut einfügen kann – sie versteht die Kamera als eine Technik der Zuneigung zur Wirklichkeit, und wenn dabei die Farben bis ins Unwirkliche gesteigert werden, wie in „Puissance de la parole“, dann ist auch das eine Form von Realismus und von Liebe zur Welt.

Wie zufällig wirkend, aber das Ergebnis von Planung und Proben: „Ponette“ von Jacques Doillon (© IMAGO / Prod. DB)
Wie zufällig wirkend, aber tatsächlich sorgfältig geplant: Jacques Doillons „Ponette“ (© IMAGO / Prod. DB)

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