In der ARD-Mediathek ist noch bis 24.3.2026 Volker Heises Dokumentarfilm „Masterplan“ zu sehen, der sich mit dem Treffen rechter Vordenker nahe Potsdam im November 2023 und mit der investigativen Arbeit der Journalisten von Correctiv beschäftigt, die die Veranstaltung und die dort ventilierten Pläne zur „Remigration“ publik machten. Ein Film, der zur Wachsamkeit gegenüber den Methoden gesellschaftlicher Einflussnahme der neuen Rechten mahnt.
Am 2. Mai 2025 gab die zu diesem Zeitpunkt nur noch geschäftsführende Bundesinnenministerin Nancy Faeser (SPD) das Ergebnis eines Gutachtens bekannt, das der Verfassungsschutz über die Partei „Alternative für Deutschland“ (AfD) erstellt hatte. In diesem Gutachten wird die AfD nicht nur in einzelnen Landesteilen, sondern auch die Partei auf Bundesebene als „gesichert rechtsextremistisch“ bezeichnet. Als ein Hauptargument dafür zitierte Faeser aus dem Gutachten den Satz: „Das in der Partei vorherrschende ethnisch-abstammungsmäßige Volksverständnis ist nicht mit der freiheitlichen demokratischen Grundordnung vereinbar.“ Das Gutachten entfachte erneut eine Diskussion zur Frage, ob und wann die AfD verboten werden solle. Zugleich gab es Kritik am Zeitpunkt der Veröffentlichung ihres substanziellen Kerns, während es selbst mit seinen über 1000 Seiten unter Verschluss blieb. (Mittlerweile haben einige Massenmedien Teile aus ihm veröffentlicht.) Es schien so, als wolle Faeser die zentrale Aussage noch selbst veröffentlichen, ehe Alexander Dobrindt (CSU) am 6. Mai das Innenministerium übernahm.
Die Nachricht vom Gutachten wie seines Hauptarguments für eine Verfassungswidrigkeit der AfD weckte Erinnerungen daran, dass vor einigen Wochen im Ersten Programm ein Dokumentarfilm gelaufen war, in dem Material für das Hauptargument des Verfassungsschutzes geliefert wurde. Gemeint ist der Film „Masterplan – Das Potsdamer Treffen und seine Folgen“ von Volker Heise, den Thomas Kufus von der Berliner Firma „zero one film“ für gleich fünf ARD-Sender (NDR, SWR, BR, rbb und mdr) produziert hatte. Er war am 24. März ohne große Ankündigung ins Programm am späten Montagabend genommen worden, so dass es keine Vorabbesprechungen und auch verblüffend wenige Kritiken nach der Ausstrahlung gab.
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Ein Dokumentarfilm über das Treffen rechter Vordenker 2023 in Potsdam
Auch wenn man ihn nebenbei registriert hatte, wäre er ohne die aktuelle Diskussion um die AfD vermutlich in der Versenkung verschwunden. Nun bietet sich der Anlass, den Film über die Mediathek der ARD nachzuholen, wo er noch ein Jahr zu sehen ist.
Die Mediatheken der
Fernsehsender kann man ja als ein tendenziell unendlich großes Archiv all
dessen begreifen, was man im Alltag verabsäumt hat – wie ein Mahnmal für all
das Verdrängte der Mediengegenwart.
Nun wäre allein schon der Name des Regisseurs einer gewissen Neugier Wert gewesen. Volker Heise hat seit vielen Jahren anspruchsvolle Fernsehfilme vorgelegt. So wurde er als Produzent für die dokumentarischen Tagesprogramme „24h Berlin - Ein Tag im Leben“ (2009) oder „24h Europe - The Next Generation“ (2019) gelobt und sogar ausgezeichnet. Zuletzt hat er öffentliche Ereignisse rekonstruiert: In „Gladbeck: Das Geiseldrama“ (2022) untersucht er das Mediengroßereignis des Jahres 1988, das sich um dieses Verbrechen entwickelt hatte, und in „Berlin 1933 – Tagebuch einer Großstadt“ erzählt er, was im Lauf des im Titel erwähnten Jahres in der Reichshauptstadt geschah; in beiden Filmen verwendet er ausschließlich Archivmaterial, das er bearbeitete und zu jeweils einer neuen Erzählung montierte. Auch „Masterplan – Das Potsdamer Treffen und seine Folgen“ handelt von einem Medienereignis, und auch dieser Film besteht auch zu Teilen aus Fremdmaterial.
Mit dem im Titel genannten Treffen ist eine Veranstaltung gemeint, die in einem Hotel an einem See in der Nähe von Potsdam im November 2023 stattfand. Zu ihm lud ein Kreis ein, der sich selbst „Düsseldorfer Forum“ nennt und der sich als „exklusives Netzwerk solcher Persönlichkeiten“ versteht, „die bereit sind, signifikante Beiträge für Aktivitäten beziehungsweise Organisationen zu leisten, die sich der Zerstörung unseres Landes entgegenstellen“. Das ausdrücklich als „privat“ bezeichnete Treffen solle dem „konstruktiv-vertraulichen Gedankenaustausch“ dienen. Erwartet werde von den Teilnehmern eine „Mindestspende“ von 5.000 Euro. Als einer von zwei Einladern fungierte Gernot Mörig; der Düsseldorfer Zahnarzt ist seit seiner Jugend in rechtsradikalen Gruppen aktiv. Die hier zitierte Einladung wird im Film zu Beginn gezeigt, allerdings nur so kurz, dass man kaum etwas lesen kann; es sei denn, man hält den Film an.
Pläne zur „Remigration“
Diese Einladung erreichte über einen Informanten einen Reporter des gemeinnützigen Medienunternehmens Correctiv, das unter anderem den europaweiten Steuerbetrug um Cum-Ex-Geschäfte aufdeckte. Der Reporter mietet sich kurz vor dem Treffen in diesem Hotel ein und gab vor, sich einige Tage hier erholen zu wollen. Zugleich installierten Kolleginnen und Kollegen Kameras im Umfeld des Hotels, um die Teilnehmer nicht nur bei der Anreise, sondern auch beim Treffen selbst aufnehmen zu können.
Unter denen, die sie auf ihren Bildern identifizieren ließen, sind neben Mörig nebst Familie mehrere Unternehmer und ein Verleger, eine Reihe von Landtagsabgeordneten und Funktionären der AfD, Anhänger der Identitären Bewegung, Mitglieder konservativer Vereine und sogar der CDU. Hauptredner war Martin Sellner, der seit Jahren zu den führenden Köpfen rechtsextremer Gruppen in Österreich gehört. Er vertrat in seiner Rede unter anderem die These der „Remigration“ all der Menschen, die zwar über einen deutschen Pass verfügten, aber zu Deutschland als Eingewanderte oder als Kinder von Einwanderern irgendwie nicht passten. Er bezeichnet sie als „nicht-assimilierbare Staatsbürger“, die man zur Ausreise zwingen solle.
Der Begriff „Remigration“ bezeichnete bislang wertneutral die Rückkehr von Menschen in die Länder, aus denen sie einst geflohen waren. Remigranten waren so beispielsweise die Philosophen Theodor W. Adorno und Max Horkheimer, die nach der Niederlage des nationalsozialistischen Deutschlands auf eigenen Wunsch aus den USA, in die sie einst geflohen waren, in ihre alte Heimat zurückkehrten. Sellner wertete den Begriff dergestalt um, dass aus einer freiwilligen Rückkehr nun eine staatlich zu erzwingende wurde. Zur Perfidie der sich in dieser Umdeutung andeutenden Strategie der radikalen Rechten neuen Typs gehört, dass er sich eines Begriffs bedient, der einst eher von linken und demokratisch gesinnten Menschen und auf diese angewandt wurde. Die Identitäre Bewegung – das zeigt ein weiterer Exkurs im Film – imitiert mit ihren Aktionen jene Demonstrationstechniken und Mobilisierungsweisen, wie sie vorzugsweise von linken Gruppen seit den 1960er-Jahren betrieben wurden.
Am 10. Januar 2024
veröffentlichte Correctiv den Artikel
über das Treffen auf seiner Internetseite.
In braunen Fußstapfen
Dort wurden auch die Namen einiger Teilnehmerinnen und Teilnehmer genannt und Bilder von ihnen gezeigt, die heimlich beim Treffen aufgenommen worden waren. Inhaltlich konzentriert sich der Tagungsbericht auf Sellners Strategieplan der „Remigration“, der unter anderem als eine Möglichkeit einen „Musterstaat“ in Nordafrika vorsieht, wohin man Leute „hinbewegen“ könne. Dies sei „ein Angriff auf das Grundgesetz“, urteilt der Artikel, und er erinnert in diesem Zusammenhang an Pläne der Nazis, die einst Juden nach Madagaskar aussiedeln wollten, schiebt aber dann nach: „Unklar ist, ob Sellner die historische Parallele im Kopf hat.“ Damit nicht genug, fragt der Artikel weiter, ob es Zufall sei, dass „die Organisatoren gerade diese Villa für ihr konspiratives Treffen gewählt“ hätten. „Knapp acht Kilometer entfernt von dem Hotel steht das Haus der Wannseekonferenz, auf der die Nazis die systematische Vernichtung der Juden koordinierten.“
Der Artikel wurde, kaum war er erschienen, selbst zum Medienereignis. Das Fernsehen berichtete. Viele Zeitungen und Zeitschriften griffen ihn auf. Und im Internet kam es auf vielen Kanälen und Foren zu wütenden Reaktionen. In kürzester Zeit empörten sich viele Menschen, was sich in Massen-Demonstrationen im ganzen Land niederschlug, wie man sie so seit langem nicht gesehen hatte.
Volker Heise sagt in einem kleinen Off-Kommentar zu Beginn, er versuche im Film die Ereignisse und ihre Folgen zu rekonstruieren. Dabei folgt er zunächst der Recherche von Correctiv. So fungieren drei Journalisten des Medienunternehmens über weite Strecken als Erzähler: Die Reporter Jean Peters, der undercover im Hotel anwesend war und mit einer versteckten Kamera Bilder aufnahm, und Marcus Bensmann, der den Zusammenhang des rechtsradikalen Lagers recherchierte, sowie Justus von Daniels, der als Chefredakteur für den Artikel mitverantwortlich war und ihn nun politisch einordnet.
Dem Bildmaterial von Correctiv fügt Heise eigene Filmbilder hinzu, für die bestimmte Phasen der Recherche nachinszeniert wurden. So ist beispielsweise mehrfach ein auf dem See fahrendes Floß zu sehen, von dem befreundete Aktivisten das Tagungshotel beobachteten. Musik verleiht diesen Szenen eine zusätzliche Spannung, sodass der Dokumentarfilm teils wie ein Spionagethriller wirkt. Zweifel an der Darstellung der Journalisten deutet der Film nicht an. Auch die Zeichnungen zu Beginn, die das Tagungsgelände darstellen, ähneln den Illustrationen des Correctiv-Artikels. Eine Leerstelle des Artikels, der von Sellners Rede im Tagungshotel nur wenige Satzfragmente zitiert, füllt Heise durch Auszüge von Videoaufnahmen des Österreichers, in denen er sich ausführlicher zur „Remigration“ äußerte. (Diese Videos finden sich auf der Internetseite des kanadischen Portals „Rumble“, auf dem vor allem konservative bis rechtsextreme US-Politiker ihre Stellungnahmen posten.)
Der Film beschränkt sich aber nicht auf diese Correctiv-Darstellung der Tagung, sondern lässt auch einige derer zu Wort kommen, die an ihr teilnahmen. So beschreibt der Rechtsanwalt Ulrich Vosgerau, der Mitglied der CDU ist und über mehrere Jahre als Privatdozent an der Rechtswissenschaftlichen Fakultät der Kölner Universität lehrte, wie er die Stimmung im Tagungshotel wahrgenommen hätte. Er gesteht, dass er vor allem auf Sellner neugierig gewesen sei, den er dort als einen „sehr angenehmen jungen Mann“ kennengelernt hätte. Und er mutmaßt, dass das Material aus dem Tagungshotel, auf das sich Correctiv bezöge, vom Verfassungsschutz stammte.
Klagen, Kontroversen und
Kritik
In der Darstellung der Wirkungsgeschichte des Artikels unterschlägt Heises Film nicht die Klagen, die Vosgerau und andere vor Verwaltungsgerichten gegen Passagen des Artikels und auch gegen jene erhoben, die diesen ihrerseits zitierten oder zusammenfassten. Als Zweck der von ihm selbst angestrengten Prozesse nennt der Anwalt, dass es darum ginge, öffentlich eine Gegenerzählung des Potsdamer Treffens zu etablieren. Nach dieser sei das Treffen eine private Veranstaltung gewesen, die allein dem Meinungsaustausch diente und eben nicht den Zweck verfolgte, einen „Masterplan“ zu konzipieren und zu verabschieden.
Der Film thematisiert auch die Kritik, die von anderen Journalisten an der Darstellung des Artikels geübt wurde; so kommt der Medienkritiker Stefan Niggemeier zu Wort, der mit zwei Kollegen dem Correctiv-Artikel in einer Analyse handwerkliche Mängel vorgeworfen hatte; so sei der angedeutete Vergleich mit der Wannseekonferenz schlichtweg falsch. Es sei angemerkt, dass Correctiv selbst die interne Kritik ihres Kollegen Andrej Reisin an der Darstellung des eigenen Hauses veröffentlichte
Der Film greift so einige Kontroversen um den Artikel auf, nimmt aber selbst zu ihnen nicht Stellung, überlässt vielmehr das letzte Wort jeweils den Correctiv-Journalisten. Diese berichten darüber hinaus das, was für sie persönlich auf den Artikel folgte. So erwähnt Jean Peters vor der Kamera Drohungen, die ihn aus rechtsradikalen Kreisen erreichten. Um diese Bedrohung zu illustrieren, lässt der Film in einem weiteren Exkurs eine Journalistin anhand von eigenem Videomaterial demonstrieren, welche Gewalt von rechtsextremen Aktivisten ausgeht. Eher skurril mutet hingegen eine Szene an, in der Peters bei einer Veranstaltung wie ein Popstar seinen Auftritt zelebriert.
Das Unwort sickert in die AfD-Sprache
Martin Sellner, der vor Heises Kamera als der Medienprofi erscheint, zu dem er sich im Lauf der Jahre entwickelt hat, bedankt sich vor Heises Kamera sehr freundlich und zugewandt für den Artikel, denn der habe seinen Begriff der „Remigration“ ja „millionenfach bekannt gemacht“. Tatsächlich belegt Volker Heise am Ende des Films in einer Montagesequenz öffentlicher Auftritte und Erklärungen, wie der Begriff in den folgenden Monaten langsam, aber sicher in die Sprache der AfD einsickert, bis deren Vorsitzende Alice Weidel ein Jahr nach Erscheinen des Artikels beim Bundesparteitag trotzig verkündet: „Und ich muss Ihnen ganz ehrlich sagen: Wenn es dann Remigration heißen soll, dann heißt es eben Remigration.“ Wobei sie offen lässt, ob sie darunter auch die Ausweisung von Menschen mit deutscher Staatsangehörigkeit versteht.
Das ist vielleicht der wichtigste Aspekt des Films: Er legt die Strategie frei, mit der Rechtsextreme neueren Typus wie Martin Sellner die öffentliche Meinung zu beeinflussen suchen. Da ist zum einen die Besetzung von zunächst offenen Begriffen im eigenen Interesse; so wurde wie beschrieben aus der faktischen Umschreibung von Remigration ein rechtsextremistisches Postulat. Da ist zum zweiten die permanente Provokation, die durch Assoziationen zu Ideen und Handlungen des Nationalsozialismus erzeugt wird; Begriffe wie „Masterplan“ oder „Geheimtreffen“ suggerieren eine Nähe zum Nationalsozialismus, die aber erst noch zu beweisen wäre. Eine Kritik, die wie der Correctiv-Artikel das Assoziierte und Suggerierte als wirklich ausgibt, geht auf der Seite den Provokateuren auf den Leim und wirbt indirekt bei deren Fans für eben diese Provokation.
Exkurse in eine umfassendere Geschichte
Heises Film ist kein Essay, der solchen Gedanken weiter nachgeht. Er lebt von der Montage des Fremdmaterials, von der Chronik der Ereignisse um den Correctiv-Artikel und von den Exkursen, die diesen in eine umfassendere Geschichte einbetten. In einem Exkurs wird beispielsweise die Geschichte einer rechtsradikalen Gruppe in der Bundesrepublik nachgezeichnet; in diesem Zusammenhang montiert Heise Ausschnitte aus der verdienstvollen Dokumentation „Wotans Erben“, den die WDR-Redakteure Rolf Bringmann und Dirk Gerhard 1977 für ihren Sender gedreht hatten, und der heute auf einem YouTube-Kanal angeschaut werden kann.
Volker Heise ist im Film eine gewisse Faszination für die Aktion der Correctiv-Journalisten anzumerken, die er durch Nachinszenierungen und den Musikeinsatz gleichsam zu einem dokumentarischen Thriller überhöht. Das hindert ihn aber dankenswerterweise nicht daran, Kritik an ihrer Arbeit im Film zu erwähnen und zu thematisieren. Dass der Film bis zum Ende von Juristen der Produktionsfirma wie der Sender geprüft wurde, merkt man den Texttafeln an, die vor dem Abspann gezeigt werden und in denen Teilnehmer des Potsdamer Treffens auf bestimmten Aussagen beharren. In der letzten Texttafel wird darauf hingewiesen, dass einer der rechtsradikalen Teilnehmer, der mehrfach wegen Gewalttaten verurteilt wurde, als wissenschaftlicher Mitarbeiter eines AfD-Abgeordneten des Bundestags angestellt sei. Man könnte das als das letzte Wort des Regisseurs verstehen.
Für ein Verbot der AfD liefert der Film Hinweise, aber eben auch keine stichhaltigen Beweise. Er deutet damit indirekt auch an, wie schwer es ein Verbot vor den Gerichten haben wird. Zugleich wirbt er für eine enorme Wachsamkeit gegenüber der Art und Weise, wie Rechtsradikale mit neuen Methoden versuchen, eine gewisse kulturelle Hegemonie zu erreichen. War für diese viele Jahre allein die Hoheit über die Stammtische bedeutsam, will zusätzlich die Identitäre Bewegung um Sellner den gesellschaftlichen Diskurs infiltrieren und in ihrem Sinne steuern.