Der deutsch-französische Filmemacher Marcel Ophüls war in vielfacher Hinsicht ein streitbarer Chronist des 20. Jahrhunderts. In seinen Arbeiten setzte er sich immer wieder mit dem Nationalsozialismus, aber auch mit dem Mythos der französischen Résistance auseinander. Mit seiner zugewandten, aber durchaus auch kalkulierten Art brachte er viele zum Reden und erntete dafür nicht immer Beifall. Am 24. Mai ist der Dokumentarist im Alter von 97 Jahren in Südwestfrankreich gestorben.
Der Filmemacher Marcel Ophüls, der am 24. Mai 2025 im Alter von 97 Jahren gestorben ist, war in vielfacher Hinsicht ein Chronist des 20. Jahrhunderts, aber auch von dessen Mediengeschichte. Das spiegelt zunächst sein Werk als Dokumentarfilmregisseur wider, zeigt sich aber auch in seinem Leben als Sohn des Spielfilmregisseurs Max Ophüls, dessen Filmografie durch Flucht und Vertreibung geprägt war. Es hat sich zudem in vielen Artikeln, Interviews und Gesprächen niedergeschlagen, in denen er sich zu seinem Werk äußerte. Ein Teil dieser Texte erschien 1997 unter dem Titel „Widerreden und andere Liebeserklärungen“ auf Deutsch.
Marcel Ophüls (1.11.1927-24.5.2025) zeigte sich in manchen seiner Texte kritischer gegenüber seinem eigenen Werk als dies viele zeitgenössische Kritiker taten. So bezeichnete er „Hotel Terminus – Zeit und Leben des Klaus Barbie“, der 1989 den „Oscar“ als bester Dokumentarfilm gewann, als eine Auftragsarbeit, die „zu machen ich nicht die geringste Lust verspürt hatte“. In seiner Autobiografie „Meines Vaters Sohn“ beschreibt er in schonungsloser Ehrlichkeit, wie ihn dieser viereinhalbstündige Film in eine schwere Lebenskrise stürzte.
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An den Dokumentarfilm war Marcel Ophüls geraten, als seine Karriere als Spielfilmregisseur zu scheitern drohte. Das Regiehandwerk hatte er zunächst an der Seite seines Vaters, dann aber auch an der von Regisseuren wie John Huston oder Julien Duvivier gelernt. Sein Erstlingsfilm war sein Beitrag zum Omnibusfilm „Liebe mit zwanzig“ (1961), den Francois Truffaut vor allem deshalb initiierte, um seinem Freund Marcel den Start ins Filmgeschäft zu ermöglichen. Sein erster eigenständiger Kinofilm „Heißes Pflaster“ entstand 1963 nach einem Roman von Charles Williams. Der mit Jeanne Moreau, Jean-Paul Belmondo, Gerd Fröbe und Claude Brasseur glänzend besetzte Gangsterfilm um betrogene Betrüger war an der Kinokasse ein Erfolg. Was man von dem nachfolgenden Spielfilm „Ab heute wieder Niederschläge“ (1965) mit Eddie Constantine in der Hauptrolle nicht behaupten konnte, der am selben Wochenende wie „Alphaville“ von Jean-Luc Godard startete, in dem Constantine ungleich stärker agierte als bei Ophüls.
Nach diesem Desaster wechselte der Regisseur zum staatlichen Fernsehsender ORTF, für den er dokumentarische Magazinbeiträge drehte, ehe er 1967 mit „Munich ou le paix pour cent ans“ (München oder Freiheit für hundert Jahre) seinen ersten langen, fast dreistündigen Dokumentarfilm präsentierte, der die Geschichte der Verhandlungen um das Münchner Abkommen im Jahr 1938 schildert, mit denen die von Hitler erwünschte Zerschlagung der Tschechoslowakei ihren Anfang nahm. Als es nach den politischen Ereignissen des Mai 1968 für Ophüls immer schwieriger wurde, bei dem von Gaullisten streng geführten ORTF zu arbeiten, wechselte er zum Norddeutschen Rundfunk nach Hamburg, wohin ihn Egon Monk eingeladen hatte.
Wie die NS-Besatzung Menschen verändert
„DasHaus nebenan – Chronik einer französischen Stadt im Kriege“ (1969) entstand so mit deutscher Beteiligung. Dieser Film begründete Ophüls‘ Ruhm als Dokumentarist. Er erzählt darin vom Widerstand und der Kollaboration in der französischen Stadt Clermont-Ferrand während der deutschen Besatzung 1940 bis 1944. Der Film lebt von den vielen Gesprächen, die Ophüls in Frankreich und Deutschland mit unbekannten wie bekannten Zeitzeugen führte. Durch die kluge Montage ist zu erkennen, wie die deutsche Besatzung die Menschen veränderte, wie aus einigen Opportunisten und Feiglinge wurden, die sich dem Feind unterwarfen oder mit ihm Geschäfte machten. Während andere sich zu Helden verwandelten, die Widerstand leisteten und ihr Leben riskierten. Zu diesen heimlichen Helden, die man nicht mehr vergisst, gehören die wortkargen Brüder Grave, die als Angehörige der Resistance verfolgt und gefoltert wurden.
In Frankreich wurde dieser Film, der auch die Widersprüche des Widerstands nicht aussparte, heftig kritisiert. Im französischen Fernsehen konnte er erst viele Jahre später gezeigt werden. Für den NDR drehte Ophüls 1970 die Dokumentarfilme „Die Ernte von My Lai. Auswirkungen eines Massakers“ und „Auf der Suche nach meinem Amerika. Eine Reise nach 20 Jahren“. In einem Hamburger Studio inszenierte er aber auch zwei Theaterstücke nach Goethe und Sacha Guitry. Dann kehrte er dem NDR den Rücken.
1975 entstand sein nächster großer Dokumentarfilm „Nicht schuldig?“, der vom Nürnberger Prozess ausgehend die Frage nach der Verfolgung und Bestrafung von Kriegsverbrechen bis in die Gegenwart der 1970er-Jahre und des Vietnamkriegs stellt. Bei der Fertigstellung des Films kam es jedoch zwischen dem Regisseur und seinen Produzenten zum Streit; für das ZDF wurde deshalb ein eigener Film erstellt. Das war ein Skandal sondergleichen, der damals in Deutschland aber niemanden zu stören schien. Ophüls‘ Mitarbeiterinnen Inge Behrens und Ana Carrigan gelang es aber, das Material aus dem Schneideraum herauszuschmuggeln, so dass Ophüls in den USA seine eigene Fassung erstellen konnte, die dann weltweit Beachtung fand.
An dieser integralen Fassung ist die Fähigkeit des Regisseurs zu bewundern, dramaturgische Bögen in seine weitausholende Geschichte zu zuehen, durch die Einfügung von Fremdmaterial das von ihm Gedrehte zu kommentieren und seine eigene Perspektive auf die Zeitgeschichte aufzuzeigen, ohne sie dem Film aufzuzwingen. Hinzu kommt Ophüls‘ Geschick als Interviewer, der immer wieder in andere Rolle schlüpft, um die Gesprächspartner zum Reden zu bringen. In „Hotel Terminus“ ist er mal der neugierige Journalist, mal ein fast polizeilich auftretende Verhörspezialist, dann aber wiederum der freundliche Zeitgenosse. An einer Stelle drückt er seine Wut auf Nazis, die den SS-Mann Klaus Barbie persönlich kannten, sich ihm gegenüber aber verleugneten, so aus, dass er in Gartenbeeten und Büschen nach ihnen sucht.
In dem Film „Novembertage“ (1990), in dem Ophüls im Auftrag der BBC von der Öffnung der Berliner Mauer erzählt, befragt er Markus Wolf, den ehemaligen General des DDR-Geheimdienstes. Der Regisseur gibt sich als jovialer Journalist aus, der sich nur für das Geschäft der Spionage interessiert. Im Kopf hatte er dabei aber schon, dass er die Aussagen von Wolf mit einer Szene aus „Sein oder Nichtsein“ von Ernst Lubitsch zusammenschneiden würde, in der es um den deutschen Diensteifer geht. Es handelt sich vermutlich um das letzte Gespräch, das Wolf führte, ehe er sich nach Moskau absetzte.
Was wird in Zukunft sein?
Mitunter spitzt Ophüls seine Fragen zu starken Meinungsaussagen zu. In „Novembertage“ befragt er den Regierenden Bürgermeister von West-Berlin, Walter Momper (SPD), zur Zukunft der Stadt. Das Gespräch wurde auf einer Dachterrasse aufgenommen, weshalb man die Brachen sieht, die durch die Berliner Mauer geschlagen wurden. Was soll nach der Wiedervereinigung auf diesen Flächen entstehen? Ophüls mutmaßt, dass man den Potsdamer Platz nicht Mercedes-Benz überlassen dürfe. Jeder, der die Hochhaus-Wüstenei kennt, die später dort auch auf Initiative des Autokonzerns entstand und in die mit der Berlinale, der DFFB und der Kinemathek auch ein Stück des deutschen Films verbannt wurde, wird Ophüls im Nachhinein Recht geben.
In Deutschland hatte sich der Privatsender RTL an „Novembertage“ beteiligt. Der Chef des Senders, Helmut Thoma, der wenige Tage vor Marcel Ophüls am 3. Mai 2025 starb, präsentierte den über zwei Stunden langen Film mit einem gewissen Stolz, was damals fast so klang, als ob der Sender damit eine Art Qualitätsoffensive eröffnete. Doch zu mehr als „Novembertage“ reichte es auf dokumentarischem Gebiet dann doch nicht. Als der Film einen Grimme-Preis erhielt, blieb Ophüls der Veranstaltung fern. Er hatte sich mit der Co-Produzentin Regina Ziegler verkracht, die ihm die Reise nach Marl nicht bezahlen wollte.
Ophüls war für seine Streitlust bekannt, die ihn mitunter selbst mit besten Freunden brechen ließ. So kam es bei „The Troubles We’ve Seen - Die Geschichte der Kriegsberichterstattung“ (1994) zum Krach mit Bertrand Tavernier, der mit seiner Firma Little Bear den Film produzierte. Tavernier wirkte als junger Mann in „Das Haus nebenan“ mit, wo er neben seinem Vater René Tavernier steht, den Ophüls als Angehörigen der Resistance befragte. Als es über die Länge von „The Troubles We’ve Seen“ zu einem heftigen Streit kam, habe Tavernier verkündet (so steht es in „Meines Vaters Sohn“): „Für mich ist Marcel tot.“ Ophüls fügt an: „Von Zeit zu Zeit schicke ich ihm deshalb ein kleines Fax: „Noch immer nicht tot!“.
Streit mit Lebenden und Toten
Am Ende seiner Autobiografie steht ein kurzes Gespräch mit dem Journalisten Stéphane Bou, der erwähnt, dass Ophüls hier wohl auch „persönliche Abrechnungen“ vornehmen wolle. Daraufhin Marcel Ophüls: „Oui! Jawohl! Yes! Mit den Lebenden und den Toten!“, um dann wenig später zurückzufragen „Sie scheinen mich nicht besonders zu mögen, Stéphane“, worauf Bou antwortet: „Das stimmt. Sie sind kein sympathischer Typ.“ Dass Ophüls, den viele als äußerst zugewandten und freundlichen Gesprächspartner erlebt haben, diese Gesprächspassage dem ansonsten fast durchgehend von ihm selbst erzählten Text seines Lebens anfügt, zeugt von der Größe des Regisseurs, der Widersprüche provozierte, aber auch zuließ. Und es spiegelt zugleich eine große Qualität seiner Dokumentarfilme wider, die bei allen Zuspitzungen der Montage stets vielstimmig blieben und damit ein kluges Zeugnis von den thematisierten Zeiten ablegten.