Schon der Stummfilm schwelgte in monumentalen antiken Welten, und ab den 1950er-/1960er-Jahren wurde der Monumentalfilm regelmäßig wiederentdeckt, um die Überwältigungskraft des Kinos gegen seine Verächter zu verteidigen. Im gegenwärtigen Kino laden Filmemacher wie Martin Scorsese, Christopher Nolan oder Brady Corbet näher an der Gegenwart angesiedelte historische Stoffe mit den Mitteln des Monumentalfilms auf. Doch ist die ausgestellte Bedeutsamkeit nicht oft nur Behauptung?
Bei „Monumentalfilmen“ denkt man zunächst an die Historienepen aus der frühen und klassischen Phase Hollywoods, an die opulente Ausgestaltung antiker und biblischer Stoffe, an Kirk Douglas in „Spartacus“ oder Charlton Heston als Wagenlenker in „Ben Hur“. In den 1950er- und 1960er-Jahren erlebte das „Peplum“ auch in Italien einen Boom: In den römischen Cinecittà-Studios produzierten Regisseure wie Vittorio Cottafavi Weltgeschichte am Fließband. Die italienische Genrebezeichnung stammt vom griechischen „peplos“, dem Stoff, aus dem die Togen sind. Oder eben die Leinwandträume einer heldenhaften, blutigen und sonnendurchfluteten Antike.
Vom Peplum zur „Odyssee“
Das Peplum erlebte mehrfach eine Rückkehr, auch im US-Blockbusterkino mit Wolfgang Petersens „Troja“, Oliver Stones „Alexander“ oder Ridley Scotts „Gladiator“-Filmen. Zuletzt könnte man Christopher Nolans aktuell entstehenden „Die Odyssee“ nennen. Und doch scheint gerade dieses Projekt die Bedeutung des „Monumentalen“ zu verschieben: Homers Epos ist schlichtweg der größtmögliche Stoff für den nächsten Tentpole-Film eines Ausnahmeregisseurs, der mit gigantischen IMAX-Spektakeln das Kino retten will; eine der wenigen verbleibenden „großen Storys“, die nach „Oppenheimer“, Nolans „Oscar“-prämiertem Erfolgsfilm über den Vater der Atombombe, noch kommen können. Monumental ist ebenso das Budget von 250 Millionen Dollar – sowie die Möglichkeit, es in den Sand zu setzen.
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War der alte Monumentalfilm ein Genre unter anderen und jeder neue Monumentalfilm einer unter vielen – vor allem in Italien –, folgt der neue der Logik des einzigartigen, atypischen Prototyps. Wollte der alte die Antike rekonstruieren, versucht der neue, die Wichtigkeit und „Größe“ des Kinos in einer Gegenwart zu behaupten, in der das Kino, überholt von neuen Medien und Technologien, selbst oftmals wie eine antike Kunstform wirkt.
Die großen Sujets
Auch der neue Monumentalfilm bedient sich historischer Stoffe, der großen Sujets der Vergangenheit. In Damien Chazelles rauschhaftem „Babylon“ wird das dekadente alte Hollywood an der Schwelle vom Stumm- zum Tonfilm porträtiert, in Nolans „Oppenheimer“ der berühmte Physiker bei seiner Arbeit am Manhattan-Projekt. In „Killers of the Flower Moon“ wendet sich Martin Scorsese den Morden an Angehörigen der Osage Nation im frühen 20. Jahrhundert zu. Und Brady Corbets „Der Brutalist“ erzählt die Geschichte eines (fiktiven) jüdischen Architekten, der nach dem Zweiten Weltkrieg in den USA für einen Auftraggeber ein grandioses Bauwerk errichtet.
Diese Filme verbinden das Monumentale mit der Idee des künstlerischen Autorenfilms und einer persönlichen Vision. Von Anfang bis Ende tragen sie die Handschrift ihrer Schöpfer, die auf teils enorme Budgets zurückgreifen können. Gedreht wird, zumeist, auf analogem Film, am besten auf 70 Millimeter (im Fall von Nolan und Corbet). Überlänge ist obligatorisch: drei Stunden bei Chazelle und Nolan, dreieinhalb bei Scorsese und Corbet, der sogar nach der Hälfte für eine „Intermission“ pausiert, wie einst die überlangen Epen der 1960er-Jahre. Eine weitere Gemeinsamkeit: Sie alle scheinen früher oder später unter ihrem eigenen Gewicht und Anspruch zu kollabieren.
Monumental und meta: Chazelle und Nolan
Chazelles Film etwa besteht aus einer Reihe grandios exekutierter, aber seelenloser „Set Pieces“. Brillant orchestrierte Sequenzen enden im Erbrechen, Defäkieren oder Sterben, in einem orgiastischen Crescendo, das mehr zur Ekstase zwingt, als dass es deren Genuss erlauben würde. Das Kino wird „zelebriert“ – am Ende versinkt eine Figur in einem Malstrom aus Filmen von den Anfängen bis in die Gegenwart, von Étienne-Jules Marey bis „Avatar“ – indem es mit einem Mal ausgeleert wird: Alles muss raus. Ein echter Kino-Durchfall.
Bei Nolan wiederum erzeugen die nicht enden wollenden Nahaufnahmen angestrengt schauender, rauchender und redender Männer während dieser oder jener Sitzung dieses oder jenes Sicherheitskomitees den Eindruck einer hypernervösen Monotonie; die pausenlose Untermalung mit dramatischer Musik will Spannung dort erzwingen, wo sie sich kaum einzustellen vermag. Warum IMAX-Kinokameras verwenden, um nichts als Talking Heads zu filmen, wie in einer Fernsehreportage? Sollte das Spektakel nur im Vortrag von Gesprächsprotokollen bestehen? Wozu Grandioses entwerfen, nur um es implodieren zu lassen?
Man denkt an amerikanische Blockbuster vor allem der 2010er-Jahre mit ihren aufwendigen digitalen Architekturen und ihrer Tendenz zur Einäscherung jedweder Materie („Pacific Rim“, „San Andreas“, „Man of Steel“, „Star Trek Into Darkness“, die „Transformers“-Filme et cetera). Man denkt an die „Marvel“-Filme, an die klaffende Leere hinter ihren computergenerierten Pixelorkanen.
In den Monumentalfilmen der „Autorenfilmer“ Chazelle und Nolan ist die Sache insoweit komplexer, als das Erschaffen und Zerstören als Symptome ihres jeweiligen künstlerischen Komplexes, also ihrer jeweiligen Vorstellung von Großartigkeit verstanden werden müssen. Bei Chazelle handelt es sich um einen cinephilen Komplex (das „einverleibte“ Kino muss in einer vom Meister „verdauten“ und von ihm „ausgeschiedenen“ Form dargeboten werden, wie ein Beweis seiner Beherrschung des Materials), beim konzeptvernarrten Nolan um einen narrativen: Schon „Memento“ oder „Tenet“ kehrten die Zeit um, bauten das Geschaffene „zurück“.
Das Monumentale besteht hier also auch in seiner Verdauung und Ausscheidung, seiner Kritik und Reflexion, seiner Umkehrung und Abstraktion: Monumental heißt heute immer auch Meta (was auch für die selbstreferentiellen „Marvel“-Universen gilt). Fanden sich Metaebenen früher eher im elitär-intellektuellen Autor:innenkino, entledigt sich der gegenwärtige viszeral-zerebrale Hollywood-Monumentalfilm der Übung auf seine Weise: mit einer imposanten, ermüdenden Materialschwemme.
Schwergewichtler: Scorsese und Corbet
Als imposant und materialreich präsentieren sich auch die Filme von Scorsese und Corbet, die sich den Unterdrückten des 20. Jahrhunderts widmen. Das Kino wird hier zum Gedächtnis, zum historischen Bewusstsein, das in einem weitläufigen Panorama eine vergessene Episode der amerikanischen Geschichte rekonstruiert (Scorsese) oder von einem Überlebenden der Shoah erzählt, der seine Leidensgeschichte in eine monumentale (und monströse) Architektur übersetzt (Corbet).
Und doch hinterlassen beide Filme nichts als eine Aneinanderreihung von episodischem Stückwerk, von „großen Kinomomenten“. Die Szenen sind zu kurz, um die massive Dauer zu entfalten, zu einem Entwicklungsprozess zu führen und damit für das Publikum zugänglich zu machen. Material wird aufgeschüttet, ohne umgeschichtet zu werden oder mehr zu erzeugen als die Summe aller Teile; was bleibt, ist reine Schwere. Schwer wiegen, wie schon in „Oppenheimer“, die schönen, expressiven, aber monoton wiederkehrenden, immergleich dreinblickenden Gesichter in verengter Großaufnahme (Leonardo DiCaprio bei Scorsese: verknautscht, zerrissen; Adrien Brody bei Corbet: rauchend, ausgezehrt), um die herum sich der Raum nie richtig öffnen kann. Unter dem Beton des Architekten: kein Hauch von Leichtigkeit, kein Luftzug. Nichts atmet, nichts zirkuliert, aber alles ist „Kino“. Selbst die historischen Archivaufnahmen, die in „Killers of the Flower Moon“ wie „dazwischengeschnitten“ wirken, wurden von Scorsese gedreht, und auch bei Corbet erzeugen die „kinofremden“ Medien – ein Familienfoto, das während der „Intermission“ zu sehen ist, und ein Fernsehdreh am Ende – kein Aufbrechen des Regimes der grandiosen Bilder, keine Risse im Beton: Sie ändern nie den Lauf des Films oder den Blick auf ihn.
Einerseits drängt sich für die Filmkritik die Verteidigung dieser unzugänglichen Meisterwerke auf, als stünden diese „Monumente“ heute für die Gesamtheit des Kinos. Wenn das Kino überlebt, dann dank „Oppenheimer“, „Killers of the Flower Moon“ und „Der Brutalist“! Doch soll man wirklich vor ihnen in die Knie gehen? Ist es nicht eher ihr Gewicht, das einen niederdrückt? Sollten Filme, die den Glauben ans Kino entfachen, nicht immer auch Lust auf anderes machen als auf sich selbst? Auf die Außenwelt, auf andere Filme?
Maximalistische Gegenwarts-Chroniken: Pochlatko und Tykwer
Neben der „Rettung des Kinos“ besteht die zweite Mission des neuen Monumentalfilms in der Rekonstruktion einer überkomplexen Gegenwart, ihrer Themen und Diskurse. Erneut wird auf dem „Wert“ des Kinos insistiert, nun aber als Ordnungsmacht und Diskursraum in unserer schnelllebigen, unübersichtlich gewordenen Welt. Das Kino versucht sich hier an einer maximalistisch-hyperaktiven Chronik des Zeitgeschehens, vergleichbar mit der „Materialfülle“ der „brutalistischen Meisterwerke“. Hier ist es die Gegenwart, die zu einem aus Fragmenten des Hier und Jetzt errichteten Monument wird, das sich jedoch als nicht sehr tragfähig erweist.
„How to Be Normal and the Oddness of the Other World“ des Österreichers Florian Pochlatko ist dafür ein perfektes Beispiel. Erzählt aus der Perspektive von Pia, einer neurodiversen jungen Frau, entfacht der Film einen Strudel aus Persönlich- und Wirklichkeitssplittern, in dem innere und äußere Welt gemeinsam auf eine Katastrophe zusteuern: Flüsse treten über die Ufer, Wälder stehen in Flammen, neue Investor:innen übernehmen den Familienbetrieb. Doch das Chaos enthüllt nur das Paradox, dass die Gegenwart, sobald sie in ihrer Fülle erfasst werden soll, einfach zerplatzt, gerade wenn sie so chaotisch geworden ist wie unsere. Weniger schaut man mit Pias Augen auf die Gegenwart, als dass diese auf Pia projiziert und auf ihr abgeladen wird – eine Überforderung, durch die sich die Figur zunehmend auflöst.
Ein weiterer Vertreter der maximalistischen Chronik ist Tom Tykwers „Das Licht“, der Eröffnungsfilm der letzten Berlinale. In einem dauerverregneten Berlin will eine Syrerin mithilfe einer Meditationslampe das Seelenheil einer privilegierten und dysfunktionalen Familie retten. Dabei scheint der fast dreistündige Film selbst zu dieser Lampe zu werden, deren Licht nicht nur die Zuschauer:innen heilen, sondern auch sämtliche Zeitgeistthemen und Lebensfragen der digitalen wie analogen Welt durchdringen soll: Es geht um das Verhältnis zwischen Globalem Norden und Globalem Süden, um Klimawandel und Flucht, um virtuelle Realitäten und Eheprobleme in Patchworkfamilien. Auf der ästhetischen Ebene entsprechen die Statistenheere und die opulente Ausstattung des alten Monumentalfilms bei Pochlatko und Tykwer einer opulenten, eklektischen Auskleidung mit medialen Versatzstücken: Da sind Animationen, Tanzszenen und verschiedene Bildformate, popkulturelle Zitate und Ausflüge in veränderte Bewusstseinszustände.
Die wiedergefundene Zukunft: „Megalopolis“
„Das Licht“ ist das, was François Truffaut einmal als „großen kranken Film“ bezeichnet hat: ein überambitioniertes und missglücktes Meisterwerk, ein unrealisierbares Drehbuch, eine trügerische Exaltiertheit. Als „großer kranker Film“, der ebenfalls ein Höchstmaß an Ambition mit einem Mangel an Perfektion verbindet, kann auch Francis Ford Coppolas Herzensprojekt „Megalopolis“ bezeichnet werden. Schon die Bezüge zum alten Rom weisen ihn als Neo-Monumentalfilm aus: Die „New Rome“ genannte Megacity, die der geniale Architekt Caesar Catalina mit einem neuen Baustoff umgestalten will, verbindet die Antike mit der Zukunft, den Monumentalfilm mit der Science-Fiction.
Das ernste historische Sujet wird hier ebenso ausgespart wie die Falle der überbordenden Gegenwart. Das vom Architekten praktizierte „Anhalten der Zeit“ entspricht hier eben nicht dem vergeblichen Wunsch, eine (unsere, heutige) Welt „festzuhalten“, sondern es befreit jene fiktionalen und imaginativen Kräfte, die im heutigen Monumentalkino von der schieren Masse an Material oft gelähmt und gebunden werden. „Unserer“ Gegenwart nähert sich Coppola wie einer „neuen“ Antike, von einer fernen Zukunft aus gesehen – als lebten wir längst in den Ruinen einer zerstörten Vergangenheit, deren Scherben kein Mensch mehr zusammensetzen und die nur noch „nachträglich“ halluziniert werden kann.
Sicher: Die Handlung von „Megalopolis“ ist bizarr und verwirrend. Doch anstelle eines zerfallenden Stückwerkes erscheint der Film als Kaleidoskop, durch das Coppola eine persönliche, großzügig inszenierte und nie auf ein paar Charaktervisagen verengte Vision zu sehen gibt. Die Fluidität der Bilder, die schlafwandlerische Klarheit und Bestimmtheit ihrer Setzungen verleiht ihm Film die Logik eines Traums, eine visuelle Kohärenz. Monumental ist hier vor allem ein offenes Projekt, eine vielleicht nie wirklich realisierte Utopie, ein suspendierter Erfolg, ein reines Versprechen. Allein solche Werke sind für die Ewigkeit bestimmt.