Bella Ramsey, Isabela Merced in der zweiten Staffel von „The Last of Us“ (© IMAGO / Avalon.red)

Der lange Weg nach Protopia

Können Serien mehr als nur Dystopie? Ein Panel der diesjährigen re:publica beschäftigte sich mit dem Thema und suchte positive Gegenentwürfe.

Aktualisiert am
06.06.2025 - 15:49:12
Diskussion

Das größte Festival für die digitale Gesellschaft in Europa, die re:publica, kooperiert schon seit langem mit dem Medienboard Berlin-Brandenburg. Dieses Jahr (26.-28.5.) wurde das Programm-Special ON SCREEN auf die Beine gestellt. Ein Panel hatte den Titel „F**k the Dystopia – Reimagining the Future Through Serial Storytelling“. Wie Zukunftserzählungen beschaffen sein müssen, damit nicht nur Dystopien, sondern auch positive Zukunftsperspektiven auf die Leinwände und Bildschirme kommen, wird schon seit vielen Jahren in der Film- und Medienbranche wie auch in der Nachhaltigkeitskommunikation und in Bildungskontexten diskutiert. Wie ist der aktuelle Stand und wie ist der zu bewerten?


Es herrscht Endzeit-Stimmung, von „Furiosa: A Mad Max Saga“ über „The Last of Us“ bis zu „Eternauta“: die Zukunftsfantasien der Film- und Serienlandschaft werden ungebrochen von Dystopien beherrscht. Zweifellos: Wir leben auch realiter nicht gerade in rosigen Zeiten, und um die Zukunft scheint es noch schlechter bestellt. Doch kamen in den letzten Jahren zunehmend Stimmen auf, dass es auch mal gut sein müsse mit den Dystopien, mit den immergleichen Zombieapokalypsen, Alieninvasionen, Meteoriteneinschlägen, Umweltkollapsen et cetera. Die Forderung nach positiven Zukunftsentwürfen wird laut. Denn Menschen brauchen auch vorbildhafte, konstruktive Erzählungen und Bilder, sonst versinken sie im Sumpf der Resignation und scheinbaren Handlungsunfähigkeit. Wie kann eine positive Zukunft erzählt werden? In Form von Utopien? Denen wird für gewöhnlich wenig dramatisches Potential zugesprochen, denn eine utopische Gesellschaft, so wie wir sie aus den literarischen Vorbildern kennen, hat ihr Ziel bereits erreicht. Welche Konflikte, die für Spannungsdramaturgien doch so nötig sind, soll es da noch geben? Alternativen zu Dystopien zu finden, scheint also gar nicht so einfach zu sein.

Ewige Verfolgungsjagden?: „Furiosa: A Mad Max Saga“ (© Jasin Boland/Warner Bros.)
Ewige Verfolgungsjagden?: „Furiosa: A Mad Max Saga“ (© Jasin Boland/Warner Bros.)

Das Panel „F**k the Dystopia – Reimagining the Future Through Serial Storytelling“ auf der diesjährigen re:publica, das im Rahmen des Programm-Specials ON SCREEN in Kooperation mit dem Medienboard Berlin-Brandenburg stattfand, nahm sich dieses wichtigen Themas an. Kuratiert wurde die Runde von Seriesly Berlin. Auf dem Podium saßen Benjamin Gutsche, Drehbuchautor und Regisseur der Netflix-Serie „Cassandra“, Alexander Lindh, Headautor und Co-Creator von „A Better Place“, sowie die britische Cyberpsychologin und Autorin Elaine Kasket. Moderiert wurde das Gespräch von Matija Dragojevic, seines Zeichens ebenfalls in der Serienbranche unterwegs. Die Erkenntnisse waren eher ernüchternd.


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Sowohl Benjamin Gutsche als auch Alexander Lindh verwiesen darauf, dass sie in erster Linie ihre eigenen Geschichten erzählen und das Publikum unterhalten wollen. Nun ja, und die haben eher einen dystopischen Anstrich. Die Serie „Cassandra“ erzählt zudem nicht einmal von der Zukunft, sondern begibt sich retrofuturistisch in die Vergangenheit der 1970er-Jahre: Das Horror-Genre bedienend geht es um eine Familie, die von einer sehr frühen Smart-Home-Variante terrorisiert wird. „A Better Place“ arbeitet durchaus mit utopischen Elementen, wie im Titel bereits anklingt. Doch eine Welt ohne Gefängnisse, ist das eine Utopie, die wir brauchen, oder eher ein nettes Gedankenspiel? Das Resozialisierungsprogramm „Trust“ der Serie funktioniert übrigens nicht, und somit bricht auch der utopische Gestus im Lauf der Serie krachend in sich zusammen.


Serielles Erzählen gegen Hoffnungslosigkeit

Dystopien arbeiten oft damit, gesellschaftliche Vorstellungen von Glück zu pervertieren – wenn etwa der Wunsch nach Sicherheit und Kontrolle in Überwachungsstaat-Elend umschlägt (wie zum Beispiel in der belgisch-deutschen Serie „Arcadia“). Sie sind daher oft die dunkle Kehrseite utopischer Glücksversprechen. Sie auf einen Nenner zu bringen, ist aber nicht so einfach, das sieht man allein daran, wie schnell von Dystopie gesprochen wird, selbst dann, wenn sich nur ein Baustein der Gesellschaft ändert. Dystopien haben auf jeden Fall ein warnendes Potential und können zum Nachdenken anregen. Wie Elaine Kasket ausführte, bleibt das Publikum aber eher mit dem Gefühl der Hilflosigkeit zurück. Darüber ist sich auch die Umweltpsychologie einig. Bei Utopien wiederum besteht das Risiko, dass sie unerreichbar scheinen. Denn sie erzählen – und in dieser Hinsicht unterscheiden sie sich wenig von Dystopien – in der Regel von Zuständen, nicht von Prozessen, die dorthin führen.

In „A Better Place“ schafft eine Stadt die Gefängnisse ab (© WDR/Studiocanal)
Experiment mit Tücken: In „A Better Place“ schafft eine Stadt die Gefängnisse ab (© WDR/Studiocanal)

Dabei haben gerade Serien, vor allem wenn sie als Serial angelegt sind, dank ihrer breit angelegten Erzählstruktur, ihres langen Atems, die Möglichkeit, von Entwicklungen zu erzählen, und eignen sich sehr gut für die Darstellung von Transformationsprozessen. Allerdings wird dieses Potenzial viel zu selten genutzt, und wenn es mal genutzt wird, dann geht es viel zu oft schnurstracks in die Dystopie, wie das in „The Handmaid’s Tale“ beispielhaft vorgeführt wird. Wünschenswerte gesellschaftliche Wandlungsprozesse finden sich in seriellen Erzählungen so gut wie nicht. In „Ted Lasso“ schafft es ein Trainer auf sehr amüsante und schlaue Weise, einen britischen Fußballverein über einen längeren Zeitraum zu einem richtigen, kollaborativ agierenden Team zu formen. Das wäre ein Vorbild, wie man es machen könnte. Der Fußballverein könnte auch ein Tech-Unternehmen sein. Warum nicht!

Serien sind darüber hinaus sehr gut dafür geeignet, komplex zu erzählen, viele Perspektiven zu liefern und gesellschaftliche Diskurse facettenreich zu durchleuchten. „The Wire“ steht dafür Pate, um nur ein Beispiel zu nennen. Auch die Serienkritik sprach seinerzeit überschwänglich von einer neuen Art des Erzählens. Davon hat sich die Serienproduktion inzwischen entfernt und setzt fast nur noch auf erzählerisches Fast Food. Viele Serien sind sogar unzureichend seriell organisiert, einige haben schon nach wenigen Folgen ihr Pulver verschossen, bei anderen wundert man sich, warum eine zweite Staffel produziert wird. Nicht nur bei Autorinnen und Autoren, sondern natürlich auch bei Redaktionen, Produzenten und weiteren Entscheidungsträgern fehlt schlichtweg der Mut, mal anders vorzugehen. Zurückgegriffen wird auf althergebrachte Erfolgsmodelle. Elaine Kasket hat es auf den bekannten Punkt gebracht: „If it bleeds, it leads.“


Transmedial erzählen?

In einem anderen Panel von ON SCREEN ist etwas Weiteres aufgefallen. Wenn es um das Erzählen mit Social Media geht, wird zwar davon gesprochen, dass man Geschichten auf mehrere Plattformen verteilen kann. Eine Serie wird etwa von zusätzlichen Clips auf TikTok begleitet, sei es aus Gründen der Werbung für das Gesamtprodukt oder narrativ integriert. Es ist noch nicht so lange her, da hat man diese Strategie als „Transmedia Storytelling“ bezeichnet. 2011 wurde im Rahmen der Buchmesse sogar ein „Transmedia Manifest“ präsentiert. Das Wort scheint völlig aus dem Diskurs verschwunden zu sein. Dabei wurden in den letzten zwanzig Jahren sehr gute Verfahren entwickelt, wie man damit arbeiten kann. Vor allem die Serie „Lost“ stand dafür Pate, bei der es zusätzliche Wobisodes (für Handy konzipiert), eine begleitende Webserie und Spiele gab.

Ein Vorbild für andere Serien: In „Ted Lasso“ hilft ein grenzenlos optimistischer Trainer einem Fußballteam (© AppleTV+)
Vorbildfunktion: In „Ted Lasso“ hilft ein grenzenlos optimistischer Trainer einem Fußballteam (© AppleTV+)

Wenn sich die Medienbranche so sehr davor scheut, belehrend zu wirken und von Problemen wie dem Klimawandel, dem Artensterben, der Digitalisierung und den KI-Entwicklungen allzu pädagogisch und verbunden mit dem Aufzeigen konkreter Handlungsoptionen zu erzählen, warum kommt dann niemand auf die Idee, transmedial vorzugehen? Zusätzliche Informationen, Kontexte, Spiele et cetera könnten so ebenfalls unterhaltsam die Basiserzählung flankieren. Aber vielleicht gab und gibt es Ideen dazu, die allerdings nicht auf Interesse bei Entscheidungsträgern stoßen.


Protopia

Matija Dragojevic insistierte darauf, dass es doch vor allem die Autorinnen und Autoren dieser Welt sind, die positive Zukunftserzählungen entwickeln könnten. In Deutschland haben wir Beststellerautoren wie Andreas Eschbach und Marc Elsberg, die packende Öko- und Tech-Thriller schreiben. Dietmar Daths Science-Fiction ist sehr komplex, aber warum sollte man sich nicht mal an einer Adaption von „Venus siegt“ versuchen? Tom Hillenbrand hat mit „Qube“ und „Thanatopia“ spannende Science-Fiction- und Postcyberpunk-Romane geschrieben, und die norwegische Schriftstellerin Maja Lunde ist mit ihren Umweltromanen, wenn man sie so nennen will, zu Weltruhm gelangt. Climate Fiction hat sich in der Literatur durchgesetzt, und Solarpunk breitet sich aus.

Auf die Film- und Serienwelt hat diese literarische Strömung bisher leider nur wenig abgefärbt; dort finden die zentralen Probleme unserer Zeit noch zu wenig Resonanz, vor allem konstruktive. Die genannten Beispiele sind übrigens Mischungen aus Utopie und Dystopie – gerade für differenzierte, vielschichtige Zukunftserzählungen kann es sich anbieten, beides nicht klar zu trennen. Das wird jeder wissen, der die Romane von Ursula K. Le Guin und Octavia E. Butler kennt, zwei prägenden Stimmen der feministischen Science-Fiction, die immer gerne genannt werden, wenn es um Utopien in der Literatur geht. 

Die Zukunft als „Protopia“ anzulegen, das ergibt Sinn, da kann Matija Dragojevic nur zugestimmt werden. Es kommt auf die Welt an, die man entwerfen will. In der Dramaturgie spricht man auch von Erzählkonzepten. Zentral ist die „Was wäre wenn?“-Prämisse. Wenn es möglich ist, die Frage zu stellen, was passieren würde, wenn alle Insassen einer Haftanstalt freikommen, wie wäre es dann mit: Was wäre, wenn eine Stadt beschließt, sich komplett autofrei zu machen? Ein konstruktiver Zukunftsentwurf, der gleichwohl jede Menge Material für Reibungen und Spannungen liefert. Dramatisch wäre das allemal – und hätte wohl genug Konfliktpotenzial für mehr als eine Staffel.

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