Szenen aus "Spielerinnen" von Aysun Bademsoy (© pong film/Arsenal Institut)

Was sich mit Worten kaum erzählen lässt

Ein Porträt der deutsch-türkischen Filmemacherin Aysun Bademsoy und ihrer Filme, die nicht nur Missstände aufzeigen, sondern Menschen ermuntern wollen, sich dagegen zu wehren.

Aktualisiert am
12.06.2025 - 14:50:21
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Die deutsch-türkische Dokumentaristin Aysun Bademsoy erzählt in ihren Filmen vom konfliktreichen Leben zwischen zwei Kulturen. Sie begnügt sich aber nicht damit, Widersprüche oder Missstände aufzuzeigen. Vielmehr geht es immer auch darum, wie man diesen trotzen kann. Durch die Hartnäckigkeit Einzelner, aber auch durch gemeinsame Arbeit an der Gesellschaft. Auch wenn das bisweilen hoffnungslos erscheint.

 

 

Ein Polizist legt eine CD mit einer kraftvollen bosnischen Rockballade über eine zerbrochene Beziehung ein. Dabei versucht er den Text zu übersetzen: „Ich bete die Stunden an, bis sie zurückkommt“. Die Filmemacherin will wissen, ob es die Kollegen störe, wenn der in Bosnien geborene Beamte im Gemeinschaftsraum seine Musik hört. Der zuckt mit den Schultern und räumt ein, dass diese Klänge sicher für manchen Neuland seien; einschränken aber will er sich deswegen nicht lassen.

Die Szene stammt aus der Dokumentation „Deutsche Polizisten: Viele Kulturen – eine Truppe“ (1999), in der zwei Beamte mit türkischen und bosnischen Wurzeln porträtiert werden. Der Film zeigt den Arbeitsalltag der Männer aus nächster Nähe: Büroarbeit, Plaudern im Aufenthaltsraum, Warten im Dienstwagen oder auch mal brenzlige Einsätze. In Gesprächen erzählen die Männer davon, was sie an ihrer Arbeit mögen und wie sie sich als „Ausländer“ unter überwiegend deutschen Kollegen fühlen. Die Erklärung ihrer Berufswahl ist so naheliegend wie simpel: Eine vielfältige Gesellschaft muss diese Vielfalt auch durch ihre Staatsorgane verkörpern.

 

Zerrissene Identitäten

In den Dokumentarfilmen von Aysun Bademsoy kommt es immer wieder vor, dass Musik gespielt wird. Die Klänge und Texte korrespondieren dabei nicht selten mit den Menschen und ihren Erfahrungen. Das wirkt dann so, als wolle die Regisseurin, die sonst vor allem ihre Protagonisten erzählen lässt, etwas sichtbar machen, was sich mit Worten nicht greifen lässt: eine verborgene Sehnsucht. Bademsoy interessieren vor allem die scheinbar unvereinbaren Gegensätze. Die Einsätze der Beamten erfolgen meist in Berliner Stadtvierteln wie Neukölln und Kreuzberg, wo sie häufig mit Menschen ohne legale Aufenthaltspapiere und Drogendealern zu tun haben, die selbst Migranten sind. Die Jüngeren würden sie deshalb als Verräter beschimpfen, erzählt einer der Polizisten. Aber er sehe das Leben als Gabelung, wo man sich zwischen einem richtigen und einem falschen Weg entscheiden müsse. Dass es in Wahrheit etwas komplizierter ist, offenbart sich, wenn die Regisseurin die Männer über ihre Identität sprechen lässt. Klar wären sie Deutsche, aber zuhause in der Familie doch eher Türken. Immer wieder richtet der Film den Blick auf solche Widersprüche, ohne die Protagonisten dabei zu denunzieren.

 

Die deutsch-türkische Filmemacherin Aysun Bademsoy (privat)
Die deutsch-türkische Filmemacherin Aysun Bademsoy (privat)

 

In fast allen ihrer Filme widmet sich Bademsoy deutschtürkischen Lebenswelten. Häufig handeln diese von zerrissenen Identitäten und mangelnder Zugehörigkeit. Sie zeigen aber auch, was für interessante, aufgeweckte und kämpferische Menschen solch widrige Umstände hervorbringen. Menschen, die in der Geschichtsschreibung des deutschen Dokumentarfilms immer noch stark unterrepräsentiert sind.

 

Von den Menschen her gedacht

Bademsoy kennt das zwiespältige Heimatgefühl aus eigener Erfahrung. Sie wurde 1960 in Mersin an der türkischen Mittelmeerküste geboren und kam mit neun Jahren nach Deutschland. Nach einigen kleinen Auftritten als Schauspielerin wechselte sie 1994 hinter die Kamera. Einige ihrer Filme wurden von dem unerschöpflich kreativen Essayfilmer Harun Farocki produziert. Bademsoy teilt mit Farocki den hartnäckigen Erkenntnisdrang, doch ihre Filme sind deutlich weniger formstreng und vorrangig vom Menschen her gedacht.

Ihr Regiedebüt war ein Beitrag für die 3sat-Serie „Fremde Kinder“ und vereinte schon alle Themen und Tugenden, die das spätere Werk der Regisseurin auszeichnen. „Nirgends ist man richtig da“ (1994) erzählt von dem 15-jährigen Yusuf, der zwar seit Langem mit seiner Familie in Deutschland lebt, aber wegen mangelnder Sprachkenntnisse in der Türkei zur Schule gehen muss. Hier wie dort ist er Ausländer. Die Türkei gefalle ihm besser, aber seine Freunde in der Schule sind ausschließlich Deutschtürken, weil er sich mit den „richtigen“ Türken nichts zu sagen habe.

Schon „Nirgends ist man richtig da“ offenbart Bademsoys Stärke, Protagonisten nicht in Schablonen zu pressen, sondern ihre Persönlichkeit mit all ihren mitunter auch widerstreitenden Eigenschaften einzufangen. Sie präsentiert Yusuf und seinen kleinen, ebenfalls in der Türkei zur Schule gehenden Bruder mal als geknickte, melancholische Jungen, dann aber auch wieder verspielt und mit hintergründigem Witz. Bademsoy kann gut zuhören, aber wenn die beiden scheinheilig werden, konfrontiert sie die Jungs mit einer sanft formulierten Rückfrage. So beschwert sich Yusufs Bruder über die ungezogenen türkischen Kinder und ihre Klingelstreiche, muss auf Nachfrage aber doch zugeben, dass er solche Streiche in Deutschland selbst macht.

 

Weder hier noch dort

Der zweite, in Bademsoys Geburtsland gedrehte Film beschäftigt sich mit Deutschtürken, die in die alte Heimat zurückgezogen sind. An der Peripherie von Mersin befindet sich eine im US-amerikanischen Stil erbaute Hochhaussiedlung, die wie eine eigene, sonderbar irreale Stadt anmutet. „Am Rand der Städte“ (2006) lässt fünf Familien, die dort leben, von ihren Erfahrungen berichten. Sie erzählen von der Enttäuschung darüber, sich nach der Wende in Deutschland unerwünscht gefühlt zu haben. Zudem verstehen sie nicht, warum sie als Rückkehrer ein Visum brauchen, wenn sie ihre deutschtürkischen Enkelkinder besuchen wollen. Das Gemeinschaftsgefühl und die Herzlichkeit hätten sie in Deutschland vermisst; in ihrer neuen alten Heimat aber fehle ihnen die strenge Arbeitsdisziplin sowie der Geschmack von Rindswurst und Knödeln.

 

Zwischen den Welten: "Am Rande der Städte" (Harun Faroki Prod.)
Zwischen den Welten: "Am Rande der Städte" (Harun Faroki Prod.)

 

Nicht nur Enttäuschung, sondern regelrechte Demütigung erfuhren die Deutschtürken, denen sich Bademsoy in „Spuren – Die Opfer des NSU“ (2019) widmet. Der Film zeichnet die Ermittlungen, den Prozess sowie die ernüchternden Nachwehen rund um die Taten der rechtsextremen Terrorvereinigung nach. Die „Spuren“ im Titel beziehen sich auf jene Indizien und Beweise, die von der Polizei mutwillig oder aus Schlamperei jahrelang ignoriert wurden. Es geht aber auch um die tiefen Narben, die die kaltblütigen Morde und die unwürdige Aufarbeitung bei den Hinterbliebenen hinterlassen haben. Als die Ermittlungen stagnierten, wurden die Angehörigen selbst zu Verdächtigen; wegen angeblich illegaler Geschäfte oder Uneinigkeiten unter Kurden. Während die rechtsextremen Mittäter mit Samthandschuhen angefasst wurden, mussten sich die Hinterbliebenen wegen rassistischer Vorurteile ständig rechtfertigen. Gegenüber der Witwe des Blumengroßhändlers Enver Şimşek wurde sogar eine Geliebte erfunden, um ihr ein wie auch immer geartetes Geständnis zu entlocken. „Spuren“ ist ein leiser, fast sachlicher Film, der beschämende Fakten ausbreitet. Zugleich gibt er den Menschen eine Bühne, deren Verhältnis zu Deutschland durch diese Ereignisse einen irreparablen Bruch erlitten hat.

 

Langzeitstudie über Fußballerinnen

Das größte und ambitionierteste Projekt in der Filmografie von Aysun Bademsoy ist eine mittlerweile drei Jahrzehnte umspannende Langzeitbeobachtung. Los ging es 1995 mit „Mädchen am Ball“, der eine Kreuzberger Fußballmannschaft junger Türkinnen porträtierte. Der Film zeigt mutige Kämpferinnen, die von ihren konservativen Familien eingeschränkt werden, aber auch von der deutschen Mehrheitsgesellschaft ausgeschlossen bleiben. Jeden Freiraum müssen sie sich hart erkämpfen. Seit damals haben sich für Safiye, Türkan, Arzu sowie die Zwillinge Nalan und Nazan die Zeiten nur bedingt verändert. In „Spielerinnen“ (2025), dem vierten und jüngsten Film aus der Reihe, wirken die Frauen vor der Kamera selbstbewusster und ausgeglichener, wenngleich sich ihre einstige Wut auch in Resignation verwandelt hat. Ihre mittlerweile selbst erwachsenen Töchter haben zwar bessere Berufsaussichten, fremdeln aber weiterhin mit Deutschland. Manche zieht es wieder stärker zu jenen konservativen Werten, von denen sie sich als Mädchen befreien wollten.

Eine wiederkehrende Frage in der Langzeitdokumentation lautet: Wäre es okay, einen deutschen Freund zu haben? An diesem Thema scheint sich auch nach Jahrzehnten nicht viel geändert zu haben. Ein türkischer Schwiegersohn gilt nach wie vor deutlich mehr; und sei es nur, damit die Töchter sich weniger erklären müssen. In „Spielerinnen“ geht es aber immer wieder auch um die Hierarchie innerhalb türkischer Familien. Um ältere Geschwister, die in der Hackordnung weiter oben stehen, mehr aber noch um Brüder und Cousins, die ihre weiblichen Verwandten gängeln. In Bademsoys Fußballerinnen-Filmen kann man nachvollziehen, wie langwierig, mühsam und letztlich vielleicht sogar unmöglich es ist, festgefahrene gesellschaftliche Strukturen zu überwinden.

 

Die "Spielerinnen" des BSC Agripsor aus Berlin-Kreuzberg (pong film)
Die "Spielerinnen" des BSC Agripsor aus Berlin-Kreuzberg (pong film)

 

In einem anderen Film mit dem Titel „Ehre“ (2011) will Aysun Bademsoy von dem straffällig gewordenen Teenager Abdullah wissen, warum man nur ein Mädchen heiraten dürfe, das zum Islam konvertiert ist. Abdullah schaut etwas ratlos und sagt dann, dass er das eben so gehört habe. Der Film endet damit, dass ein anderer Junge, der mit Abdullah Sozialstunden absolvieren musste, zur Bundeswehr geht. Nachdem sein Vater tot sei, bräuchte er jemanden, der ihm sage, was er tun soll. Bademsoy widmet sich in dem Film einem Begriff, der von jungen Männern mit türkischem oder arabischem Migrationshintergrund verwendet wird, obwohl sie ihn nicht klar definieren können. Seine Ehre müsse man beispielsweise verteidigen, wenn man provoziert oder gedemütigt werde. Häufiger aber wird das Wort gebraucht, wenn es darum geht, Mädchen und Frauen zu kontrollieren und kleinzuhalten.

 

Die heimlichen Helden

Die Protagonisten von „Ehre“ fand Bademsoy meist in sozialen Einrichtungen und Haftanstalten. In deren Leben hat eine gravierende Grenzüberschreitung stattgefunden. Die Gespräche werden oft von langsamen 360-Grad-Kameraschwenks unterbrochen, etwa an Orten, an denen Frauen zum Opfer sogenannter Ehrenmorde wurden. Während die jungen Männer über dieses Thema witzeln, zeigt Bademsoy, in welches Extrem ein solches Wertesystem entarten kann. Auffällig an „Ehre“ ist, dass mit einer kurzen Ausnahme ausschließlich Männer vor der Kamera stehen. Im Film schwingt eine unmissverständliche Botschaft mit: Nicht der Freiheitsdrang der Frauen ist das Problem, sondern die Verachtung und Aggression der Männer. Deshalb können auch nur sie etwas daran ändern. Allerdings nicht allein.

Die heimlichen Helden von „Ehre“ sind jene Sozialarbeiter und Polizisten, die sich in Workshops oder Sportstunden unermüdlich mit diesen jungen Männern beschäftigen und dabei mit einer Mischung aus Respekt und Humor genau den richtigen Ton treffen. Die Filme von Aysun Bademsoy tragen einen ähnlichen Ehrgeiz in sich. So sehr sie sich für Widersprüche interessieren, so wenig begnügen sie sich damit, lediglich Missstände aufzuzeigen. Immer geht es auch darum, wie man ihnen trotzen kann: durch die Hartnäckigkeit Einzelner, aber auch durch gemeinsame Arbeit an der Gesellschaft. So hoffnungslos das mitunter auch erscheinen mag.

 

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