Der Jazz und seine verspielten Regelbrüche gehören zur Filmmusik von Lalo Schifrin wie Tom Cruise zur „Mission: Impossible“-Reihe. Dafür wurde das pures Adrenalin verströmende Titel-Thema einer Fernsehserie vom argentinischen Komponisten grandios adaptiert. Am 26. Juni ist der Meister des Crime Jazz im Alter von 93 Jahren in Los Angeles gestorben. Erinnerungen an einen legendären Tonkünstler, dessen lässige Musik auch posthum mit viel Freude erfüllt.
Die Nachricht vom Tod eines Menschen ist meist auch mit Erinnerungen verbunden. Eigentlich ist es traurig, dass man erst den Tod braucht, um hochzuschrecken und sich an das zu erinnern, was man mit einem Künstler alles geteilt hat. Lalo Schifrin, der am 26. Juni im Alter von 93 Jahren in Los Angeles gestorben ist, hat die Filmmusik nachhaltig geprägt. Er war ein „Influencer“, der trotz sechs „Oscar“-Nominierungen allerdings nur einen alibi-haften „Academy Award“ für sein Lebenswerk gewonnen hat, obwohl jedes Kind mindestens eine seiner Melodien kennt.
Dabei sind seine legendären Jahrzehnte schon eine Weile her; das letzte Mal zu Kenntnis genommen hat man seine erstaunliche Musik ausgerechnet im Actiontrubel von Jackie Chan, in „Rush Hour“ (1998), „Rush Hour 2“ (2001) und „Rush Hour 3“ (2007), drei Chaoskomödien, die davon leben, dass der lebensmüde Hauptdarsteller ungedoubelt die schräge Fensterfassade eines Wolkenkratzers hinunterläuft - von außen! Das erinnert an Tom Cruise, von dem man durchaus mit Recht behaupten kann, dass er Lalo Schifrin zumindest musikalisch unsterblich gemacht hat. Wobei die Erkennungsmelodie von „Mission: Impossible“ weder für Tom Cruise noch fürs Kino komponiert wurde, sondern für Steven Hill und fürs Fernsehen. Dort firmierte der Sound von 1967 für die Serie „Kobra, übernehmen Sie“. Die eigentümliche musikalische Rhythmisierung vom Abbrennen einer Zündschnur und dem damit stetig steigenden Spannungsbogen übersetzt die Musik eindrücklich, steht aber inzwischen nach seiner Kanonisierung in die Filmmmusik allgemeiner für das emotionale Aushebeln von Zuschauererwartungen. Hier passiert etwas, das verwirrt und nicht zu entschlüsseln ist. Wobei die Setzung von Synkopen, also der Durchbrechung einer stetigen Taktfolge durch eigentümliche „Fehltaktungen“, eigentlich ein Kennzeichen des Jazz ist.
Der macht wohl Witze!
Dass der in Buenos Aires geborene Schifrin mit solchen jazzigen „Verwirrungen“ spielt, ist nicht verwunderlich, da er seine Karriere in den frühen 1960er-Jahren in der Big Band von Dizzy Gillespie begonnen hat. „Damals gab Dizzy Gillepsie in Buenos Aires eine Woche lang ausverkaufte Konzerte – an manchen Tagen sogar zwei Mal. In dieser Woche habe ich praktisch nicht geschlafen. Eines Abends konnten meine Freunde und ich an der Hotelbar für ihn spielen. Er kam zu mir ans Piano und fragte, ob ich das alles auch selbst geschrieben habe. Dann fragte er, ob ich mit in die USA kommen würde. Ich dachte, er macht wohl Witze!“
Jazz, den Leonard Bernstein in seinen legendären „Young People’s Concerts“-Vorträgen als essenziell für das Wesen nordamerikanischer Musik bezeichnet hat, wurde maßgeblich von Schifrin, einem argentinischen Einwanderer, in die US-Filmmusik getragen. Und ausgerechnet das Thema vom „Mission: Impossible“, quasi die „Nationalhymne“ der amerikanischen Filmmusik, steht nun für den bekanntesten und US-amerikanischsten aller Actionstars: für Tom Cruise. Der mitreißende 5/4-Takt, der der Trompete, dem Piano und der Flöte im „M:I“-Intro pures Adrenalin einflößt, wird Schifrins südamerikanischem Temperament zugeschrieben. Das lässt sich allerdings noch eindringlicher an einem weniger bekannten, aber ähnlich prägnanten Stück aus der „Mission: Impossible“-Serie demonstrieren. „Jim on the Move“, ist, vergleichbar dem Hauptthema, lateinamerikanisch geprägt, nur das hier der „Crime Jazz“ endgültig eine dunkle Sonnenbrille verpasst bekommt und langsam „cool“ wird.
Lalo Schifrin war allerdings auch ein Meister der leisen und der schrägen Töne. Der Film „The Fox“ (1968) erregte seinerzeit großes Aufsehen, weil er eine lesbische Liebe ins Zentrum stellte. Schifrin komponierte dafür ein intim orchestriertes Leitmotiv, das in seiner Variation mit Klarinette, Orgel und Klavier eine kammerspielartige Atmosphäre erzeugt. In den aufregenderen Momenten offenbart sich mit exaltierten Percussion-Arrangements allerdings auch Schifrins Affinität zum Modern Jazz, ähnlich wie in der im Vergleich bekannteren Musik zu „Bullitt“ (1968). Der Gangsterfilm mit Steve McQueen besticht durch einen der ausgefeiltesten Cool-Jazz-Score der Filmgeschichte: Mitreißende Hammond-Orgel-Kadenzen (besonders im Track „Hotel Daniels“), die von Blechbläserlinien gerahmt werden, wechseln mit lässigem Trompeten und Posaunensoli. Eine Musik, die auch heute noch jeder Retro-Party zur Ehre gereichen würde.
Dass Schifrin auch Jackie-Chan-Filme vertonte, nimmt weniger Wunder, wenn man sich seinen Ausflug ins Kung-Fu-Genre vergegenwärtigt. Der Film „Bruce Lee – Der Mann mit der Todeskralle“ (1972) erhielt durch Schifrin eine kuriose Mischung aus fernöstlichen Klangklischees und knochentrockenen Bläserarrangements. Falls es je eine Kategorie „Hongkong-Jazz“ gegeben haben sollte, ist Lalo Schifrin ihr Urheber.
Sobald man beginnt, in den Tiefen des Œuvres eines Filmkomponisten wie Lalo Schifrin zu graben, stößt man auf so manches verblüffende Werk. Etwa „Die Hellstrom Chronik“, einen provokant die Herrschaft der Insekten über die Menschheit prophezeienden „Dokumentarfilm“ aus dem Jahr 1970. Während der Film kaum in adäquater Form erhältlich ist, findet sich der Score in bester Qualität ausgespielt auf CD. Ein abenteuerliches Konglomerat aus Tönen und Fraktalen. Diese wilde Mischung aus Science-Fiction-Gewaber und atonalem Klingklang hätte man von einem „Jazzer“ wie Lalo Schifrin nicht erwartet. Dennoch macht diese verstörenden Klangkulisse durchaus Sinn: Musik vom Ende des Menschen!
Der „Crime Jazz“ lässt niemand kalt
Lalo Schifrin konnte auch Horror. Während sich viele an Jerry Goldsmiths Choräle aus „The Omen“ erinnern, ist ein anderer Horrorsound-Klassiker mit seinem bedrückenden „Kinder-Lala“ musikalisch fast vergessen. Dabei wurde Schifrins Score zu „The Amityville Horror“ 1980 für den „Oscar“ nominiert und wirkte im Horrorfilm-Genre musikalisch fast noch stilbildender als Goldsmiths solitäres „Ave Satani“, weil das Unheil hier aus der Mischung von Zartheit und aufreibenden Bläsern und Streichern resultiert. So klingt es auch noch In „The Conjuring“ (2025).
Lalo Schifrin ist am 26. Juni 2025 an einer Lungenentzündung gestorben, heißt es in den Medien. Dazu wird fleißig das „Mission: Impossible“-Intro zitiert. Wenn man anlässlich dieser traurigen Nachricht wieder vor dem Berg aus Schifrin-CDs steht und einiges daraus quer hört, ertappt man sich unwillkürlich beim Tanzen, Schnippen und damit verbunden bei purer Freude. Zumindest sein Crime Jazz lässt ihn und uns niemals ruhen.