1. Wer Michael Glawoggers Filme verstehen will, muß Abschied nehmen von einer Sichtweise, die zwischen Dokumentar-, Spiel- und Experimentalfilm unterscheidet, sowie von der Idee, daß das Bewegungsbild mehr ist als ein Einzelbild, dem Bilder vorangehen und dem Bilder folgen. Filme können auf einer anderen als der rein materiellen Ebene nie wahr sein, nur wahrhaftig, indem sie Gedankengänge, Herzsprünge nachzeichnen. Dennoch: Es ist erstaunlich, wie viele Menschen an der Idee vom Dokumentarfilm als Sprachrohr der Wahrheit, vom dokumentarischen Bild als dem Hort der Wirklichkeit festhalten. Dabei wird im Augenblick der Aufnahme zunächst einmal Wirklichkeit in Rohmaterial transformiert – ein Stück Zelluloid mit „etwas darauf“ ist das Ergebnis. Dem Zelluloid ist es dabei gleichgültig, ob man zur Herstellung dieser Bildfolge einen großen Aufwand getrieben hat oder die Kamera einfach irgendwo hin- und dann anstellt; so wie es ihm auch gleichgültig ist, ob jemand vor der Kamera sein Leben ausbreitet oder einfach nur gut lügt: Es ist nicht der Obmann, nur der Bedeutungsträger. Die endgültige Bedeutung entsteht woanders und/oder zu einem anderen Zeitpunkt.
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