Drama | Polen 1984 | 108 Minuten

Regie: Krzysztof Kieslowski

Ein junger, strebsamer Anwalt im Polen des Jahres 1982 soll einen wegen der Organisation eines illegalen Streiks angeklagten Arbeiter verteidigen. Er stirbt und verfolgt stumm mahnend die Ereignisse. Dabei beobachtet er, wie sein kurz vor der Pensionierung stehender Nachfolger den Fall entpolitisiert, und verfolgt die vergeblichen Versuche seiner Witwe, sich mit ihrem kleinen Sohn allein zurechtzufinden. Der komplex inszenierte Film steht der Entwicklung Polens nach Verhängung des Kriegsrechts zutiefst skeptisch gegenüber, wobei er den Blick gänzlich unlarmoyant auf die politischen wie privaten Vernarbungen der Seele lenkt. - Sehenswert ab 16.
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Filmdaten

Originaltitel
BEZ KOÑCA
Produktionsland
Polen
Produktionsjahr
1984
Produktionsfirma
Zespoly Filmowe, Gruppe "TOR"
Regie
Krzysztof Kieslowski
Buch
Krzysztof Kieslowski · Krzysztof Piesiewicz
Kamera
Jacek Petrycki
Musik
Zbigniew Preisner
Schnitt
Krystyna Rutkowska
Darsteller
Grazyna Szapolowska (Ula Zyro) · Maria Pakulnis (Joanna Stach) · Aleksander Bardini (Labrador) · Jerzy Radziwilowicz (Antek Zyro) · Artur Barcis (Darek Stach)
Länge
108 Minuten
Kinostart
-
Fsk
ab 12
Pädagogische Empfehlung
- Sehenswert ab 16.
Genre
Drama
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Heimkino

Doppel-DVD mit "Die Narbe" (Polen, 1976). Die Edition enthält u.a. ein informatives Booklet sowie ein Interview mit dem Regisseur aus dem Jahr 1983.

Verleih DVD
absolut (FF, DD2.0 pol.)
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Diskussion
„Der Film ist schrecklich verworren, bestimmt, denn das sind drei Filme in einem. (...) Und diese drei Filme wollen nicht wirklich ineinander spielen.“ Ein hartes, gänzlich unkokettes Urteil, aus dem Mund von Krzysztof Kieslowski über seinen 1985 gedrehten Film „Ohne Ende“, der jetzt zusammen mit „Die Narbe“ (fd 20 865) auf DVD erschienen ist. Ein Einschätzung, die zum Widerspruch reizt. Denn mindestens zwei der drei erzählten Stränge verbinden sich sehr wohl zu einem stimmigen Wechselspiel: Die Geschichte der jungen Ula Zyro, deren Mann unerwartet starb und die nun zwischen Trauer, Schuldgefühlen und Verzweiflung einen neuen Weg ins Leben sucht. Und die Geschichte des Arbeiters Darek, der wegen Aufrufs zum Streik im Gefängnis sitzt und den Ulas Mann Antekt als Anwalt verteidigte. Nach Anteks Tod springt der kurz vor seiner Pensionierung stehende Anwalt Labrador als Ersatz ein. Im Gegensatz zu Antek geht Labrador seine Fälle eher pragmatisch denn politisch an, ein kaum zu unterschätzendes Detail im unter dem Kriegsrecht stehenden Polen der 1980er-Jahre. Denn Darek will nicht einfach nur aus dem Gefängnis heraus, er will die repressiven Verhältnisse unter dem sozialistischen Regime anprangern, ein Exempel statuieren, vielleicht auch ein Märtyrer der Solidarnosc-Bewegung werden. Währenddessen versucht Ula, hin- und hergerissen zwischen der Erinnerung an den Idealisten Antek und dem schmerzhaften Versuch, ihn zu vergessen, ihrem Sohn und sich selbst einen normalen Alltag zu bieten. Sie freundet sich sogar ein wenig mit Dareks Frau Joanna an. Letztlich scheitern die Bemühungen um Integrität und Haltung jedoch auf beiden Ebenen, sowohl der politischen wie der privaten. Es ist die Stärke Kieslowskis, der hier einmal mehr mit den Themen Liebe, Tod, Schuld, Schicksal und Zufall existenzielle Fragen verhandelt, dass er keine eindeutigen Antworten gibt, obwohl er so explizit politisch wie selten zeigt: Gut und Böse, falsch und richtig lassen sich nur schwer auseinander halten, weshalb auch für einen strahlenden Solidarnosc-Helden kein Raum ist in diesem Film. Vielmehr zeichnet Kieslowski das bleierne Bild einer Gesellschaft, deren Mitglieder zwar äußerlich selten allein, aber innerlich völlig isoliert sind. Und ausgerechnet jene Figur, auf dies sich alle Sehnsüchte richten, die auf der politischen wie der privaten Ebene zur Integration beitragen könnte, ist tot. Der reine, unkorrumpierbare Antek erscheint fast wie ein Messias – dessen Tod der Menschheit freilich keinerlei Erlösung gebracht hat. In einem dritten, metaphysischen Erzählstrang tritt dieser Antek auf, erscheint seiner Frau als Geist oder sendet ihr Zeichen aus dem Jenseits, etwa in Gestalt eines herumstromernden Labrador-Hundes. Das will sich nicht immer erschließen und auch nicht nahtlos in die (inhaltliche) Erzählung einfügen. Denn „Ohne Ende“ hat tatsächlich etwas Fragmentarisches und bietet keinen homogenen Plot. Die einzelnen Teile werden dennoch zusammengehalten und zu einem „runden Ganzen“ zusammengeführt: Durch die intensive traurig-tagträumerische Atmosphäre, die Kieslowski zu evozieren weiß. Selbst in den wenigen scheinbar leichtfüßigen Momenten umhüllt sie die zentrale Figur, der Grazyna Szapolowska ein überaus eindrückliches Gesicht gibt. Unendliche Trauer, Einsamkeit, Reue, Wärme, Schuld, das kurze Aufblitzen ungmädchenhafter Lebenslust, all das spiegelt sich in Szapolowskas schönen blauen Augen wieder. Wie „Ohne Ende“ überhaupt ein Film der Blicke ist, die wiederum den Blick des Betrachters gänzlich unlarmoyant auf die politischen wie privaten Vernarbungen der Seele lenken.
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