Der Doktor - Ein gewöhnlicher Patient

Drama | USA 1991 | 125 Minuten

Regie: Randa Haines

Ein erfolgreicher Chirurg, dem Höchstleistung alles und menschliches Mitgefühl nichts bedeutet, wird selbst zum Patienten und sieht sich mit Hilflosigkeit und Todesangst konfrontiert. Ein weitgehend unsentimental aufbereiteter Appell für mehr Menschlichkeit und Verantwortung, einfühlsam und nicht ohne geschickte komödiantische Untertöne inszeniert und hervorragend gespielt. Die sorgfältig ausgearbeiteten Frauenrollen verleihen dem Film besonderes Gewicht. - Sehenswert ab 16.
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Filmdaten

Originaltitel
THE DOCTOR
Produktionsland
USA
Produktionsjahr
1991
Produktionsfirma
Touchstone Pictures/Silver Scrren Partners IV
Regie
Randa Haines
Buch
Robert Caswell
Kamera
John Seale
Musik
Michael Convertino
Schnitt
Bruce Green · Lisa Fruchtman
Darsteller
William Hurt (Dr. Jack MacKee) · Christine Lahti (Anne MacKee) · Elizabeth Perkins (June Ellis) · Mandy Patinkin (Dr. Murray Caplan) · Adam Arkin (Dr. Eli Blumfield)
Länge
125 Minuten
Kinostart
-
Fsk
ab 12; f
Pädagogische Empfehlung
- Sehenswert ab 16.
Genre
Drama | Literaturverfilmung
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Diskussion
In Augenblicken depressiver Spannung rinnen Regentropfen die Fensterscheiben hinab oder gefühlige Musik füllt den Kinoraum. Doch das sind auch schon so ziemlich alle Konzessionen an den Stil traditioneller Melodramen, die sich "Der Doktor" gönnt. Obwohl der Film eine schmerzhafte Geschichte erzählt, arrangiert er sich wesentlich häufiger mit komödiantischen Effekten, wohldosierten Kontrastmitteln, die der bewegenden Story zu um so größerer Wirksamkeit verhelfen. Ja, es sieht in der Tat anfangs eher nach Soap Opera aus, wenn Dr. Jack McKee und sein Team zu Pop-Musik das Skalpell ansetzen. Doch sehr bald enträtselt der Zuschauer die dahinter verborgene Realität. Mc Kee ist einer jener erfolgreichen Chirurgen, die den Eid des Hippokrates mehr als Schwur technischer Höchstleistungen denn als Verpflichtung zur Rettung menschlichen Lebens deuten. Emotionen gehören für ihn nicht ins Krankenhaus, und mit der Ablösung seiner Gefühle für die ihm anvertrauten Patienten hat er auch mehr und mehr die Gefühle für seine Familie abgelegt. In seiner eiskalten Professionalität ist McKee ein Sinnbild modernen Erfolgsdenkens und moderner Technokratie.

Des Films Anliegen ist es, den Beweis fürs Gegenteil anzutreten. Dazu ließen sich mannigfache Modelle ausdenken, vom folgenschweren Kunstfehler bis zum moralischen Katzenjammer. Doch keinen dieser Wege beschreitet "Der Doktor". Autor Robert Caswell (nach Ed Rosenbaums Buch "A Taste Of My Own Medicine" ) entscheidet sich für den umständlichsten, aber - wie sich zeigt - überzeugendsten. Der zunächst nur maßvoll beunruhigte Chefchirurg diagnostiziert irritierenden Hustenreiz in seinem Hals, den er mit Flachsereien zu überspielen versucht. Doch als er eines Tages Blut spuckt, sucht er eine Fachkollegin auf, die ihm geschäftsmäßig verkündet, er habe einen Tumor an den Stimmbändern. Die Diagnose verschlägt dem sonst so eloquenten und witzigen Chirurgen die Sprache und nötigt ihn, sich den Prozeduren eines vollcomputerisierten Krankenhauses auszusetzen. Da nützt es ihm nichts, daß er eine "große Nummer" ist; er hat sich einzuordnen, zu warten und den unwürdigen Untersuchungsmaßnahmen zu unterwerfen, die in einem Großstadt-Krankenhaus halt so üblich sind.

Die erste Station in der Wandlung des Dr. McKee heißt Selbstmitleid. Er sieht sich als Opfer, nicht nur der Krankheit, sondern ebenso des Systems. Seine Auflehnung dagegen führt nur zu noch größerer Ohnmacht, da er erfahren muß, daß sie ihm nicht hilft. Erst allmählich realisiert er, daß da andere Menschen sind, die ein gleiches oder schlimmeres Schicksal mit ihm teilen. Zum ersten Mal erscheinen sie ihm nicht als Fälle, sondern als Personen aus Fleisch und Blut, als Menschen mit Gefühlen, Wünschen und Hoffnungen. Vor allem aber mit Enttäuschungen. Damit muß McKee nun zu leben lernen. Sein Tumor stellt sich als bösartig heraus und die verordnete Strahlentherapie als nutzlos. Doch je häufiger er sich der Krebsbehandlung unterwerfen muß, um so deutlicher realisiert er, daß es ihm keineswegs am schlechtesten geht. Da ist die alte Frau, die wenigstens einen Schal noch zu Ende stricken möchte - aber eines Tages ist sie tot. Oder der ausgemergelte junge Mann, der nur noch leise vor sich hin weint. Oder June, die er anfangs mit ein paar lässig erfundenen Notlügen zu beruhigen versucht hat, und deren Kraft vor dem nicht mehr abwendbaren Ende er zu bewundern lernt.

Die Frauenfiguren sind es, die den Wandlungsprozeß des Dr. McKee am deutlichsten in Bewegung setzen. In der Fachärztin, der er sich anvertraut hat, begegnet er derselben geschäftsmäßigen Routine, mit der er selbst seine Arbeit getan hat. Seine Frau hat er während der zur Gewohnheit gewordenen Ehejahre so sehr auf Abstand gehalten, daß er nicht mehr weiß, wie er sich ihr nähern soll. Es ist June, mit der ihn die Komplizität der Todesfurcht verbindet, von der er lernt, wie wichtig es ist, mit anderen Gefühle und Verantwortung zu teilen. Von ihr schaut er sich den Hunger aufs Leben ab, der immer wieder mit unauslöschbarer Kraft ihren Dämmerzustand durchbricht. Ihr Vorbild hilft ihm, die Hand auszustrecken, die er den Menschen seiner Umgebung bisher so hartnäckig verweigert hat.

Die Regisseurin Randa Haines hat schon mit "Gottes vergessene Kinder" (fd 26 060) bewiesen, daß sie in der Lage ist, ein emotional hoch aufgeladenes Sujet ohne ausufernde Sentimentalität zu verfilmen. Mit "Der Doktor" leistet sie noch bessere Arbeit. Wie leicht diese Story in den Sumpf eines unerträglichen Melodrams hätte abrutschen können, wird einem erst richtig klar, wenn man das Kino schon verlassen hat. Der Film selbst läßt einem in seiner unpathetischen Faszination kaum Zeit, andere Möglichkeiten der Inszenierung zu reflektieren. Bis auf die Schlußszenen zwischen McKee und seiner Frau, in denen Haines den Gefühlen ein bißchen freien Lauf läßt, hält sie ihre Schauspieler unter so disziplinierter Kontrolle, daß die "Botschaft", die der Film vermitteln will, nicht in sirupartigen Emotionen erstickt wird. "Der Doktor" ist in mehrfacher Hinsicht eine Seltenheit im heutigen Kinoprogramm. Nicht nur behandelt er ein ernsthaftes Thema, sondern er scheut sich auch nicht, die Involviertheit seiner Autoren deutlich kundzutun. Weder versteckt sich hier Anspruch hinter kalkulierter Artistik, noch wird die Absicht durch kommerzielle Konzessionen verwässert. Es ist ein geradezu altmodisch geradliniger Film, der in seiner geringen Kompromißbereitschaft Applaus verdient, auch wenn er die Filmkunst vielleicht nicht gerade weiterbringt. "Der Doktor" macht vielmehr eine umgekehrte Einsicht klar, daß nämlich alle Novitäten und Extravaganzen, mit der Filme der 80er Jahre die Geschichte des Mediums bereichtert haben, für den Zustand unserer Welt weniger geleistet haben als die engagierte Menschlichkeit der Hollywood-Dramen der 30er und 40er Jahre zu ihrer Zeit. An sie wird man beim Ansehen dieses Films einige Male von fern erinnert.
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