La Stazione - Der Bahnhof

Drama | Italien 1991 | 86 Minuten

Regie: Sergio Rubini

Ein schüchterner Bahnhofsvorsteher lernt während einer Nachtschicht eine junge Frau kennen und lieben. Als er sie unter Einsatz seines Lebens vor ihrem brutalen Verlobten zu schützen versucht, wächst er über sich hinaus. Ein nahezu perfekt inszenierter Unterhaltungsfilm, der die Erwartungen seiner Zuschauer geschickt unterläuft. Intelligentes Kino, das die Nacht in ihren verschiedenen Bedeutungsebenen ins Spiel einbezieht. - Sehenswert ab 16.
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Filmdaten

Originaltitel
LA STAZIONE
Produktionsland
Italien
Produktionsjahr
1991
Produktionsfirma
Fandango
Regie
Sergio Rubini
Buch
Umberto Marino · Filippo Ascione · Sergio Rubini
Kamera
Alessio Gelsini
Schnitt
Angelo Nicoloni
Darsteller
Sergio Rubini (Domenico) · Margherita Buy (Flavia) · Ennio Fantastichini (Danilo)
Länge
86 Minuten
Kinostart
-
Fsk
ab 12; f
Pädagogische Empfehlung
- Sehenswert ab 16.
Genre
Drama | Liebesfilm | Literaturverfilmung
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Diskussion
Eine pechschwarze Nacht hüllt den kleinen Bahnhof von San Marco ein. Sturmböen peitschen den Regen gegen die Fensterscheiben. Domenico, einer der Bahnhofsvorsteher, hat sich so behaglich wie möglich in seiner Nachtschicht eingerichtet. Der Zugverkehr ist minimal, die Wartezeiten zwischen den Zügen wird der junge Mann mit der gewohnten Routine verbringen. Er wird ein wenig Deutsch lernen, die Holzscheite auf ihre Brenndauer hin abschätzen, sich Espresso aufbrühen, mit der Mama telefonieren. Eine Nacht wie jede andere, vertraut, ein wenig in Langeweile erstarrt. Und doch wird sie Domenico unvergeßlich bleiben, wenn nicht sogar seinem Leben eine andere Wendung geben.

Plötzlich wird nämlich die Tür aufgerissen, Flavia, eine junge Frau in einem verführerischen roten Abendkleid steht im Raum und verlangt aufgeregt nach einer Fahrkarte nach Rom. Natürlich kann der Frau geholfen werden, doch einen Haken hat die Sache schon: der nächste Personenzug ist nicht vor Morgengrauen zu erwarten. Flavia, die Millionärstochter, richtet sich auf eine lange Nacht ein und versucht, sich die Zeit zu vertreiben. Natürlich kommen die beiden ins Gespräch. Domenico gibt einige seiner kleinen Geheimnisse preis - so kann er auf die Sekunde genau sagen, wann der Espresso fertig sein oder wann die schwere Schreibplatte des alten Sekretärs sich aus ihrer Verankerung lösen und herunterfallen wird -, und er weiht die Fremde in seine bescheidenen Wünsche und Sehnsüchte ein. Dabei entpuppt sich der schüchterne Mann als witziger Erzähler mit einer einfältig-verschrobenen Lebensweisheit und entwickelt sich zum Draufgänger, der kurzentschlossen den Bahnhofskiosk knackt, um der Schönen mit einer improvisierten Mahlzeit die Wartezeit zu verkürzen.

Doch die traute Zweisamkeit wird jäh unterbrochen, als Danilo, Flavias Verlobter, zum Bahnhof kommt, um sie zur nahegelegenen Villa zurückzuholen. Er will ein nicht ganz sauberes Geschäft abwickeln, das ihre Anwesenheit verlangt. Flavia weigert sich wiederholt, Danilo will sie mit Schlägen gefügig machen, Domenico muß als Beschützer eingreifen und zieht prompt den kürzeren. Mit einer List kann man Danilo loswerden und das Bahnhofshäuschen verbarrikadieren, doch die Stimmung ist umgeschlagen, und der Widerstand der beiden stachelt Danilos Zorn nur noch mehr an. Er versucht, die verriegelte Tür einzurennen oder durch die Fenster einzudringen, setzt Domenicos Auto in Brand, gebärdet sich wie eine Furie. Und Domenico versucht, es ihm mit gleicher Münze heimzuzahlen. Da mittlerwelle die Telefonverbindung gekappt und die Stromzufuhr unterbrochen ist, sitzen die beiden im Dunkeln. In einem ruhigen Augenblick gesteht Domenico seine Liebe. Als man glaubt, Danllo hätte endlich aufgegeben, gelingt es ihm, ins Haus einzudringen. Er ist wildentschlossen, seinen Widersacher zu töten. Danilo hat dem bulligen Angreifer kaum etwas entgegenzusetzen - außer seinem Wissen um die Geheimnisse seines Arbeitsplatzes. In letzter Sekunde kann Danilo außer Gefecht gesetzt werden, dann kommt der Zug nach Rom. Ein kurzer Abschied, ein sanfter Kuß, dann ist der Spuk in jeder Form vorbei. Der unscheinbare Domenico ist in dieser Nacht zum großen Liebenden und großen Kämpfer geworden: Wo die Liebe hinfällt, wächst man eben manchmal über sich hinaus.

"La Stazione", der Erstlingsfilm des Schauspielers Sergio Rubini, kann seine Herkunft vom Theater wahrlich nicht verleugnen. Eigentlich ein karges Drei-Personen-Spiel, der Einheit von Raum und Zeit verpflichtet, gelingt es Rubini doch, das Interesse und die Spannung seiner Zuschauer in jeder Sekunde wachzuhalten. Das liegt zum Teil an der genauen Beobachtungsgabe und der einfühlsamen Charakterisierung der Personen, aber auch am abrupten Stimmungsumschlag in der Mitte des Films. Glaubt der Zuschauer bis dahin, eine Komödie zu sehen, die ihren Reiz durch das Zusammentreffen zweier völlig verschiedener Charaktere erhält, die durch pointierte Dialoge zueinanderfinden, so sieht er sich mit einem Mal auf die falsche Fährte gelockt. Völlig unerwartet weicht die heimelige Atmosphäre einem gewalttätigen Szenario, das sich immer mehr verselbständigt, immer brutaler wird und den eigentlichen Anlaß der Auseinandersetzung aus den Augen zu verlieren scheint. Die Gewalt eskaliert, schließlich regiert der blanke Haß, und auch der sanfte Domenico muß eine neue Facette seines Wesens erkennen. In die Enge getrieben, weiß er sich nicht nur seiner Haut zu wehren, sondern schießt auch schon einmal über jedes Ziel hinaus. Eine durchaus ernstzunehmende Reflexion über die Abgründe, die in jedem Menschen lauern und darüber, wie leicht das eigene Verhalten von außen zu manipulieren ist. Dargeboten wird dies als nahezu perfekte Kinounterhaltung mit Gespür für Details und Stimmungen und von einem Ensemble, das sich auch mit Nuancen auszudrücken versteht. Immer wieder verdeutlicht die Kamera den Kontrast von Geborgenheit - der warme, helle (Schutz-)Raum des Bahnhofs - und Ausgeliefertsein - die undurchdringliche Nacht, in der der Schrecken lauert -, und immer wieder wird die Nacht als vierte Akteurin ins Spiel einbezogen. Zunächst wirkt sie wie ein schützender Mantel, der eine beginnende Liebe sanft umhüllt, im nächsten Augenblick stellt sie die Bedrohung schlechthin dar, eine undurchdringliche Schwärze, die vom Bösen benutzt wird. Die unterschiedlichen Totalen des Bahnhofhäuschens verdeutlichen diese unterschiedlichen Lesarten der Nacht. Dringt zunächst ein sanftes Licht durch die Scheiben und kennzeichnet den Raum als Hort von Wärme und Geborgenheit, so wirkt das Haus mit seinen geschlossenen Fensterläden verlassen, ja traurig. Ein Spiel mit Stimmungen, das die Erwartungen des Publikums gleich mehrmals unterläuft, dessen heiterer Unterton sich in der Dunkelheit verliert, um im Morgengrauen in einer lyrisch-wehmütigen Stimmung aufzuerstehen. Kino der Emotionen, das jedoch nie nur an die Gefühle, sondern auch an den wachen Verstand seiner Zuschauer appelliert.
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