Ein Kind mit Namen Jesus

Drama | Italien 1988 | 200 Minuten

Regie: Franco Rossi

Die Kindheit Jesu als Geschichte ständiger Flucht und Angst, aber auch als Erfahrung des Beschütztwerdens. Die "heilige Familie" lebt in einem Dorf in Ägypten, nachdem Herodes befohlen hatte, alle Kinder in der Umgebung von Bethlehem zu töten. Der Sterndeuter Sefir, vom Statthalter beauftragt, Jesus zu töten, scheitert an seiner Mission und erkennt in dem siebenjährigen Kind den prophezeiten Messias. In ruhigen Bildern und mit Liebe zum Detail inszenierter Film, der anspruchsvolle, für jüngere Kinder allerdings schwer zugängliche Unterhaltung und Information bietet. Der weit ausladende Spannungsbogen setzt Durchhaltevermögen voraus. - Ab 10.
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Filmdaten

Originaltitel
UN BAMBINO DI NOME GESU
Produktionsland
Italien
Produktionsjahr
1988
Produktionsfirma
Leone Film/Mediacom
Regie
Franco Rossi
Buch
Vittorio Bonicelli · Francesco Scardamaglia · Franco Rossi
Kamera
Gianfranco Transunto
Musik
Piero Piccioni
Schnitt
Giorgio Serralonga · Domenico Varone
Darsteller
Matteo Belina (Jesus als Kind) · Pierre Clémenti (Sefir) · Bekim Fehmiu (Joseph) · Carmen Sanmartin (Maria) · Alessandro Gassman (Jesus als Erwachsener)
Länge
200 Minuten
Kinostart
-
Fsk
ab 0
Pädagogische Empfehlung
- Ab 10.
Genre
Drama
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Diskussion
Das Studium des Neuen Testamentes gibt für die Kindheitsgeschichte Jesus wenig her. Nach der Weihnachtsgeschichte im Lukas-Evangelium finden sich nur noch spärliche Notizen: der Kindermord in Betlehem, Flucht und Rückkehr aus Ägypten und die Erzählung vom 12jährigen Jesus im Tempel. Keine dieser Fundstellen wird von ernsthaften Exegeten als historischer Bericht gedeutet, dagegen entzündete sich beispielsweise an einer Stelle wie Markus 6,3 eine lebhafte Debatte darüber, ob Jesus Brüder und Schwestern gehabt habe. Kurz und gut: Man weiß nichts Genaues über die Kindheit Jesu. Dieser Situation hat sich auch Regisseur Franco Rossi zu stellen, wenn er sich darum müht, die Kindheitsgeschichte Jesu mit den stets realismusverdächtigen Mitteln des Films zu gestalten. Rossi erzählt die Geschichte des kleinen Jesus als Fiktion (Wie könnte es sich abgespielt haben?) ohne erkennbar provokante oder spekulative Absichten. Er bleibt - teils allzu fromm gesinnt - auf dem Boden der traditionellen Überlieferung und nimmt sich lediglich in der Gestaltung seiner Nebenfiguren Freiheiten heraus.

Sieben Jahre nach der Flucht und dem Kindermord in Betlehem lebt der kleine Jesus mit seinen Eltern in einem Wüstendorf an der Grenze zu Ägypten, als plötzlich der Seher Sefir, einst eine mächtige Gestalt am Hofe des Königs Herodes, im Niemandsland auftaucht. Sefir hatte mit seinen Prophezeiungen Herodes dazu gebracht, die Kinder in Betlehem umbringen zu lassen, um den vorhergesagten neugeborenen "König" im Pauschalverfahren zu beseitigen. Herodes ist längst von einer Krankheit dahingerafft, doch Sefir ist immer noch von dem Gedanken besessen, daß er das Kind finden muß, das dem damaligen Massaker entronnen ist. Als er Jesus schließlich ausfindig macht, will er sein böses Werk beenden. Doch Jesus entkommt dem Mordanschlag, Joseph flieht mit seiner Familie nach Alexandria, wo er bei der dortigen jüdischen Gemeinde Unterschlupf findet. Sefir bleibt ihnen auf den Fersen und versucht alles, um Jesus in seine Gewalt zu bekommen. Nach einem weiteren Anschlag bleibt Joseph schwer verletzt in Alexandria zurück, während sich Maria und Jesus auf den beschwerlichen Weg durch die Wüste zurück in ihre Heimat Galiläa machen, wo inzwischen ein jüdischer Aufstand gegen die römischen Besatzer ausgebrochen ist. Schließlich kann Sefìr Maria und den kleinen Jesus doch noch als Gefangene davonführen, ist aber unfähig, das Kind zu töten, als es ihm in die Augen blickt.

"Ein Kind mit Namen Jesus" erzählt seine Geschichte ruhig, in langsamem Rhythmus, ohne Knalleffekte oder jenen emotionalen Kitzel, der den meisten heutigen Unterhaltungsproduktionen zu eigen ist. Daß sich die Erzählung in einer grausamen Welt mit zahlreichen Massakern abspielt, kommt fast nur in den Dialogen vor. Die Bedrohung ist zwar präsent, wird von der Inszenierung jedoch nicht ins Zentrum gestellt. Nicht die Action, sondern die Personen sind Rossi wichtig, konsequenterweise dominieren Nahaufnahmen von Gesichtern die Optik des Films. Selbst für kleinere Kinder sind die Sympathien klar verteilt erkennbar: der kleine Jesus mit seinem ungläubig staunenden Blick auf der einen, der stets im schwarzen Gewand auftauchende Sefir auf der anderen Seite. Dennoch verfällt Rossi nicht in ein überzeichnetes Gut-Böse-Schema des Märchens. Er zeichnet seine Figuren durchaus facettenreich und mit realistischen Details. Zur Stimmigkeit des Erzählten trägt auch eine unprätentiöse Kameraarbeit mit exzellent fotografierten, atmosphärisch dichten Bildern bei. Auch wenn an einigen Stellen durchscheint, daß die gesamte Inszenierung stilistisch eher von Mitteln des Theaters als von einer filmspezifischen Sprache lebt, erscheint "Ein Kind mit Namen Jesus" für ein jüngeres Publikum durchaus gelungen gestaltet. Das große Plus des Films für ein jüngeres Publikum: der kleine Jesus bietet eine Identifikationsfigur für Kinder, die in der Bibel der Erwachsenen so nicht vorkommt. Und im Rahmen seiner fiktiven Erzählung bleibt Rossi durchaus auf unspektakuläre Art auf dem Boden des Neuen Testamentes und läßt vor allem immer wieder die Grundaussage einfließen, daß Gott zu seinem Volk steht. Dies bleibt auch dann zu konstatieren, wenn man sich an der allzu idyllischen Zeichnung der Familie Jesu oder an der überirdisch positiv gezeichneten Figur Marias stößt.

Erste Zweifel kommen dann auf, wenn man den theologischen Gehalt von "Ein Kind mit Namen Jesus" näher betrachtet. In manchen Szenen begegnet der kleine Jesus seinem erwachsenen Ich, nimmt sozusagen in Visionen sein späteres Leben und Wirken schauend vorweg. Inszenatorisch erreicht der Film damit eine direkte Verknüpfung zwischen seiner Kindheitserzählung und den Berichten des Evangeliums. Doch dieser Trick hat einen Pferdefuß: die Geschichte Jesu wird zum vorherbestimmten Drama, das die Freiheit Jesu außer Kraft setzt. Damit hingegen wird das Kreuz- und Ostergeschehen, von dem die Evangelisten berichten, ins Absurde verkehrt, zum außerirdischen Mysterienspiel eines fernen Gottes, der mit der Menschheit seine seltsamen Spielchen treibt. Dies mag keineswegs den Absichten des Regisseurs entsprechen und bestimmt keine zentrale Rolle für die Aufnahmen des Films bei einem jugendlichen Publikum spielen. Doch wie bei den meisten Jesus-Filmen zeigt sich auch hier, daß gerade bei diesem Thema die ästhetische Gestaltung eines Films präzise vor dem Hintergrund einer theologischen Reflexion zu überprüfen ist. Sonst sind Schieflagen unvermeidbar, wie jeder Blick in die Geschichte der Bibel- und Jesus-Filme lehrt. Und "Ein Kind mit Namen Jesus" bildet hier trotz seiner zahlreichen sonstigen Qualitäten keine Ausnahme.
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