Das Heimweh des Walerjan Wróbel

Drama | Deutschland 1990 | 94 Minuten

Regie: Rolf Schübel

Ein 16jähriger polnischer Bauernsohn wird im Zweiten Weltkrieg als Zwangsarbeiter nach Deutschland verschleppt und nach einem harmlosen, aus Heimweh begangenen Delikt zum Tode verurteilt. Um Authentizität bemühtes Spielfilmdebüt des engagierten Dokumentarfilmers Schübel, das seine inszenatorischen Unebenheiten durch die ehrliche, klare Auseinandersetzung mit deutscher Vergangenheit und die großartige Leistung des Hauptdarstellers mehr als wettmacht. (Kinotipp der katholischen Filmkritik) - Sehenswert ab 14.
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Filmdaten

Produktionsland
Deutschland
Produktionsjahr
1990
Produktionsfirma
Studio Hamburg/ZDF
Regie
Rolf Schübel
Buch
Rolf Schübel
Kamera
Rudolf Körösi
Musik
Detlef Friedrich Petersen
Schnitt
Ursula Höf
Darsteller
Artur Pontek (Walerjan Wróbel) · Michael Gwisdek (Verteidiger) · Peter Striebeck (Richter) · Andrzej Mastalerz (Michal Piotrowski) · Michal Staszcak (Czeslaw)
Länge
94 Minuten
Kinostart
-
Fsk
ab 12; f
Pädagogische Empfehlung
- Sehenswert ab 14.
Genre
Drama | Literaturverfilmung
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Diskussion
Polen, Sommer 1939: Der 14jährige Walerjan lebt mit seinen Eltern und Geschwistern auf einem Bauernhof und verbringt trotz offensichtlicher Armut unbeschwerte Tage mit seinem Freund Czeslaw. Die Ruhe wird jäh durch den Einmarsch der deutschen Truppen unterbrochen. Walerjan, vom Vater zu Freundlichkeit, Arbeitseifer und Ordnungsliebe ermahnt, wird 1941 wie Czeslaw zur Zwangsarbeit nach Deutschland verschleppt. Dort werden die beiden Freunde getrennt, und Walerjan landet auf dem Bauernhof einer verhärmten Kriegerwitwe in der Nähe von Bremen. Nicht gerade mit offenen Armen aufgenommen, muß er sich zu den Mahlzeiten an den "Katzentisch" setzen und über seine Kräfte arbeiten. Vor Heimweh krank, versucht er, sich aus dem Staube zu machen, wird aber von der Bäuerin entdeckt und daraufhin nachts eingesperrt. Wenige Tage später legt er in der Scheune Feuer, in dem naiven Glauben, man würde ihn zur "Strafe" nach Hause schicken. Aber die Bäuerin übergibt ihn der Polizei, und die Gestapo schickt ihn ins KZ Neuengamme. Dort freundet er sich mit Michal an, der ihm hilft, die unmenschlichen Arbeits und Lebensbedingungen zu überleben. Nach neun Monaten wird er in Bremen als Volksschädling vor ein Sondergericht gestellt und wegen "schwerer Brandstiftung und Schädigung der Widerstandskraft des deutschen Volkes" zum Tode verurteilt. Ein Gnadengesuch wird vom Justizminister abgelehnt, um "der Gerechtigkeit freien Lauf zu lassen". Und so wird Walerjan Wröbel am 25.8.1942 durch das Fallbeil hingerichtet.

"Die am Verfahren beteiligten Richter und der Staatsanwalt wurden nach dem Kriege als Mitläufer und Entlastete eingestuft und übten ihre Ämter weiter aus." Dieser Satz im Nachspann des Films weist noch einmal deutlich darauf hin, worum es dem Dokumentaristen Rolf Schübel (u.a. "Nachruf auf eine Bestie", fd 24 447, "Der Indianer", fd 26 880) in seinem Spielfilmdebüt geht: um den alltäglichen Faschismus, den viele "normale" Bürger durch ihren vorauseilenden Gehorsam oder nur durch ihr Wegsehen ausübten, ohne sich der Konsequenzen bewußt zu sein. So gibt es in Schübels Film auch keine "guten" oder "bösen" Menschen, nur gedankenlose: die Bäuerin ahnte wohl nicht die Folgen ihrer Anzeige, der alte Knecht, obwohl als einziger Walerjan freundlich gesinnt, wagt letztlich auch nicht, für ihn einzutreten, und die Richter legen eine schon neurotische Juristen-"Ehre" an den Tag, um ein eh schon menschenverachtendes Recht noch einmal zu beugen. Denn die "Polenstrafrechtsordnung", nach der Walerjan verurteilt wurde, war zur Zeit der von ihm begangenen Tat noch gar nicht Gesetz. Aber selbst hier geht Schübel in seiner Typen-Wahl auf Distanz zum Nazi-Klischee. Seine Staatsdiener sind keine seifernden Freisler-Verschnitte, sondern eher jene Spezies Mensch, der man nicht zutraut, einer Fliege etwas zuleide zu tun. So projiziert sich das Entsetzen beim Betrachten dieses keineswegs einmaligen Schicksals nicht auf einzelne Personen, sondern auf die gesellschaftlichen Umstände und Wurzeln, die politischen Versäumnisse, die solch ein Verhalten erst möglich machen. Und hier bekommt Schübels Film auch eine Aktualität, die betroffen macht und die Frage aufwirft, ob wir nicht schon wieder dabei sind, die Zeichen der Zeit (Fremdenhaß) zu übersehen.

Schübels Auseinandersetzung mit der deutschen Vergangenheit (und Gegenwart) ist nicht geprägt von jenem manchmal effekthascherischen Inszenierungsstil eines "Hitlerjungen Salomon" (fd 29 376), sondern bestimmt von einem den Dokumentarfilmer nie verleugnenden ruhigen Erzählduktus, aufgenommen von einer fast lakonisch beobachtenden Kamera. Daß seine Geschichte ab und an ins Stocken gerät, keinen durchgängigen Rhythmus findet, mag man Schübels Unerfahrenheit als Spielfilmregisseur ebenso zugute halten wie seine allzu idyllischen "Traumsequenzen". Wettgemacht werden diese Unebenheiten allemal durch die Schauspielkunst von Artur Pontek, in dessen Gesicht man lesen kann wie in einem offenen Buch. "Das Heimweh des Walerjan Wröbel" ist ein großer "kleiner Film", vor allem, weil er seine Geschichte klar, ehrlich und ohne Haß erzählt.
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