Trust - Blindes Vertrauen

Komödie | USA 1991 | 93 Minuten

Regie: Hal Hartley

In einer Vorstadt New Yorks finden zwei durch die sozialen Verhältnisse psychisch geschädigte junge Menschen langsam einen Weg zueinander und fassen Vertrauen zum Leben. Ein sozialkritisches Porträt des amerikanischen Kleinbürgertums. Ebenso Romanze wie Komödie und Satire, bietet der glänzend inszenierte, von glaubwürdigen Darstellern getragene Film ein nicht alltägliches Kinoerlebnis. - Sehenswert ab 16.
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Filmdaten

Originaltitel
TRUST
Produktionsland
USA
Produktionsjahr
1991
Produktionsfirma
Zenith Pictures/True Fiction Pictures/Last Moment Prod.
Regie
Hal Hartley
Buch
Hal Hartley
Kamera
Michael Spiller
Musik
Philip Reed · The Great Outdoors
Schnitt
Nick Gomez
Darsteller
Adrienne Shelly (Maria Coughlin) · Martin Donovan (Matthew Slaughter) · Merrit Nelson (Jean Coughlin) · Edie Falco (Peg) · John MacKay (Jim Slaughter)
Länge
93 Minuten
Kinostart
-
Fsk
ab 12; f
Pädagogische Empfehlung
- Sehenswert ab 16.
Genre
Komödie | Drama | Liebesfilm
Externe Links
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Diskussion
Auch das ist amerikanisches Kino: die Schilderung des Lebens, des Überlebens im alltäglichen Wahnsinn trister Vorstadtsiedlungen, den Pendler- und Schlafstädten mit vereinsamten grünen Witwen und Jugendlichen, die sich zu Tode langweilen und deren Frust nicht selten in Gewalttätigkeit umschlägt. Suburbia - Menschen, abgeschoben aus der nahen Großstadt, sozial deklassiert, ständig von Arbeitslosigkeit bedroht, Familien mit viel zu vielen Kindern, kaum Freizeitangebote, der Droge Fernsehen verfallen, die paradiesische Bilder ins propere, von Reinlichkeitswahn befallene Elendsquartier bringt. In diesem Milieu - Lindenhurst, Long Island, New York - spielt der zweite Spielfilm von Hal Hartley ("Verdacht auf Liebe", fd 28 773), eines Regisseurs mit einer sehr eigenen, eigenwilligen Handschrift.

Hartley interessiert die Frage, ob in einer kaputten Außenwelt die Innenwelt intakt bleiben kann, noch Vertrauen und Liebe unter den Menschen möglich sind. Am Beispiel zweier Außenseiter, die Hartley in seiner Story geradezu suggestiv zueinandertreibt, bejaht er diese Frage, macht freilich ebenso deutlich, plausibel deutlich, daß das kleine Glück erarbeitet werden muß.

Ehe sich die Wege von Maria und Matthew kreuzen, wird mit einer virtuos gehandhabten Gegenschnitt-Technik beider Lebenssituation in für sie charakteristischen Momenten beschrieben. Sie ist 17, schwänzt häufig die Schule, malt sich zu grell an: Typ aufgedonnertes Dummerchen. Er ist zehn Jahre älter, gilt als verschroben, weil er Bücher liest, verfügt aber über ein beachtliches Gewaltpotential, das auf seiner Arbeitsstelle, einer Reparaturwerkstatt für Computer und Fernsehgeräte, und in den Kneipen des Viertels gefürchtet wird. Stets trägt er eine Handgranate ("Für alle Fälle") bei sich, die sein Vater einst aus dem Korea-Krieg mit nach Hause brachte. Maria hat dauernd Streit mit ihren Eltern; als sie ihnen eröffnet, daß sie schwanger ist, fällt ihr Vater tot um. Herzschlag! Die Mutter macht die Tochter für den Tod verantwortlich und weist sie aus dem Haus. Matthew erduldet die Wutanfälle und Schikanen seines cholerischen Vaters nahezu klaglos. Die Mutter starb bei seiner Geburt. Dem Vater ist er wehrlos ergeben, in schon unnatürlicher Unterordnung. Dafür läßt er außerhalb des Hauses seinen Aggressionen freien Lauf, steht sozusagen dauernd unter Strom. Als ihm in der Firma eine Arbeit zugewiesen wird, die er partout nicht machen will dreht Matthew durch, spannt den Kopf eines Vorgesetzten in einen Schraubstock und kündigt. Maria will ihren Geliebten heiraten, doch der gibt ihr den Laufpaß, weil er seine Football-Karriere gefährdet sieht. Sie geht zur Schwangerschaftsberatung, doch dort bietet man ihr statt Rat und Hilfe einen Drink an.

Dies alles beschreibt Hal Hartley knapp und präzise, ohne Schnörkel und ohne bei den einzelnen Situationen länger zu verweilen. Die Exposition des Films ist durch rasche Schnittwechsel charakterisiert. Erst als die beiden Außenseiter sich in einer Abbruchruine begegnen, in die sich die obdachlose Maria zurückgezogen hat, und die Matthew auf einem seiner abendlichen Streifzüge aufsucht, wird das Tempo des Films ruhiger, werden die Einstellungen länger, die Kamera verweilt bei den beiden Unglücklichen und ihrer Ausweglosigkeit. Fortan gehen sie den Weg gemeinsam, allen Widerständen zum Trotz, Rückschläge eingeschlossen: erst zögernd, dann bestimmter, zum Schluß endgültig, auch wenn sie - durch Matthews Verhaftung - erst einmal getrennt werden. Was die beiden zusammenhält in der unwirtlichen Welt der öden Vorstadtsiedlung, ist nicht so sehr Liebe als vielmehr Vertrauen ("Trust"). Dafür gibt es eine Schlüsselszene. Maria klettert auf einen ziemlich hohen Betonklotz, wendet Matthew den Rücken zu, breitet die Arme aus und läßt sich rückwärts fallen. Ein gefährliches Spiel. Buchstäblich im letzten Moment kann Matthew sie noch auffangen. "Ich vertraue dir", sagt sie zu ihm, Jetzt du". Aber der junge Mann tut es ihr nicht nach, sagt: "Ich bin zu schwer, mich kannst du nicht auffangen." Aus Vertrauen erwächst Liebe. In allmählichem und schließlich grenzenlosem Vertrauen behaupten sich Maria und Matthew auf dem Schlachtfeld des Lebens. Eine gute Geschichte, glänzend realisiert. Bestechend, wie Hal Hartley die Genre-Grenzen verwischt: sein Film ist ebenso Romanze wie Komödie und auch gallig-böse Satire, bleibt aber - auch dort, wo er ironisch überzeichnet - immer realitätsbezogen. Die Geschichte, die Hartley erzählt, ist ein Balanceakt, und für diesen Balanceakt hat er eine adäquate, fesselnde filmische Ausdrucksform gefunden. Mit Adrienne Shelley und Martin Donovan bietet er zudem zwei unverbrauchte, glaubwürdige Darsteller auf, die den Film zu einem nicht alltäglichen Kino-Erlebnis machen.
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