Rostige Bilder

Dokumentarfilm | Deutschland 1992 | 114 Minuten

Regie: Manfred Wilhelms

Kommentarlos begleitet der Film mehrere Fahrten des Berliner Landschafts- und Architekturmalers Fritz Kreidt zu Industrielandschaften im Berliner und Leipziger Raum, wo er Skizzen des Verfalls anfertigt, die er im Atelier zu akribischen Gemälden verwendet. Ein überlanger, insgesamt außergewöhnlicher Dokumentarfilm über Möglichkeiten der Wahrnehmung mittels der Malerei und des Filmemachens am Beispiel von Industrieanlagen und deren Wandel, der gleichzeitig als ein politisches Dokument über den Letztzustand eines angeblich fortschrittlichen Systems (der DDR) verstanden werden kann.
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Filmdaten

Produktionsland
Deutschland
Produktionsjahr
1992
Produktionsfirma
Lassoband
Regie
Manfred Wilhelms
Buch
Manfred Wilhelms
Kamera
Manfred Wilhelms
Musik
Gabriel Fauré · Dejan Gavric · Herbert Joos · Frank Kirchner · Franz Liszt
Schnitt
Manfred Wilhelms
Länge
114 Minuten
Kinostart
-
Genre
Dokumentarfilm
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Diskussion
"Die Reise des Malers" sollte der Film heißen, als Manfred Wilhelms 1987 auf die bizarre Reise der Antragsstellungen für Filmfördergremien und der Entgegennahme von Ablehnungsbescheiden ging. Geplant war, daß der Maler Fritz Kreidt nach langjähriger Abwesenheit in die Landschaften seiner Kindheit ins Ruhrgebiet zurückkehren sollte, um Skizzen für mehrere Gemälde herzustellen. Auf dem Weg zu deren allmählicher Entstehung sollten eine Lyrikerin, ein vagabundierender Kunstwissenschaftler und ein Saxophonist auf der Suche nach seiner Band den reisenden Maler begleiten und die Wahrnehmung der Wirklichkeit durch Kreidt reflektierend kommentieren. Wilhelms' Reise durch die Zeit der Gremienablehnungen - dreieinhalb Jahre bis Mitte 1990! - reduzierten die inszenatorischen Elemente seines Dokumentarfilm-Plans auf ganz wenige Elemente; die Begleiter entfielen, lediglich der Wärter eines stillgelegten Brikettwerks darf ein wenig geplanten Dialog mit dem Maler führen.

Stattdessen hat die Zeitgeschichte dem Filmautor ein nicht unerhebliches Geschenk gemacht: die Wiedervereinigung und die damit gewährte Öffnung der bis dahin verriegelten DDR mit ihren enormen Offerten an malerischen Objekten, deren "Verarbeitung" zu Malerei und in Malerei den filmischen Raum dringend benötigte. "Enorme Offerten"? Die maroden Fabriken, verrottenden Industrie-Anlagen, unrentablen Ruinen einstmals funktionssicherer Produktionsplanung brauchbarer Güter, die es in den neuen Bundesländern in Fülle gibt und die für die arbeitsplatzsuchenden Menschen wie für das ökologische Bewußtsein eine katastrophale Realität darstellen - sie sind bevorzugte Objekte des malerischen Interesses des Landschafts- und Architekturmalers Fritz Kreidt (Jhrg. 1936, Schüler von Georg Meistermann und Otto Coester). Dessen in den letzten Jahren konsequent in Bilder umgesetzte Aufmerksamkeit galt sowieso den verfallenden Landschaften zivilisatorischen Eingriffs in die eigentliche Landschaft oder den zerbröckelnden Rändern der Stadtlandschaften an deren Kernen. Beispiele von Reisen in die USA, nach Frankreich, Spanien, England und Polen belegen diese urbane Beobachtung. Wilhelms' Warten auf die Realisierung seines Filmprojekts mit und über Fritz Kreidt rückte diesem unwillkürlich Material vor Augen und Leinwand, die weite Reisen erübrigten. Kreidt mußte "nur" Skizzenblock und Kamera einpacken, um ein paar Kilometer an die Berliner Peripherie und nach Leipzig zu fahren, um ein paar Kilometer mehr die eindrucksvollsten Objekte seines Interesses zu finden.

"Rostige Bilder" heißt die filmische Dokumentation dieser Malerfahrten nun - Rost in seiner eindrücklichen Farbqualität aller Braun-Schattierungen, und Rost in seiner Symbolqualität für alles, was dauerhaft war und nun dem Fraß der Zeit ausgesetzt ist. Der Film begleitet die Entstehung von "rostigen Bildern", indem er den Maler begleitet. Zu Beginn des Films kommt ein Mann ins abendlich dunkle Atelier, läßt seine Taschenlampe über diverse Leinwände streifen, um sich schließlich einem einzigen Bild - nun ganz im Licht - auf der Staffelei zu widmen. Von der gänzlich weißen Leinwand geht der Augenweg des Zuschauers auf Entdeckungsreise zu den "rostigen Bildern" und ihren Vor-Bildern in der landschaftlichen Wirklichkeit. Kreidt wirkt dabei mitunter wie ein Dokumentarist, der noch eine letzte Momentaufnahme eines verfallenden Kombinats skizziert, bevor dieses den Räumgeräten anheimfällt. Oder er hält die Zwischenphase einer großangelegten Sprengung fest, das erste große Ergebnis des Dynamits, bevor kleinere Sprengungen den Abtransport in handlichen Brocken sichern - besonders sinnfällig die paradoxe Arbeit des Künstlers in diesem Falle, da er als gewissermaßen verlorener einzelner dem Team der Sprengmeister den konstruktiven Akt des Malens/Zeichnens dieses Zerstörungsvorgangs entgegenhält. Oder er arbeitet im Gelände des Braunkohlentagebaus: die ins Atelier mitgebrachte Tallandschaft der gigantischen Abbau-Zerstörung durch die Mega-Bagger wird malerisch eingefügt als Ausblick aus einer enormen, inzwischen nicht mehr genutzten Werkhalle -seherische Collage von zwei industrielandschaftlichen Wirklichkeiten zu einer Vision enormer Zerstörung. Das Ende der dokumentarischen Begleitung des Malers bei verschiedenen Bauwerken bildet eine lange Parallelfahrt zum Rover des Malers, beziehungsreicher Hinweis auf des Malers wie des Filmemachers Absicht, Wahrnehmung für Dritte zu schärfen, wenn nicht zu ermöglichen. Der Ausschnitt des Zugfensters ist der Ausschnitt des Filmbildes ist der Ausschnitt des gemalten Bildes.

Es bedarf des Sehens und Zeigens mittels der genuinen Instrumente von Maler und Filmregisseur. Sprache ist dabei zweitrangig. So wird in Wilhelms' Film nichts verbal kommentiert, erklärt, gedeutet. Nur Musik hat einen mitunter meditativ wirkenden Stellenwert der Verknüpfung. Es ist in diesem Falle konsequent, daß Wilhelms nicht nur als Regisseur und Autor fungiert, sondern auch Kamera und Schnitt verantwortet: alle bildnerischen Mittel bleiben bei der Filmgestaltung in einer Hand, ähnlich wie beim ganz anderen Künstler, dem Maler, dessen Abgesang auf die Gigantomanie zivilisatorischer Konstrukte ebenfalls monologisch ist. Diese Einsamkeit der Herstellung der Bilder spiegelt sich in den häufig magischen Bildlandschaften, in denen die Menschen fehlen. Vielleicht weil das technisch-architektonische Milieu übermächtig war. So ist ein außerordentlicher Film weniger über einen Maler als mit einem Maler entstanden, ein Film, der die merkwürdigen Ästhetizismen der morbiden Trümmer - und Ruinenlandschaften malerisch wie filmisch zelebriert und dem Zuschauer Raum zur Reflexion gibt über die Merkwürdigkeit der "Werke" der Menschen und über die Geschichte, in der diese geschaffen und alsbald geschleift werden.
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