Cabeza de Vaca

Drama | Mexiko 1990 | 112 Minuten

Regie: Nicolás Echevarría

Eine Odyssee durch den Norden Mexikos, basierend auf einem Reisebericht aus dem 16. Jahrhundert. Die Begegnung mit der indianischen Kultur und dem Schamanismus löst bei der Hauptfigur, dem Seefahrer Cabeza de Vaca, einen Bewußtseinswandel aus. Von humanistischem Engagement geprägt, zeigt der Film die Problematik eines Inkulturationsprozesses, wobei er in der metaphorischen Schlußsequenz das Kreuz des Christentums noch immer als Zeichen der Ausbeutung und Unterdrückung betrachtet. Er besticht durch seine Mischung aus dokumentarisch wirkendem Filmmaterial und einer surrealen, der magisch-animistischen Denkweise der Indianer verpflichteten Erzählform. (O.m.d.U.; Fernsehtitel: "Die Abenteuer des Cabeza de Vaca") - Sehenswert ab 16.
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Filmdaten

Originaltitel
CABEZA DE VACA
Produktionsland
Mexiko
Produktionsjahr
1990
Produktionsfirma
Iguana
Regie
Nicolás Echevarría
Buch
Nicolás Echevarría · Guillermo Sheridan
Kamera
Guillermo Navarro
Musik
Mario Lavista
Schnitt
Rafael Castanedo
Darsteller
Juan Diego · Daniel Giménez Cacho · Roberto Sosa · Carlos Castanón · Gerardo Villareal
Länge
112 Minuten
Kinostart
-
Pädagogische Empfehlung
- Sehenswert ab 16.
Genre
Drama | Literaturverfilmung
Externe Links
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Diskussion
Mit den meisten seiner siebzehn Kurz- und Dokumentarfilme hat der 1947 im Norden Mexikos geborene Nicolas Echevarria das indianische Gesicht seines Landes zu entdecken und zu ergründen versucht. Wie "Jericó" von Luis Alberto Lamata (Venezuela 1990) oder Kevin Costners "Der mit dem Wolf tanzt (fd 28 748) handelt Echevarrias erster Spielfilm von einem Weißen, der im Kontext des Zusammenpralls europäischer und indigener Kulturen letzteren gegenüber offen war und dadurch in Konflikt mit seinen Landsleuten geriet. Im Gegensatz zu Costner besteht Echevarria auf eine unaufhebbare Differenz zwischen den Kulturen.

Alvar Nuñez Cabeza de Vaca wurde 1490 in Jerez de La Frontera geboren. Er nahm 1527 unter Panfilos de Narvarez an einer Expedition nach Florida als dessen Stellvertreter und Schatzmeister teil. Das Unternehmen scheiterte kläglich; nach einem achtjährigen Fußmarsch von Florida westwärts bis an den Pazifik trifft Cabeza mit drei Gefährten 1536 in San Miguel de Cualican auf spanische Truppen. Seine Aufzeichnungen nennt er "Naufragios" (Die Schiffbrüchigen), die Echevama als Vorlage für seinen Film dienen. Cabeza wird später Gouverneur in Asuncion, bekämpft aufständische Indianer, gerät in Intrigen und wird 1545 in Ketten nach Spanien gebracht, wo er um 1560 stirbt.

Echevama geht es nicht um eine Rekonstruktion dieser Odyssee, weshalb die Differenzen zwischen den filmischen und historischen Personen legitim sind. Ihm geht es vielmehr um den Prozeß der Wahrnehmung indianischer Kulturen durch einen Fremdem aufgeschlossenen Conquistador und dessen Akkulturation.

Im Zentrum des Films steht der Haltungs- und Bewußtseinswandel, den Cabeza in der Konfrontation mit der spirituell-religiösen Welt der Indianer, insbesondere mit dem Schamanentum macht. Als Gefangener eines Schamanen erhält er Einblicke in die ganzheitliche Heilkunst des Schamanismus. Da er sich als Medium "magischer" Kräfte erweist und einen erblindeten Indianer heilt, weist ihn der Schamane ein. Die Initiation ist abgeschlossen, da der in die Wüste geschickte Cabeza im Zustand einer fast übermächtigen Halluzination mit seinem gewalttätigen Großvater Pedro de Vera, Eroberer der Kanarischen Inseln, abgerechnet und sich somit "gereinigt" hatte.

Als Heilender, der auch (Schein-?)Tote zu erwecken vermag, zieht er seinen Weg. Die Fähigkeit zu heilen verliert Cabeza, als er und seine Begleiter in die Einflußsphäre waffentragender Spanier kommen. Gewehr und Kugel sind Realsymbole der todesmächtigen Seite technisch-wissenschaftlicher Zivilisation.

In Cualican angekommen, hat Cabeza einen langen äußeren, aber vor allem inneren Weg zurückgelegt, während seine beiden spanischen Weggefährten nur eine weite Reise hinter sich haben. Der Negersklave Estebanico, der vierte der Gruppe, ist der einzige, der Cabeza versteht in seiner Verzweiflung über die unüberbrückbare Kluft zwischen europäischem Denken und Handeln und der indianischen Lebensweise und deren Ohnmacht. Trotz eindeutiger Stellungnahme für den indianischen Lebensentwurf verfällt Echevarria nicht in eine idealisierende Darstellung der indigenen Kulturen. Auch in ihnen ist Unfriede und Böses.

Zu Beginn des Films trägt - einem Exorzisten gleich - ein Mönch inmitten eines Trupps spanischer Schiffbrüchiger ein großes Kreuz durch den Urwald. Selbst von Pfeilen getroffen fallen weder er noch das Kruzifix zu Boden. In der Schlußsequenz schleppen Indianersklaven im Takt einer spanischen Trommel ein überdimensionales Kreuz durch die Wüste. Die "Schwertmission" (Horst Gründer) hatte keinen Blick für die Würde der Indios und machte nicht nur ihre Seele zur Wüstenei. Des (historischen und filmischen) Cabezas Überzeugung, "daß auch die Indianer von der Liebe Gottes nicht ausgeschlossen sind", obwohl sie ihn mehrmals gefangen und eingesperrt haben, weist auf ein anderes, gewaltfreies, humanes Christentum hin. Hier ist Cabeza, der ostentativ ein Kreuz an einer Halskette trägt, verbunden mit Antón de Montesino, Bartolomé de Las Casas oder Bernado Sahagun.

Die Dokumentarfilmerfahrung Echevarrias ist deutlich zu spüren. Es entsteht der Eindruck, als mache er mit der Kamera eine Feldbeobachtung. Der teilweise Verzicht auf die Übersetzung indianischer Dialoge verstärkt zum einen das Aspekt des Dokumentarischen, zum anderen verdeutlicht er die Kulturdifferenz zwischen der indianischen Welt und der der Zuschauer. Wo es sich zentral um die spirituell-religiösen Dimensionen indianischer Welt- und Lebensbewältigung dreht, wählt Echevarria die Mittel des Phantastischen (Halluzination in der Wüste) oder der Stilisierung (Begräbnis in der Kalkwüste des mexikanischen Hochlandes). "Cabeza de Vaca" ist ein bedeutsamer und kraftvoller Film, der die Zuschauer in seinen Bann zu ziehen vermag.
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