Drama | Hongkong/VR China 1991 | 125 Minuten

Regie: Zhang Yimou

In den 20er-Jahren kommt eine junge Frau als vierte Ehefrau eines mächtigen Feudalherren in dessen Palast und wird mit den strengen Ritualen der Einordnung und Unterwerfung konfrontiert. Handelnde Figur im Intrigenspiel der rivalisierenden Frauen und dessen Opfer zugleich, zerbricht sie an den unmenschlichen Strukturen. Ein düsteres, in faszinierenden Bildern von konzentrierter Strenge entwickeltes Drama. In Blicken und Gesten eingefangene Signale der Leidenschaft, sinnlichen Stärke und individuellen Würde werden zu bewegenden Hoffnungsträgern für ein mögliches Leben jenseits von Unfreiheit und Unterdrückung. - Sehenswert ab 16.
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Filmdaten

Originaltitel
DAHONG DENGLONG GAOGAO GUA | RAISE THE RED LANTERN
Produktionsland
Hongkong/VR China
Produktionsjahr
1991
Produktionsfirma
ERA/China Film
Regie
Zhang Yimou
Buch
Ni Zhen
Kamera
Zhao Fei
Musik
Zhao Jiping
Schnitt
Du Yuan
Darsteller
Gong Li (Songlian) · Ma Jingwu (der Herr) · He Caifei (Meishan) · Cao Cuifeng (Zhuoyun) · Kong Lin (Yanér)
Länge
125 Minuten
Kinostart
-
Fsk
ab 12; f
Pädagogische Empfehlung
- Sehenswert ab 16.
Genre
Drama | Literaturverfilmung
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Diskussion
Zhang Yimous Regiedebüt "Rotes Kornfeld" (1988, fd 27 622) begann mit einer Hochzeitsprozession in einer ländlichen Region Chinas während der 20er Jahre: die junge Braut wird in einer Sänfte getragen, in der sie dem ungeliebten zukünftigen Ehemann entgegenreist. Zu Beginn von "Rote Laterne", der etwa zur selben Zeit im Norden Chinas spielt, geht eine junge Frau zu Fuß dem Haus des Mannes entgegen, einen Koffer mit ihren Habseligkeiten selbst tragend; die Sänfte, die sie eigentlich abholen soll, zieht unbenutzt vorbei, gleichsam als Zitat eines Rituals, das die 19jährige mit leiser Verachtung im Blick zu strafen scheint. Doch die selbstbewußte, sich stark und beherrscht wähnende Songlian, die nach dem Tod ihres Vaters ihr Hochschulstudium aus finanziellen Gründen abbrechen mußte und den Heiratsantrag eines reichen und mächtigen Mannes annahm, wird in ihrer neuen Umgebung mit einem wahren Kanon von Ritualen, Gesetzen und Unterwerfungsmechanismen konfrontiert werden. Als sie zum ersten Mal in die Kamera blickt - noch bevor die Handlung überhaupt einsetzt -, rinnt eine Träne über ihre Wange: programmatisches Zeichen für die Trauer und den Schmerz, der sie innerhalb eines einzigen Jahres erdrücken wird.

Songlian kommt als vierte Frau in das palastartige Haus des Clan-Vorstehers und Feudalherrn Chen Zuoquian, in dessen trutzburg-artigen Mauern sie wie die drei anderen Frauen einen seperaten privaten Flügel bewohnen wird. Chen, im wahrsten Sinn des Wortes ihr Herr und Meister, kehrt zur Nacht bei derjenigen ein, in deren Innenhof er übergroße rote Laternen entzünden läßt; Dienerinnen bereiten dann die jeweils Auserwählte mit ritueller Fußmassage vor, und auch der Beischlaf selbst wird nach sorgsamer Ordnung in einem von den gleichen Laternen beleuchteten Schlafzimmer vollzogen. Bald spürt Songlian die Rivalität unter den Frauen - sowohl den Ehefrauen als auch den Dienerinnen - und lernt die Intrigen kennen, die gesponnen werden, um die anderen in der Gunst des Mannes auszustechen. Aber sie glaubt sich stark und hart genug, die damit verbundene Herausforderung anzunehmen. Zunächst erscheint ihr der versteckte Kampf als ein sportives Konkurrieren. Aber in dem Maße, wie die Sinnlosigkeit aller Konflikte unter den Frauen zutage tritt, wird deutlich, daß das Spiel um Macht und Eroberung ein bitterernstes Gefecht auf Leben und Tod ist. Denn genauso, wie die Intrigen dem unausgefüllten, im Grunde so sinnlosen Dasein der Frauen erst Struktur und Inhalt geben, so ausgeliefert sind sie der steuernden Macht ihres Gebieters, der sie gefangen hält und sogar mit dem Tod zu bestrafen vermag. Die Unmenschlichkeit der Situation überträgt sich auf die Frauen, die zugleich Protagonisten und Opfer des grausamen Rituals sind. Am Ende hat Soglian aus Wut über die Dienerin Yanér deren Tod mitverschuldet und unwissentlich dazu beigetragen, daß die dritte Frau, eine ehemalige Opern-Sängerin, die ein Verhältnis mit dem Hausarzt unterhielt, heimlich hingerichtet wird. Als das erste Jahr ihres Aufenthalts vorübergeht, kommt eine fünfte Ehefrau ins Haus. Ihr gegenüber stellt man Songliang als die vierte Frau vor - und die sei verrückt geworden.

Nichts scheint mehr möglich zu sein in dieser Welt der feudalistischen Unterwerfungsprinzipien, die bis zur Unmenschlichkeit und Vernichtung auf ihre Erfüllung pochen. Die Hoffnung auf individuelle Selbstverwirklichung, auf Freiheit und Glück, die sich in "Rotes Kornfeld" und "Judou" (1990, fd 29 142) noch in einem rauschaft-flammenden Plädoyer für das Leben durchsetzte, erstickt hier in der beklemmenden Enge eines Palastes, der keinen Blick auf die Weite des Himmels ermöglicht. Die statische Architektur spiegelt die repressive Situation der Frauen, die reich ornamentierten Dächer, die filigranen Bögen und Brüstungen, die Quer- und Längsgänge täuschen Freiheit allenfalls vor und konterkarieren sie im selben Moment. Auch der Wechsel der Jahreszeiten, der sich im Wandel eines zunächst hoffnungsvoll stimmenden, warmen Lichtes zu immer kälteren Winterfarben andeutet, täuscht einen äußerlichen Neuanfang nur vor: mit der Rückkehr des Sommers holt sich der Herr eine neue Frau, damit sie in den immergleichen Zyklus der inneren Ausdörrung eingebunden wird. Die Innenhöfe, in denen die Frauen in trügerischer Hoffnung auf die nächtliche Gunst des Mannes warten, werden wie ihre Zimmer von dem strahlenden Rot der Laternen bestimmt - auch dies ein leeres Versprechen, denn nur noch auf dem Papier signalisiert in China die Farbe Rot Liebe, Leidenschaft und Neubeginn. In der verkrusteten Geisteshaltung des Feudalismus ist sie nur noch kunstgewerbliches Zitat einer seelenlos ausgeübten Macht. Unter solchem Aspekt läßt sich Zhang Yimous düsteres (Melo-)Drama durchaus als versteckte Anklage der unmittelbaren chinesischen Gegenwart verstehen, die sich jedoch jeder Konkretion enthält und sich eher in Sinnbildern manifestiert. Zhang Yimou ist kein politischer Agitator, sondern eher ein filmender "Archäologe" auf der Suche nach den in seiner Heimat verschütteten Gefühlen und Sehnsüchten. Und so beinhaltet seine strenge Inszenierung der zermürbenden Rituale - von der statischen Kamera in immer wiederkehrenden Einstellungen auf die Innenhöfe und Dächer verdeutlicht - auf bewegende Weise stets auch ein utopisches Gegenbild: quasi unter der oberen Schicht der Bilder brodelt die Gemütsverfassung der Frauen, bahnen sich ihre Gefühle und Leidenschaften durch Blicke und kontrollierte Gesten einen Weg an die Oberfläche. Während der Herr selbst als eine schemenhafte, konturlose Gestalt inszeniert wird, die eine soziale Macht ohne individuelle Konturen symbolisiert, strahlt vor allem Songlian ein ungeheures Potential an Lebenswillen und sinnlicher Stärke aus, die unter den Gegebenheiten korrumpiert zu werden drohen. Songlian versinnbildlicht die ganze Skala von Leidenschaft, Mut und menschlicher Würde, die darauf hoffen läßt, daß Unfreiheit und Unterdrückung doch überwunden werden können. Wenn sie am Ende für verrückt erklärt wird und wie ein gefangenes Tier im Käfig durch den Innenhof des Palastes läuft, dann zieht sich die Kamera in sanften Überblendungen starrer Einstellungen immer weiter zurück, damit selbst ein Fragezeichen setzend: Wer ist wirklich verrückt, und wer verliert wirklich alles Menschliche in einer Welt der rücksichtslosen Unterwerfung?
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