Erbarmungslos (1992)

Western | USA 1992 | 130 Minuten

Regie: Clint Eastwood

Wyoming, um 1880: Ein sesshaft gewordener ehemaliger Revolverheld erliegt der Versuchung des Geldes, das auf zwei Männer ausgesetzt ist, die eine Prostituierte misshandelt haben, und kehrt für ein paar Wochen zu seiner vergessen geglaubten Vergangenheit zurück. Clint Eastwoods revisionistischer Western belebt die altbekannten Strukturen, um sie einer entmythologisierenden Betrachtung von Gewalttätigkeit und deren Folgen zuzuführen. Weniger formal als wegen der thematischen Perspektive interessant. - Ab 16.
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Filmdaten

Originaltitel
UNFORGIVEN
Produktionsland
USA
Produktionsjahr
1992
Produktionsfirma
Malpaso
Regie
Clint Eastwood
Buch
David Peoples
Kamera
Jack N. Green
Musik
Lennie Niehaus
Schnitt
Joel Cox
Darsteller
Clint Eastwood (Bill Munny) · Gene Hackman (Little Bill Daggett) · Morgan Freeman (Ned Logan) · Richard Harris (English Bob) · Jaimz Woolvett (Schofield Kid)
Länge
130 Minuten
Kinostart
-
Fsk
ab 16; f
Pädagogische Empfehlung
- Ab 16.
Genre
Western
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Heimkino

Verleih DVD
Warner (16:9, 2.35:1, DD5.1 engl./dt.)
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Diskussion
Die Landschaften der klassischen Western waren pittoreske Gegenden roter Tafelberge und gleißender Wüsten, zerklüfteter Felsen und weiter, fruchtbarer Ebenen, auf denen gewaltige Rinderherden blutroten Sonnenuntergängen entgegenzogen. Die Helden der klassischen Western waren junge, zielstrebige Männer, die dem harten Leben in einem noch uneroberten, unzivilisierten Land entweder die gute oder die böse Seite abgewannen, einsame Kämpfer für Recht und Gerechtigkeit oder noch einsamere Outlaws, die sich die Gesetzlosigkeit des "wilden" Westens zunutze machten, ohne dabei in allzu beunruhigende Gewissenskonflikte zu geraten. Seit Sam Peckinpahs "Sacramento" (fd 11 400) und "The Wild Bunch" (fd 16 396) die den Abgesang auf den Western alter Hollywood-Tradition einläuteten, sieht es auf der Leinwand anders aus, wenn noch einmal ein Film des einst so beliebten Genres auftaucht. Konnte Peckinpah immerhin noch auf die gealterten Stars der Gattung, auf Randolph Scott, Joel McCrea und William Holden, zurückgreifen, so bleibt Clint Eastwood nur Clint Eastwood, der eigentlich bereits einer späteren Periode angehört, die von Sergio Leone mit dem schicksalhaften Mythos einer verlorenen Generation von Italien aus wiederbelebt wurde. In Eastwoods "Erbarmungslos" ist die Landschaft flach und schäbig, pittoresk nur noch in den symbolhaft vergoldeten Einstellungen des Anfangs und des Schlusses. Die stolzen Rinder weichen der Schweinezucht, im Western seit je Inbegriff der Armut und Unstandesgemäßheit. Und die Helden sind alt geworden, Männer über 60, deren Leben in festen Bahnen verläuft und die nur durch eine Verkettung zufälliger Umstände oder in den naiv-verklärenden Geschichten den Westen heroisierender Schreiberlinge noch einmal zur Waffe greifen.

"Erbarmungslos" ist bereits vom Drehbuch her mit zahlreichen Irritationen versehen, die einem "Spätwestern" neue Perspektiven verleihen können: der alkoholsüchtige Revolverheld, den eine Frau zu besserer Einsicht gebracht hat; der junge, prahlerische Draufgänger, der sich als halbblinder Aufschneider entpuppt; der Sheriff, der mit sadistischer Gründlichkeit dafür sorgt, daß seine kleine Stadt gewaltfrei bleibt. Diese und alle anderen Figuren sind vertraute Verwandte altbekannter Westernhelden, doch ihre Psychologie wird auf den Kopf gestellt, die Story damit öffnend für eine revisionistische Betrachtung des "wilden" Westens und für eine Entmythologisierung der ihm immanenten Gewalttätigkeit. David Webb Peoples, einer der beiden Autoren von Ridley Scotts "Blade Runner" (fd 23 699), zeichnet für das Drehbuch verantwortlich, das er in den 70er Jahren für Francis Ford Coppola geschrieben hat. Eastwood erwarb die Rechte vor langem, ließ das Script aber zehn Jahre liegen, um "in die Rolle hineinzualtern".

Bill Munny - man beachte die Alliteration des Namens mit dem englischen Wort für Geld: "Money" - lebt mit seinen beiden Kindern auf einer kleinen, abgelegenen Schweinefarm, die kaum in der Lage ist, den nötigsten Lebensunterhalt zu erwirtschaften. Einst ein dem Alkohol verfallener, gefürchteter Revolverheld, hat ihn seine inzwischen verstorbene junge Frau zu einem besseren Leben bekehrt. Eines Tages taucht "Schoneld Kid" in der Einöde auf und erzählt Munny davon, daß in Big Whiskey eine Prostituierte von zwei Kerlen schlimm zugerichtet worden ist. Der Sheriff des Ortes, Little Bill, hat die Täter davonkommen lassen, doch die Prostituierten haben zusammengelegt und l 000 Dollar für den Vollzug ihrer Rache aufgeboten. Munny läßt den Jungen, der sich seiner Schießkünste und Leichen rühmt, unverrichteterdinge wieder abziehen. Er hat nicht vor, in die Gewohnheiten seines alten Lebens zurückzufallen. Doch die Versuchung des vielen Geldes läßt ihn nicht los, und so sucht er schließlich seinen früheren Kumpan Ned auf, der ebenfalls das Töten einem geruhsamen Dasein zuliebe aufgegeben hat.

Während die zwei sich nach Big Whiskey aufmachen, erfährt der Zuschauer Näheres über dessen Sheriff. Ein anderer alter Revolverheld ist in Begleitung seines Biographen in der Stadt aufgetaucht, ein schlohweißer Engländer mit dunkler Vergangenheit. Doch noch bevor er sich im Hotel überhaupt einrichten kann, tritt und prügelt Little Bill den aufsässigen Eindringling schon wieder aus der Stadt heraus. Der Sheriff duldet keine Schießeisen in den Grenzen seines Machtbereichs und erteilt jedem Aufsässigen mit sadistischer Freude eine Lektion in blutiger Omnipotenz. Mit solcher Information gewappnet, weiß der Zuschauer, welche Auseinandersetzung ihm bevorsteht. Der geläuterte Bösewicht wird letztlich gegen den das Gesetz verkörpernden Sadisten antreten müssen. Doch bis dahin dauert es noch eine gute Filmstunde, die der Suche nach den beiden Übeltätern gilt, die die Prostituierte mit einem Messer verunstaltet haben.

Clint Eastwood hat kürzlich in einem Interview erklärt, einer seiner Lieblingsfilme sei William A. Wellmans "Der Ritt zum Ox-Bow" (fd 3 075), ein Western, der sich in damals ungewöhnlicher Weise mit den Ursachen von Gewalttätigkeit auseinandersetzte. "Erbarmungslos" geht noch einen Schritt weiter, indem er seine Helden allmählich jeder heroischen Attitüde beraubt. Eastwood betreibt diese Entmythologisierung nicht ohne Humor: Munny kann sich kaum noch auf dem Pferd halten, Little Bill baut sich ein Haus mit Löchern im Dach, und der Angeber "Schofield Kid" entpuppt sich als kurzsichtiger Lügner, dem übel wird, als er tatsächlich einen Menschen erschießen muß. Eastwood: "Ich dachte, es sei an der Zeit, einen Film zu machen, der zeigt, daß Gewalt nicht nur Schmerzen verursacht, sondern auch für die Täter wie die Opfer nicht ohne Konsequenzen bleibt." Der einsame Reiter unter dem breitkrempigen schwarzen Hut, der einst in Italo-Western ganze Scharen von Widersachern ohne jedes Anzeichen einer Gefühlsregung abknallte, wird in "Erbarmungslos" durch ein Dickicht von Skrupeln und Gewissenskonflikten geschickt, bis er schließlich - zornig und widerwillig - mit dem Sheriff und seiner Entourage abrechnet. Eastwoods später Western, von dem er selbst als seinem möglicherweise letzten spricht, ist nicht nur ein "Endwestern" im Sinn von Peckinpahs Filmen und ein Abgesang auf einen legendären Western-Star, wie es zum Beispiel "Der Marshal" (fd 16 449) für John Wayne war, sondern er ist auch und vor allem ein moralischer Film, der sich als Allegorie auf das immer gewalttätiger werdende Umfeld heutiger amerikanischer Großstädte verstanden wissen will. Eastwood: "Ein Ereignis löst bestimmte Entscheidungen aus, vielleicht die falschen Entscheidungen oder die falschen Reaktionen, aber es gibt einfach keine Möglichkeit mehr, sie aufzuhalten."

Formal ist "Erbarmungslos" kein Meisterwerk. Es ist ein Film, der seinen Duktus weitgehend dem Vorbild der beiden Regisseure zu verdanken hat, denen er gewidmet ist, Sergio Leone und Don Siegel, ohne jedoch deren Konsequenz und deren lakonische Bildkraft auch nur annähernd zu erreichen. Die Erzählstruktur wirkt gelegentlich gezwungen und hölzern, den Fluß der Geschichte mehrmals unorganisch unterbrechend. Es zeigt sich abermals, daß Clint Eastwood bei allem Ehrgeiz nicht das Zeug zu einem großen Regisseur besitzt, doch in der Konzentration auf die Figuren und in der kompromißlosen Herausarbeitung des thematischen Materials beweist er genügend Stärke, um dem inzwischen als "unzeitgemäß" geltenden Genre einen neuen Sinn zu verleihen. Und es ist nicht zuletzt die Ironie, die seine Realisation wie ein dünn gesponnener, aber nicht abreißender Faden durchzieht, die für Eastwoods Film einnimmt. In der Figur des Romanschreibers W. W. Beauchamp, den Little Bill nach der erzwungenen Abreise des arroganten English Bob für sich selbst und zum eigenen Ruhme zurückbehält, reflektiert Eastwood mit humorvoller Doppelsinnigkeit Entstehungsgeschichte und Glaubwürdigkeit der Western-Legenden, deren filmischer Umsetzung er selbst Geld und Ansehen verdankt.

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