Komödie | USA 1992 | 103 Minuten

Regie: Tim Robbins

Ein rechtsradikaler Folk-Sänger und Selfmade-Millionär kandidiert für einen Sitz im US-Senat und macht sich in seinem skrupellosen Wahlkampf durch ein inszeniertes Attentat auf sich selbst zum Märtyrer der "neuen Rechten". Eine engagierte Abrechnung mit neuen rechten Strömungen in der amerikanischen Politik, ihren Forderungen nach "law and order" und der Rückkehr zu Amerikas alten Idealen und Werten. Ein nach bewährten Mustern stilistisch virtuos gestalteter "fiktiver Dokumentarfilm" über politisches Machtstreben und verantwortungslose Ausnutzung von Volksstimmungen. Zugleich ein nachdenkenswertes Lehrstück über den Mißbrauch von Sprache und modernen Kommunikationstechniken als Mittel der politischen Einflußnahme. - Sehenswert ab 16.
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Filmdaten

Originaltitel
BOB ROBERTS
Produktionsland
USA
Produktionsjahr
1992
Produktionsfirma
Polygram/Working Title/Live Entertainment
Regie
Tim Robbins
Buch
Tim Robbins
Kamera
Jean Lepine
Musik
David Robbins
Schnitt
Lisa Churgin
Darsteller
Tim Robbins (Bob Roberts) · Giancarlo Esposito (Bugs Raplin) · Ray Wise (Chet MacGregor) · Brian Murray (Terry Manchester) · Gore Vidal (Paiste)
Länge
103 Minuten
Kinostart
-
Fsk
ab 12; f
Pädagogische Empfehlung
- Sehenswert ab 16.
Genre
Komödie | Drama
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IMDb | TMDB

Diskussion
Künstler machen sich in Wahlkampfzeiten (auch hierzulande) oft zu Gallionsfiguren der Parteien und ihrer Spitzenkandidaten. Seltener ist, daß sie selbst politische Karrieren und höchste Staatsämter anstreben. Den letzten authentischen Fall gab es vor Jahren in Frankreich, als dubiose Spekulationen um eine Spitzenkandidatur von Yves Montand durch die Schlagzeilen irrlichterten.

Eine ganz und gar fiktive Geschichte ist jedoch die vom Aufstieg eines amerikanischen Folk-Sängers namens Bob Roberts zum "singenden Politiker" und Idol einer konservativen Yuppie-Generation. Denn Roberts singt klar und leicht eingängig nicht nur von Leistungslust und dem "amerikanischen Traum" vom erfindungs- und erfolgreichen Selfmademan; er vermag seine Anhängerschaft von "rechten Werten" um so eindrucksvoller zu überzeugen, je offener er sich als Millionär und Meister der Börsenspekulation selbst zum "lebendigen Beispiel" für die Richtigkeit seiner Thesen und Parolen stilisiert. Roberts Ziel ist ein Sitz im amerikanischen Senat. 1990 beginnt er mit Hilfe eines ausgefuchsten Beraterstabes eine Wahlkampftournee durch Pennsylvania. Seinen politischen Gegner, den schon viele Jahre amtierenden Senator Paiste, geht er mit harten Bandagen an. Roberts und seine Helfer scheuen schlammige Verleumdungen, zweifelhafte Enthüllungen und die gemeinste Niedertracht nicht, um unter den Wählern eine politische Willensbildung zu ihren Gunsten zu erreichen.

Ein zentraler Punkt in Roberts rattenfängerischem Bemühen um Stimmengewinn ist das raffinierte Ausschöpfen von Volksstimmen. Mit Gesang und Rhetorik verleumdet er den politischen Aufbruch der 60er Jahre wegen der besonders optimistischen Neuanfangsstimmung unter diskriminierten Randgruppen als Schandfleck in der Geschichte Amerikas. Er macht diese Zeit als Ursache verantwortlich für moralischen Zusammenbruch, volkswirtschaftsschädliche Sozialprogramme, Rezession, Aufruhr, Drogenkonsum und Ansprüche ohne eigenen Leistungswillen. Weil Roberts mit seinem Aufruf zu heilsamer gesellschaftlicher und sozialer Gewissenserforschung offene Türen einrennt, erreicht er in den Meinungsumfragen die besten Ergebnisse.

Gestört wird Roberts erfolgreiche Agitation gegen Minderheiten und Außenseiter der Gesellschaft, die "moralischen Müllhaufen der Nation", als ein farbiger Journalist in Verbitterung über den Ultra-Rechten mit heiklen Hinweisen aufwartet: Roberts seien vermutlich Verwicklungen in einem Finanzskandal und im Drogengeschäft nachzusagen. Prompt droht Roberts ein gefährlicher Rückstand in den Meinungsumfragen, zumal der Gegenkandidat Paiste den Mythos des "amerikanischen Traums" wohl auch beschwört, ihn aber auch ehrlich und kritisch befragt und offen den Mißbrauch der für gedeihliches Zusammenleben so wichtigen amerikanischen Ideale diskutiert. Roberts Beraterstab kann jedoch befreit aufatmen, als Roberts vor dem nahenden Wahltag in New York einem Attentat zum Opfer fällt. Er überlebt, ist nach ärztlichem Befund aber infolge seiner schweren Schußverletzung für lange Zeit gelähmt. Hysterie macht sich breit; die Chancen für Roberts steigen wieder. Und das um so mehr, als man als vermeintlichen Attentäter den farbigen Aufdeckungsjoumalisten, ungeachtet seiner Unschuldsbeteuerungen, ergreift und vor Gericht bringt. Er wird zwar aus Mangel an Beweisen freigelassen, später jedoch durch ein rechtes Untergrundkomitee für "Gerechtigkeit" ermordet. Doch da ist Roberts, der als Märtyrer der "neuen Rechten" im Rollstuhl den Wahlkampf wieder aufgenommen hat, schon der vom Mitleidbonus begünstigte Sieger. Aber ist er das nur durch eine von ihm selbst angeregte und von seinen Beratern ausgeklügelte Inszenierung des Attentats geworden? Denn als er in Washington beim illustren Festbankett seiner Partei wieder programmatische Songs zum besten gibt, enthüllt die Kamera bei einer langen Fahrt durch die Siegerversammlung mit einem kleinen Schwenk, wie Roberts zum Gesang den Takt just mit dem Fuß schlägt, den er nach einem Bulletin der (korrumpierten?) Ärzte frühestens in fünf Jahren hätte bewegen können.

In seinem Spiefilmdebüt, dessen stilistische Virtuosität nach guten Mustern (Welles, Wise-man, Altman) - vor allem durch Schnell-Sequenzen und raschen Perspektivwechsel - eine fast betäubende Hektik und Atemlosigkeit erreicht, verkörpert Tim Robbins - Altmans grandioser "Player"-Darsteller - mit kunstvoller Charakterisierung selbst den Bob Roberts. Mit und um ihn entsteht eine Polit-Atmosphäre und Glaubwürdigkeit, die schon kurz nach dem Beginn des Films mit verschachtelter Rückblendetechnik vergessen läßt, daß man nur einem fiktiven Dokumentarfilm über einen rechtsradikalen Aufwärtsstreber vor sich hat. Die Gastauftritte von Stars in der Rolle von Berichterstattern und Nachrichtensprechern und nicht zuletzt die gerissen komponierten Folk-Songs mit der "rechten" Ideologie schaffen zusätzlich "Authentizität".

Als ein Stück des neuen, politisch brisanten amerikanischen Kinos ist "Bob Roberts" natürlich parteilich. Der Film macht eindeutig Front gegen die Wertevorstellungen des konservativen Amerikas. Mit seinem Verlangen nach "Law and Order", den alten Idealen und traditionellen Familienwerten wird der fiktive Bob Roberts zum unbezweifelbaren Parolenträger des rechten Parteiflügels der Republikaner gemacht. Wie dessen reale Forderungen durch die Übertragung ins Fiktive dem Absurden, dem Lächerlichen und dem Widerwillen eines jeden sozial und fortschrittlich Denkenden zugetrieben werden, ist ein filmdemagogisches Meisterstück. Die Wirkung wird gesteigert, indem politische Realitäten und Personen wie etwa Bush, Sadam Hussein und der Golfkrieg, beziehungsvoll in die gefabelte Senatorenwahl integriert werden. Daß ein rechtsradikaler Politiker aus Machtgier sogar zu einer ihn womöglich doch echt gefährdenden Attentats-Schmiere fähig sein soll, ist der Höhepunkt der perfid-witzigen Verdächtigung einer Partei und ihrer Kandidaten. Trotz der unzweideutigen Bezüge auf Entwicklungen, Probleme, Vorgänge, Vertuschungen und Verdrängungen in der Realität des gesellschaftlichen und politischen Amerikas von gestern und heute, bleibt "Bob Roberts" nicht im "Lokalen" stecken. Vielmehr erreicht der Film den Rang eines Gleichnisses. Er zeigt, wie Machtgier den Erzversteller und Erzlügner gebiert; wie Geist bewußt als Machtmittel angewandt wird und radikal-politisches Denken einen Menschen zum gewissenlosen Schuft und Regisseur seiner eigenen Gemeinheit und Verruchtheit machen kann. Vor allem aber hebt "Bob Roberts" in warnender Klarheit das hervor, was der Theaterhistoriker K. H. Ruppel 1937 angesichts einer gefährlich anzüglichen und mutigen Berliner Aufführung von Shakespeares "Richard III." im propagandistisch überschwemmten Nazi-Deutschland als die "verhängnisvolle Zauberkraft" des Wortes festgestellt hat: Das Wort als Mittel der politischen Lüge, der Verdrehung, der Hinterlist, der schmeichlerischen Tücke, der lächelnden Bosheit, der grinsenden Täuschung - kurz, das Wort als das eigentliche Wirkungsmittel des Politikers. Und wenn der fiktiv rechtsradikale Senatorenkandidat Bob Roberts nicht allein durch sein Wort, gesteigert bis zum verbalen Morden, sondern zugleich mit seinem Singen seine Anhänger je nach Bedarf aufputscht, einlullt und verführt, findet sich hier auch noch Thomas Manns These von der "politischen Verführungskraft" der Musik eindringlich illustriert.
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