Wintermärchen (1991)

Liebesfilm | Frankreich 1991 | 114 Minuten

Regie: Eric Rohmer

Eine junge Frau hofft jahrelang auf die unwahrscheinliche Rückkehr des geliebten Mannes, den sie während eines Sommerurlaubs kennenlernte und mit dem sie ein Kind hat, den sie aber nicht wiedersah, weil sie ihm ungewollt eine falsche Adresse gab. Bis der Geliebte unverhofft und wie durch ein Wunder auftaucht, um mit ihr weiter zu leben, versucht sie nur unzulänglich, ihre Bemühungen um zwei andere Männer zu klären. Der zweite Film aus dem Zyklus "Vier Jahreszeiten" handelt in gewohnt leichter und dialogbetonter Weise von Rohmers Generalthema - den Bedingungen der Liebe und der Liebe als Voraussetzung des Glücks. Kunstvoll konstruiert, aber gleichermaßen wirklichkeitsnah. (Kinotipp der Katholischen Filmkritik; Lobende Erwähnung der Ökumenischen Jury in Berlin 1992) - Sehenswert ab 16.
Zur Filmkritik

Filmdaten

Originaltitel
CONTE D'HIVER
Produktionsland
Frankreich
Produktionsjahr
1991
Produktionsfirma
Les Films du Losagne/Soficas Investimage/Sofiarp/Canal+
Regie
Eric Rohmer
Buch
Eric Rohmer
Kamera
Luc Pagès
Musik
Sébastian Erms
Schnitt
Mary Stephen
Darsteller
Charlotte Véry (Félicie) · Frédéric van den Driessche (Charles) · Hervé Furic (Loïc) · Michel Voletti (Maxence) · Ava Loraschi (Elise)
Länge
114 Minuten
Kinostart
-
Fsk
ab 6; f
Pädagogische Empfehlung
- Sehenswert ab 16.
Genre
Liebesfilm

Diskussion
Im Sommer der Bretagne liebt Félicie stürmisch und zärtlich Charles. Die schnellen Schnittfolgen sind voller Gegensätze, Stimmungen und Bilder von heiterer Laune am Meer. Als man sich trennt - vorbei eine Urlaubsliebe - , unterläuft ihr ein folgenschwerer "Lapsus": wohl gibt sie ihm als ihre Adresse die richtige Straße, aber den falschen Ort an: Courbevoie statt Levallois.

Fünf Jahre später ist es Winter. Filmtagebuchartig werden die Tage vor Weihnachten und danach aufgerufen und durchgespielt. Félicie lebt mit ihrer kleinen Tochter, Charles' Kind, bei ihrer Mutter. Liiert ist sie mit Maxence, ihrem Chef, dem sie ohne Zögern in die Provinz, nach Nevers, folgt. Dort übernimmt er, der sich von seiner Frau getrennt hat, einen neuen Friseursalon. Und Félicie soll seinen neuen Start als Chefin begleiten. Der schnelle Entschluß für Nevers reut Félicie nach wenigen Tagen. Sie kehrt nach Paris zurück, so daß sich ihr anderer Freund, Loïc, der Bibliothekar, wieder Hoffnungen macht. Doch allen ist klar, daß Félicie letztlich nur Charles liebt, den sie verpaßte, weil sie ihm die falsche Adresse gab. Als sie eines schönen Tages im Bus aufschaut, erkennt sie in ihrem Gegenüber Charles, der mit der gleichen Selbstverständlichkeit wie Félicie an seine sommerlichen Gefühle von damals anknüpft. Und mit dem sie nun immer leben wird als Chefin in dem Restaurant in Amerika, das er als Koch aufmachen wird. Charles' Rückkehr aus zeitlicher und räumlicher Distanz - er war inzwischen jenseits des Atlantiks - ist ein traumwandlerisches Ereignis, geahnt, erhofft, herbeigesehnt und wie durch Fügung verwirklicht. Alle wissen sie von Charles, Tochter Elise erkennt ihn sofort als ihren Vater, die gleichaltrigen Kinder von Félicies Verwandten akzeptieren sofort ihre neue Qualität, daß sie einen wirklichen Vater hat.

Diese zweite Filmerzählung aus Rohmers neuem Zyklus "Vier Jahreszeiten" zeigt sich vom Erzählrahmen aus als kleine, triviale Geschichte wie fast alle Erzählungen Rohmers. Ihre Qualität liegt nicht in der Reichhaltigkeit an Ereignissen, was eigentlich ganz unspezifisch fürs Gegenwartskino ist. Ihre Qualität liegt in der Erzählweise des Alltäglichen, ganz Menschlichen, im Interesse für die Sensibilität und Intensität einer Gerichtetheit von Gefühlen. Da liebt eine junge Frau in einer frappierend kompromißlosen Weise einen Mann, der jahrelang abwesend ist, und von dem sie kaum erwarten kann, daß sie ihn je wiedersieht. Allzu konsequent hat ihr zufälliges Verhalten, der "Lapsus", der Fügung einen Riegel vorgeschoben. Und dennoch ist sie gleich mit zwei Männern verbunden, ringt laufend um die Art und Weise ihrer Beziehung zu ihnen - eine ganz modern anmutende Gestalt mit allen Anzeichen der äußeren Orientierungslosigkeit. Faszinierend, wie sicher sie dagegen ihrem Gefühlskompaß folgt. Es hat fast mit Magie zu tun, wenn man an die Situation der Rückkehr von Charles denkt, ist aber letztlich von moralischem Zuschnitt. So wie Menschen, schon früh von dem einzigen und intensiven Gegenüber ihrer Gefühle getrennt, diesem ein Leben lang in Abwesenheit Treue und Liebe bewahren, so hat sich Félicie ihrerseits auf diese Treue und Dauer ihrer Zuneigung trotz Trennung eingestellt. So fest muß man an das ferne Glück glauben, wenn man es schließlich erreichen will. Nicht als bedürfe es dazu nicht der Anstrengung: Was wird auch in diesem Rohmer-Film geredet selbst von dieser Figur, die so gar nicht akademisch gestaltet ist, sondern eben den ganz anderen Beruf der Friseuse erlernt hat! Und doch hält sie mit - nicht aufgesetzt im Diskurs wie die Gäste ihres intellektuellen Freundes Loïc, sondern lapidar-dialektisch ihr Gefühlsleben und Glücksstreben im Umgang mit der erhofften Nähe durch andere beschreibend und verteidigend.

Die Wirklichkeit des winterlichen Paris' wie des im Alltag tristen Nevers - sie ist alles andere als auf Wunder gestimmt. Und doch geschieht ein Wunder in der Rückkehr von Charles. Durchaus in religiöser Hinsicht ist dieses Wunder verstehbar: Die irritierte Félicie gerät durch Zufall in die Kathedrale von Nevers, wo sie - wie sie berichtet - ins Beten gerät. Und der Entschluß, nach Paris zurückzukehren, zu ihrem alten Traum, ist gefaßt - eine Schlüsselszene, signifikant durch wenige Töne einer Gitarre (in einem Film ohne jegliche Musik), womit eine andere wichtige Sequenz korrespondiert, in der einige Töne einer Flöte das Wunder vollbringen, eine vermeintliche Statue zu wirklicher Lebendigkeit zu erwecken. Als nämlich die aus Nevers zurückgekehrte Frau vom irritierten Loïc in einer Aufführung von Shakespeares "The Winter's Tale" mitgenommen wird und sie mit großer emotionaler Betroffenheit Hermiones Rückkehr zu König Leontes erlebt nach dessen langer winterlicher Erstarrung zunächst vor Verblendung, dann vor Bußfertigkeit.

Natürlich ist Rohmers Filmtitel eine Anspielung an diese Gefühls- und Glückssphäre des großen Shakespeare. Aber er weist auch auf die Art von grandioser Gefühlswelt hin, die man sich früher an Winterabenden erzählt haben muß, um neben warmen Füßen am Kamin auch ein warmes Herz zu bekommen, weil eine Liebe gegen alle Wahrscheinlichkeit groß und konsequent war, wie eben erzählt wurde. Das Schöne ist, daß Rohmer derartige Märchen von den ansonsten gar nicht tröstlichen Vorstädten von Paris und anderswo erzählt. Nach dem Motto: Wenn du mitten im Winter bei geschlossenen Augen die flache Hand ausstreckst und wartest, daß etwas geschieht, von dem du weißt, daß es dich an den Sommer erinnert, dann nimmt tatsächlich ein Schmetterling darauf Platz, Schmetterling Glück.
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