Komödie | Deutschland 1992 | 98 Minuten

Regie: Andreas Dresen

Die "Warten auf Godot"-Inszenierung an einem Provinztheater der DDR wird im Herbst 1989 von den politischen Ereignissen immer wieder überholt. Zwischen provinziellem Informationsnotstand, kämpferischem Aufbäumen und Rückzug in die künstlerische Arbeit kommt es innerhalb des Ensembles zu Momenten ungeahnten Zusammenhalts und neuerlichen Ernüchterungen. Durch bissigen Humor und nuancierte Charakterzeichnung ansprechender Erstlingsspielfilm, dessen Qualitäten allerdings unter der höchst durchschnittlichen Inszenierung und der fehlbesetzten Hauptrolle leiden. - Ab 14.
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Filmdaten

Produktionsland
Deutschland
Produktionsjahr
1992
Produktionsfirma
Max Film/HFF "Konrad Wolf"/SWF/MDR
Regie
Andreas Dresen
Buch
Laila Stieler · Andreas Dresen
Kamera
Andreas Höfer
Musik
Tobias Morgenstern · Rainer Rohloff
Schnitt
Rita Reinhardt
Darsteller
Thorsten Merten (Kai) · Jeanette Arndt (Claudia) · Kurt Böwe (Intendant) · Petra Kelling (Uschi) · Horst Westphal (Horst)
Länge
98 Minuten
Kinostart
-
Fsk
ab 0; f
Pädagogische Empfehlung
- Ab 14.
Genre
Komödie | Drama
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Diskussion
Kais neue Arbeitsstelle ist ein Provinztheater irgendwo in Brandenburg oder Mecklenburg. Mit Enthusiasmus und einem Kopf voller Ideen tritt der Jungregisseur einem Ensemble gegenüber, das bislang allenfalls mit Märchenaufführungen den kleinen Saal füllen konnte. "Warten auf Godot" soll Kais erste Inszenierung werden, in den Augen des Intendanten ein "schwieriges irisches Stück", das der vorsichtigen Vermittlung bedarf. Doch nicht nur Provinzialität und die theaterübliche Mischung aus Frust, Eitelkeit und unerfüllten Träumen setzen dem "Neuen" zu. Im Land brodelt es. Ein Mitglied des Ensembles hat sich bereits in die westdeutsche Botschaft in Ungarn abgesetzt. Doch es fehlt an zuverlässigen Informationen, da kaum West-Fernsehen zu empfangen ist. Inmitten dieser von Unsicherheit, Gerüchten und anonymen Flugblättern geprägten Atmosphäre wächst die kleine Theatergemeinde für einen Moment über sich hinaus und eng zusammen. Eine Petition an Honecker wird verfaßt (die allerdings zunächst im Schreibtisch des Intendanten verschwindet), man trifft sich bei Mahnwachen und einem gespenstisch einsamen nächtlichen Schweigemarsch. Kai, der eine Romanze mit seiner Assistentin Claudia begonnen hat, spürt - zum Überdruß des Requisiteurs - die Wechselbeziehung zwischen Kunst und Leben. "Sein" Godot soll nun nicht mehr als Metapher der Ausweglosigkeit, sondern selbstverschuldeter Trägheit auf die Bühne kommen. Doch die elektrisierende Euphorie hält nicht lange vor. Als in Berlin die Mauer fällt, scheitert ein spontaner Besuch am kaputten Theaterbus. Nur Claudia fährt gegen Kais Willen (Arbeit ist Arbeit!) per Anhalter in die Hauptstadt. Von dort kehrt sie mit Thomas zurück, einem Hamburger Schauspieler, der die "Kollegen" mit klugen, aber wirkungslosen Marketing-Ratschlägen beglückt. Die Premiere schließlich holt alle hochfliegenden Träume ein. Man spielt gut, aber vor gewohnt halbleerem Saal. Am nächsten Tag fährt Claudia mit Thomas in den Westen.

Mit seinem Kurzfilm "Zug in die Ferne" erregte Andreas Dresen bei der Mannheimer Filmwoche 1990 einige Aufmerksamkeit, weil es ihm als einzigem deutschem Regisseur gelungen war, dem Gärungsprozeß in der Noch-DDR mit künstlerischen Mitteln - im Rahmen einer bissigen und mit vielen Metaphern gespickten Geschichte - statt im herkömmlichen TV-Reportagenstil beizukommen. Dresens Sinn für groteske Details und Figuren läßt sich in "Stilles Land" teilweise weiterverfolgen. Da finden sich Figuren wie der junge Schauspieler, dessen Bericht von einer Verhaftung in Berlin mit jedem Erzählen dramatischere Züge annimmt, oder der rückgratlose Intendant, der den risikolosen Moment zum Absenden der Resolution exakt abpaßt. Daß keine dieser Figuren wirklich unsympathisch charakterisiert wird, erhöht die Glaubwürdigkeit der Geschichte, wie umgekehrt auch jede positive Identifikationsfigur fehlt. Auf beklemmende Weise entlarvend spiegelt sich in Kai der Prototyp des "idealistischen" Künstlers oder Intellektuellen, dessen unermüdliche Hingabe an seine bedeutende, weil bewußt-seinsverändemde Aufgabe längst zur puren Selbstbefriedigung verkommen ist und den Bezug zur politischen wie menschlichen Realität verloren hat. Kaum minder düstere Bilder gelingen Dresen für die Mischung aus kleinstädtischer Provinzialität und persönlicher Hilflosigkeit. Eine Resolution verfassen, ja - doch wohin adressieren? Ein Schweigemarsch durch die Stadt - während die übrigen Bewohner schlafen.

Wenn Dresens Film trotz einer Fülle guter Ideen nicht gänzlich überzeugen kann, so liegt das in erster Linie wohl an einem hoffnungslos überforderten Hauptdarsteller. Der Kinodebütant Thorsten Merten überzieht die Rolle des idealistischen Naiven vor allem zu Beginn bis zur Karikatur - und verbreitet eher die Aura eines Pfadfinder-Gruppenleiters als die kreative Energie eines Kunstbesessenen. Trotzdem zählt "Stilles Land" zu den interessanteren und gelungeneren filmischen Aufarbeitungen der politischen "Wende" in der DDR. Manchem deutschem Regisseur möchte man Dresens entlarvenden Humor und seinen nuancierten Blick für die Personen wünschen. Die Story ist gut, die handwerkliche Umsetzung hätte man sich professioneller gewünscht.
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