1492 - Die Eroberung des Paradieses

Historienfilm | USA 1992 | 155 Minuten

Regie: Ridley Scott

Naive Verfilmung der beiden Entdeckungsreisen von Christoph Columbus, die keinen Anspruch auf geschichtliche Wirklichkeit erhebt, sondern ihre Hauptfigur als tragisch scheiternden Helden stilisiert. Trotz überwältigender Bilder ein enttäuschendes Historiengemälde; weder bewegend noch spannend, sondern langatmig inszeniert. - Ab 16.
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Filmdaten

Originaltitel
1492 - THE CONQUEST OF PARADISE
Produktionsland
USA
Produktionsjahr
1992
Produktionsfirma
Legende
Regie
Ridley Scott
Buch
Roselyne Bosch
Kamera
Adrian Biddle
Musik
Vangelis
Schnitt
William M. Anderson · Françoise Bonnot
Darsteller
Gérard Depardieu (Christoph Columbus) · Sigourney Weaver (Isabella I. von Kastilien) · Armand Assante (Gabriel Sanchez) · Fernando Rey (Antonio de Marchena) · Angela Molina (Beatriz Enriquez de Arana)
Länge
155 Minuten
Kinostart
-
Fsk
ab 16; f
Pädagogische Empfehlung
- Ab 16.
Genre
Historienfilm
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Heimkino

Verleih DVD
Concorde (16:9, 2.35:1, DD5.1 engl./dt.)
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Diskussion
Ein verwegen aussehender Mann in mittleren Jahren sitzt mit seinem kleinen Sohn am felsigen Strand und schaut auf das Meer hinaus. Ihre Blicke verfolgen einen Schoner, der schließlich am Horizont verschwindet. Der Mann schält eine Orange. "So", wendet er sich an den Jungen, "mußt du dir die Welt vorstellen. Nicht wie eine Scheibe, sondern rund." Der Kleine schaut etwas ungläubig, scheint die kühne These jedoch letztlich zu akzeptieren. Gut 10 Jahre (und 140 Filmminuten) später: derselbe Mann, derselbe Junge, inzwischen zum "Teenager" herangewachsen. Über dem Meer versinkt malerisch die Abendsonne. Da bittet der Sohn den Vater, von seinen Erinnerungen zu erzählen - von Anfang an. Doch die Züge des Mannes verraten Trauer und Melancholie.

Kein Wunder, der Mann heißt Christoph Columbus und hat während der Jahre, die zwischen diesen beiden Szenen liegen, seinen Traum verwirklicht; nun sieht er sich schändlich um die Früchte seiner heldenhaften Tat betrogen. So zumindest sieht Ridley Scott jenen tollkühnen Seemann in seiner Columbus-Version, die nicht nur das Wettrennen um den Titel gegen die Hollywood-Produktion "Christopher Columbus" von John Glen (fd 29 778) verlor, sondern auch erst als zweite an den Start geht.

Ridley Scott beginnt seine Geschichte mit Columbus' vergeblichem Versuch, die Gelehrten der Universität in Salamanca von seiner Theorie über einen Seeweg nach Indien zu überzeugen. Statt Unterstützung findet er nur Hohn und Spott. Doch einflußreiche Gönner eröffnen Columbus die Chance, seinen Plan der Königin Isabella von Kastilien vorzutragen.

Sie findet Gefallen an dem ehrgeizigen Italiener. Auch wenn ihr seine Bedingungen - er verlangt im Erfolgsfall den Titel eines Vizekönigs - reichlich vermessen erscheinen, stellt sie ihm schließlich die Geldmittel für seine abenteuerliche Seereise zur Verfügung. Am 6. September 1492 stechen drei Schiffe in See und nehmen Kurs auf Indien, immer nach Westen. Nach gut einem Monat erscheint den Seefahrern aus dem Morgennebel plötzlich die Silhouette eines Berges. Columbus wähnt sich am Ziel seiner Träume. Als er mit seinen Mannen in das Landesinnere vordringt, trifft er auf die ersten Ureinwohner dieses Landes, das ihm wie das "Paradies" erscheint. Nachdem die beiden Gruppen sich einige Zeit argwöhnisch begutachtet haben, löst sich die Spannung beiderseitig in befreiendes Gelächter. Sogleich führen die Indios die seltsamen Fremden in ihr Dorf, um ihnen zu Ehren ein rauschendes Fest auszurichten. Auch in der Folgezeit verläuft das Zusammenleben von Ureinwohnern und Entdeckern harmonisch. Nach drei Monaten segelt Columbus zurück nach Spanien, um von seinem Triumph zu berichten. Dort wird er mit allen Ehren bei Hofe empfangen, wobei man an seinen euphorischen Schilderungen von Land und Leuten allerdings weniger Interesse zeigt als an seinen Mitbringseln aus Gold. So sticht denn schon bald darauf eine zweite Expedition gen "Indien" in See. Diesmal mit sieben Schiffen, 1500 Mann, Ochsen, Pferden und einer riesigen Glocke, mit der Columbus den Bau seiner idealen Stadt namens "Isabella" krönen will. Zwar fügen sich viele der Mitreisenden anfangs noch den Befehlen des Vizekönigs Columbus, doch schon bald beginnen einige, allen voran der arrogante Adelssprößling Moxica, mit der systematischen Ausbeutung der Indios. Als der empörte Columbus ihrem skrupellosen Treiben Einhalt zu gebieten versucht, kommt es zum erbitterten Kampf.

Gab sich John Glen alle Mühe, den "Heiligenschein" des großen Entdeckers anzukratzen, indem er ihn als macht- und geldhungrigen, skrupellosen Eroberer zeichnete, "rehabilitiert" Scott Columbus als wagemutigen Visionär, der mit aller Kraft gegen seine bornierte Umgebung für seine Ideale kämpft. Ein tragischer Held, der schließlich nicht nur von skrupellosen Despoten um seine Entdeckung gebracht wird, sondern unschuldig und machtlos mitansehen muß, wie aus seiner "idealen Stadt" in der Neuen Welt ein gigantischer Ort der Ausbeutung und Erniedrigung der von ihm so geliebten Indios wird.

Die Frage, inwieweit dieses Columbus-Bild mit der Historie in Einklang steht, ist so müßig wie es nachgerade albern wäre, von einem Spielfilm die "wahre" Geschichtsschreibung zu erwarten. Von einem ausgewiesenen Könner wie Ridley Scott durfte man aber erwarten, daß er aus diesem Stoff ein sehenswertes Kinoereignis zaubern würde. In der Tat sieht man dem 140 Minuten dauernden Epos jede Minute an, wo die 45 Mio. Dollar Produktionskosten geblieben sind. Da "malt" Kameramann Adrian Biddle überwältigende Panoramen; bombastische Sonnenuntergänge und grandiose Himmel, die anfangs von strahlendem Blau sind und gegen Ende bedrohlich orangerot leuchten. Famose Bilder, denen jedoch ein leeres Spiel auf der Effektklaviatur des Kinos gegenübersteht, dessen Hemmungslosigkeit seinesgleichen sucht. Nicht nur der massive Einsatz der (nicht eben originellen) Zeitlupe wirkt irgendwann nur noch penetrant. Im Bemühen um Authentizität wurde zwar teilweise an Originalschauplätzen gedreht, aber dank geballter Pyrotechnik lodern unter spanischen Scheiterhaufen und indianischen Lagerfeuern die Gasflammen, als gelte es, ein Remake von "Flammendes Inferno" zu inszenieren. Und bisweilen bewegt sich das Ganze gar am Rand der unfreiwilligen Komik. Wenn Columbus (in Zeitlupe) durch das seichte Wasser auf den Strand der Insel zuwatet und sich dann ergriffen im weichen Sand auf die Knie fallen läßt, läßt die Soundtechnik dazu einen sonoren Rums erklingen, als werde der gesamte Globus in seinen Grundfesten erschüttert. Dazu kommen für einen Ridley Scott erstaunliche Dilettantismen. So ziert die Seeleute am Ende der entbehrungsreichen Überfahrt zwar ein pittoresker Ausschlag, doch ansonsten erwecken ihre gestählten Körper eher den Eindruck, als kämen sie grade frisch aus dem Bodybuilding-Studio. Daß ein Indio in der Originalfassung binnen kürzester Zeit besser Englisch parliert als seine "Entdecker", verwundert da kaum noch.

Was dieses Epos jedoch letztlich enttäuschend macht, ist der Umstand, daß Scott aus dem historischen Stoff eine Heldengeschichte gemacht hat, die weder bewegend noch spannend ist, sondern sich vorwiegend träge dahinzieht. Und wo die Figuren so schlicht nach Gut und Böse schematisiert bleiben, "verschenkt" Scott auch das mimische Potential eines famosen Schauspielers wie Gérard Depardieu. Jenseits des bewährten Stereotyps "ungestümer, grobschlächtiger Koloss mit zarter Seele" wissen Regie und Buch seinem "Columbus" kaum Facetten abzugewinnen. Wenn er mit wirrer Haarpracht und blanker Brust den Naturgewalten in Gestalt eines Taifuns trotzt, vermag Depardieu dieses Klischee noch einigermaßen zu füllen, doch wenn er sehnsüchtig aufs weite Meer hinauszuschauen hat, sieht das doch einigermaßen albern aus.

Last not least wird das Ganze von einem bombastischen Klangteppich des Griechen Vangelis unterlegt. Synthetische Retortenklänge, bisweilen zu grandiosen Crescendi aufgebläht, aber im großen und ganzen von schon rührender Naivität. In Spanien lassen sich zu den Elektronik-Klängen ein paar Gitarrensaiten vernehmen, während bei den Indios natürlich dezent getrommelt wird.
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