Wir Enkelkinder

Komödie | Deutschland 1992 | 95 Minuten

Regie: Bruno Jonas

Das Leben zweier Schulkameraden in der Bundesrepublik Deutschland verläuft entgegengesetzt: Der eine läßt sich von allen politischen Veränderungen tragen, der andere macht politische Karriere und begeht schließlich Selbstmord. Eine satirische Revue durch 30 Jahre Nachkriegsdeutschland (1957-1987). Ein hintergründiger Spaß, der eine Fülle von Themen aufgreift, auf seiner privaten Ebene liebevollen Spott treibt und in seinen parteipolitischen Bezügen auch brisante Vorfälle aufgreift. Durch Gespür für satirische Überhöhung am richtigen Objekt ist ein weitgehend vergnüglicher Rückblick entstanden. - Ab 16.
Zur Filmkritik

Filmdaten

Produktionsland
Deutschland
Produktionsjahr
1992
Produktionsfirma
Rialto-Film
Regie
Bruno Jonas
Buch
Bruno Jonas
Kamera
Hans-Günther Bücking
Schnitt
Helga Borsche
Darsteller
Bruno Jonas (Ulli) · Vitus Zeplichal (Willi) · Antje Schmidt (Claudia) · Susanne Czepl (Renate) · Andrea Lüdke (Inge)
Länge
95 Minuten
Kinostart
-
Fsk
ab 6; f
Pädagogische Empfehlung
- Ab 16.
Genre
Komödie
Externe Links
IMDb | TMDB

Diskussion
Ulli steht an Willis mit Kränzen überhäuftem Grab und läßt die vergangenen 30 Jahre Revue passieren. Die gemeinsame Schulzeit und die ersten Liebschaften, bei denen freilich Willi immer der Erfolgreichere war. Es folgt die turbulente Studentenzeit, in der die Wege der ungleichen Freunde die Grundsteine für ihre jeweiligen Karrieren legen. Während Willi sein Jura-Studium ebenso zielstrebig verfolgt wie seine Weibergeschichten, durchlebt Student Ulli auf nahezu klassische Weise die 60er und 70er Jahre. Seine jeweilige Geliebte gibt die politische Richtung vor, Ulli stolpert durch Go-ins, fühlt sich mies, weil er zweimal mit derselben schlafen möchte und folglich zum Establishment gehört, die Kulturrevolution packt ihn, als überzeugter Maoist rettet er die Österreicherin Renate vor der Ausweisung aus dem "imperialistischen Schweinestaat" - und heiratet sie auf Beschluß des Kaders. Lustloses Engagement in der Anti-Kernkraft-Bewegung prägt die 70er Jahre, und plötzlich ist der kleine Peter auf der Welt, da sich Petersilie als natürliches Verhütungsmittel als eher unsicher erweist. Bald liebäugelt Renate mit der Frauenbewegung, zieht aufs Land und läßt sich scheiden; Ulli macht endlich seinen Abschluß und große Augen, als der Beamte des Kultusministeriums ihm Polizeifotos vorlegt, die seine Beteiligung an Demonstrationen belegen und dokumentieren, daß Ulli nicht fest genug auf dem Boden der Grundordnung steht. Mittlerweile ist Willi jedoch ein hohes Tier in der Politik und greift dem Schulfreund unter die Arme - ein Redakteuersplätzchen beim Bayerischen Rundfunk ist schnell gefunden. Eigentlich könnte jetzt Ruhe in Ullis Leben einkehren, zumal er mit der Jugendliebe Claudia das große Los gezogen zu haben scheint. Doch auch dieses Glück ist nur von begrenzter Dauer, erstarrt in bürgerlicher Selbstzufriedenheit und wird zudem durch Willi überschattet, der für seinen Freundschaftsdienst nun eine Gegenleistung verlangt. Also geht auch der Job beim Rundfunk flöten, doch Willi erwischt es schlimmer. Er stolpert über eine Spendenaffäre, gibt sein Ehrenwort und wird wenig später tot in einer Badewanne aufgefunden. Die Zukunft scheint Ulli zu gehören, wenn auch ganz ohne Perspektive, Idee und Ideale.

Inszenatorisch ist der Erstlingsfilm des Kabarettisten Bruno Jonas eher bescheiden, weist an zwei Stellen sogar arge Brüche auf - hier wird dem satirischen Text Dokumentarmaterial untergeschoben -, ansonsten hat diese Arbeit aber schon ihre unterhaltenden und im Rückblick erhellenden Qualitäten. Jonas hat Gespür für ganz banale Situationen und Haltungen, die zur Eigenparodie werden, wenn man sie nur ein wenig übersteigert. Die endlosen Studentendebatten über Habermas, Marcuse und die Frankfurter Schule etwa, in denen jeder sich produziert und niemand versteht, worüber geredet wird, oder die Lächerlichkeit, der sich fast jedes Engagement aussetzt, sobald es mit irgendeiner Art von Ismus verbunden ist.

Jonas betrachtet die westdeutsche Geschichte und die jeweilige ideologische Befindlichkeit der Deutschen sowohl von unten als auch von oben und wahrt so, trotz eine Überfülle von Andeutungen und Themen, den Überblick. Gelten die ersten 20 Jahre den politischen Utopien und den Lebensaltemativen, so herrscht in den 80er Jahren die Privatsphäre vor, Versuche, auf die Politik einzuwirken, finden kaum noch statt. Die wird von Geldwaschskandalen und Parteispenden beherrscht, zeigt Westler-Seilschaften, die ihre Schäfchen ins trockene bringen. Es ist kein großer, aber ein durchaus amüsanter Film, der auf seiner privaten Ebene nachsichtigen Spott betreibt, über den auch der wird schmunzeln können, der sich bei der ein oder anderen Karikatur selbst ertappt fühlt. Auf der politischen Ebene wird Jonas allerdings mitunter bitterböse und zeichnet das Bild der "Enkelkinder" in grellen Farben. Immerhin hat er es geschafft, große Bilder und Themen der westdeutschen Politik, die so manchen prächtigen Kinostoff abgegeben hätten, an die sich jedoch keine Filmproduktion herangetraut hat, in seinen kleinen Film zu packen. Daß es Jonas in erster Linie um die Aussage und weniger um die Form ging, mag auch die Tatsache belegen, daß er und seine Mitspieler sich selbst in allen Lebensaltem spielen. Da wird der Film allerdings auch zu einer Verbeugung vor dem Berliner Kabarettisten Wolfgang Neuß, der in seiner Satire "Wir Kellerkinder" die Jahre 1933 bis zur Wiederaufrüstung 1957 behandelte; hier schließt Jonas' Film nicht nur inhaltlich an.
Kommentar verfassen

Kommentieren