Drama | Deutschland/Frankreich 1991 | 99 Minuten

Regie: Danièle Huillet

Das antike Drama um Antigone, die ihre in der Schlacht gefallenen Brüder gegen das Verbot des Herrschers von Theben beisetzt und dafür hingerichtet wird. Sophokles' Trauerspiel - in der Hölderlin'schen Übersetzung und der Bearbeitung durch Bertolt Brecht - wird rigoros als Sprech-Partitur in einem Freiluft-Theater dargeboten, wobei den Schauspielern die Aufgabe zukommt, die Essenz der Texte darzustellen. Ein schwieriger Film, der viel Geduld erfordert, im Kern aber einen überzeugenden Weg findet, die materiellen Grundlagen der Politik ebenso wie die menschlichen Dimensionen der Tragödie zu erhellen. - Ab 16.
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Filmdaten

Originaltitel
ANTIGONE
Produktionsland
Deutschland/Frankreich
Produktionsjahr
1991
Produktionsfirma
Regina Ziegler Filmprod./Pierre Grise Prod.
Regie
Danièle Huillet · Jean-Marie Straub
Buch
Danièle Huillet · Jean-Marie Straub
Kamera
William Lubtchansky
Schnitt
Danièle Huillet · Jean-Marie Straub
Darsteller
Astrid Ofner (Antigone) · Ursula Ofner (Ismene) · Libgart Schwarz (Botin) · Werner Rehm (Kreon) · Albert Hetterle (Teiresias)
Länge
99 Minuten
Kinostart
-
Fsk
ab 0; f
Pädagogische Empfehlung
- Ab 16.
Genre
Drama | Literaturverfilmung
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Diskussion
Die Schlacht ist zu Ende, das Heer von Argos vernichtend geschlagen. Zwei Brüder, Eteokles und Polyneikes, standen sich als Feinde gegenüber und starben jeweils durch des anderen Hand. Kreon, nun Herr über Theben, hat bei Todesstrafe ein Verbot erlassen, auf daß niemand Polyneikes, den Verräter beklage und betrauere, vor allem aber nicht begrabe. Doch Antigone trauert um ihre beiden Brüder, liebt Eteokles wie Polyneikes. Sie widersetzt sich dem Bestattungsverbot, wobei sie von einer Wache ertappt wird. Antigone wird getötet, woraufhin sich auch Haimon, Kreons Sohn, der Antigone liebt, aus Verzweiflung tötet. Daraufhin bringt sich Eurydike, Kreons Frau, aus Gram und Trauer um ihren Sohn um. Am Ende steht Kreon allein da, von allen verlassen, als Despot erkannt. Die Weissagung des blinden Sehers Teiresias bewahrheitet sich.

Auch der Chor hatte Recht, als er am Anfang sprach: "Viel Ungeheures ist, doch nichts so Ungeheures wie der Mensch." "Antigone" des Sophokles, nach der Hölderlinschen Übersetzung und in der Bearbeitung durch Brecht. Dies sagt alles und bringt obendrein mehr als 25 Jahre Filmarbeit von Jean-Marie Sträub und Daniele Huillet auf den Punkt. "Antigone" soll der Abschluß ihrer Beschäftigung mit Friedrich Hölderlin sein. Diese begann mit "Der Tod des Empedokles oder Wenn dann der Erden Grün von neuem euch erglänzt" (1986) nach dem Trauerspiel von Hölderlin, erste Fassung; dann folgte "Schwarze Sünde" (1988), die Verfilmung des Fragments der dritten Fassung des "Empedokles"; auch in "Paul Cezanne im Gespräch mit Joachim Gasquet" (1990) tauchen Ausschnitte aus dem "Empedokles" auf. "Antigone" ist auf ähnliche Art ein Endpunkt in diesem Geflecht, wie es der Film über Cezanne ist: dieser formuliert klar und endgültig die kunstphilosophischen Aspekte, die zum Teil schon in "Empedokles" angelegt sind: Kunst als Atem der Freiheit. "Antigone" nun ist die Konkretisierung und Ausformulierung der politisch-philosophischen Aspekte des "Empedokles": Der für das Leben blinde Mensch zerstört das Leben der anderen und damit sein eigenes.

Und natürlich hat Bertolt Brecht seinen Platz im Gesamtwerk von Straub/Huillet: Schon am Anfang von "Nicht versöhnt oder Es hilft nur Gewalt, wo Gewalt herrscht" (1965) ist Brecht zu lesen; mit "Geschichtsunterricht" (1972) verfilmten die beiden Brechts "Die Geschäfte des Herrn Julius Cäsar" - wieder ein fragmentarisches Werk. So könnte man weiter durch ihr Werk streifen und feststellen, wie alles zusammengehört und sich die unterschiedlichsten Verbindungen zwischen den Filmen ergeben, zwischen den "politischen" wie auch den "Kunst"-Werken. Für Straub/Huillet gibt es diese Trennung nicht: der politische Mensch ist immer ein der Kunst verbundener Mensch, denn die Politik ist Kunst, und das Leben, die Welt ist ein gigantisches Gesamtkunstwerk. Der Straub/Huilletsche Mensch ist der zoon politicon.

Nun hat dieses Menschenbild denselben Fehler, den auch das Menschenbild bei Karl Marx hat: Der Mensch ist einfach nicht so gut, wie man ihn gerne hätte. Was heißt hier aber "Fehler"? Natürlich ist der Mensch schlecht, denn die Welt, in der er lebt, erlaubt es ihm nicht, ein guter Mensch zu sein. "Antigone" spürt dem Urgrund dieses Zustands der Welt nach: dem Kapitalismus. Krieg entsteht aus ökonomischer Mißwirtschaft, aus Habgier wie Not - am Ende aus Unzulänglichkeit. Der Hauptunterschied zwischen den "Antigone"-Fassungen von Sophokles und Brecht liegt in der Akzentuierung der materiellen Grundlagen der Politik (Brecht) gegenüber dem Schicksalskonzept (Sophokles). Einige Dialoge und Monologe sind bei Brecht Systemanalysen in Reinform. Der Änderungen sind nicht viele, doch sie sind beträchtlich. Kreon wird von einem, der die Götter herausfordert, zu einem, der das Kapital herausfordert. Die Konsequenzen sind dieselben, es hat sich nicht viel geändert. Und der Tod beendet alles. Kreon reagiert mit Gewalt, weil Gewalt herrscht. Das ist das System. Antigone bringt den Mut auf, sich gegen den Tyrannen zu erheben. Doch was bringt das? Nicht mehr als den Tod. Antigone ist ein Beispiel, wie es schon Empedokles war, der in den Krater ging und zu Asche wurde. Und so ist auch das Stück "Antigone" ein Beispiel: in einer materialistischen Weltsicht hat das Schicksal keinen Platz. Demnach wäre die von Sophokles verfaßte Ur-Fassung fehl am Platz gewesen; und Anouilhs Bearbeitung wäre ob ihres Hintergrundes zeitlich genauso beschränkt gewesen wie die von Sophokles es ideologisch ist. Die Brechtsche Version als politisches Schauspiel ist dieser und jeder Zeit gemäß - aber nicht als trockene Formel, sondern als Schau-Spiel, das einen ergreift, das Menschen zeigt und Dinge erkennen läßt. Erkennen durch Identifikation der Situation, durch Gefühle wie Gedanken.

"Antigone" ist für manchen ein weiteres Beispiel für das "Anti-Kino" von Huillet und Sträub. Aber wenn Kino aus Bildern, Worten, Tönen und Licht, das sich in der Zeit bewegt, besteht, dann ist "Antigone" Kino in blendender Reinheit. Das, was man immer für falsch betonte Texte hält, ist die Musik der Sprache in der Betonung der Essenz der Texte. So funktioniert das "Antigone"-Drehbuch als eine Art Sprech-Partitur, und die Darsteller erfüllen im wahrsten Wortsinn ihre Funktion: sie stellen in einem Freiluft-Theater etwas dar, sie zeigen etwas. Wenn einen etwas berührt, dann ist es die Geschichte, die die Menschen zeigen. Klare Worte in klaren Bildern: Die Kamera verharrt, zeigt den Sprechenden in seiner Umgebung. Schnitte sind Kontinuität in Zeit und Raum, ein Schwenk ist die direkte zeitliche wie räumliche Verbindung zwischen zwei Punkten, Menschen und Aussagen. Nach diesem System funktioniert "Antigone", so wird das Kino zu reiner Materie, gegen die sich die Idee transparent absetzt. "So will es der Geist/Und die reifende Zeit,/Denn einmal bedurften/Wir Blinden des Wunders." ("Der Tod des Empedokles", 2. Fassung)
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