Simple Men

Drama | USA 1992 | 105 Minuten

Regie: Hal Hartley

Ein erfolgloser Räuber und sein Bruder versuchen, ihren Vater aufzuspüren, der seit Jahren im Untergrund lebt und der Polizei wieder einmal entkommen ist. In einem Café begegnen sie zwei geheimnisvollen Frauen, die mehr zu wissen scheinen, als sie zugeben wollen. Ein kunst- und kraftvoll inszenierter Film, der die Schicksale scheinbarer Außenseiter humorvoll mit den Absurditäten des gewöhnlichen Kleinstadtlebens konfrontiert. Hinter dem virtuosen Erzählstil verbergen sich ein romantischer Liebesfilm und die Sehnsucht nach Glück jenseits gesellschaftlicher Konventionen. - Sehenswert.
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Filmdaten

Originaltitel
SIMPLE MEN
Produktionsland
USA
Produktionsjahr
1992
Produktionsfirma
Fine Line/American Playhouse Theatrical Films
Regie
Hal Hartley
Buch
Hal Hartley
Kamera
Michael Spiller
Musik
Ned Rifle
Schnitt
Steven Hamilton
Darsteller
Robert Burke (Bill) · William Sage (Dennis) · Karen Sillas (Kate) · Elina Löwensohn (Elina) · Martin Donovan (Martin)
Länge
105 Minuten
Kinostart
-
Fsk
ab 12; f
Pädagogische Empfehlung
- Sehenswert.
Genre
Drama
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Diskussion
"Sei gut zu ihr, und sie wird gut zu dir sein." Die Rede ist von einem Amulett mit Madonnenbild, das der Räuber Bill einem gefesselten Wachmann abnimmt. Ehe Bill dem gutgemeinten Rat seines Opfers folgen kann, hat ihn selbst die bittere Realität eingeholt: Die Frau, die er liebt, wird noch während des Coups mit dem gemeinsamen Komplizen durchbrennen. Statt des gemeinsamen Lebens in Reichtum bleiben Bill magere 3.000 Dollar. Allein und auf der Flucht vor der Polizei; mit einem Mal sieht er sich mit dem übermächtigen Schatten seines Vaters, eines einst ein erfolgreichen Baseball-Spielers, konfrontiert, der zum politischen Aktivisten geworden und nach einem Bombenattentat in den Untergrund gegangen war. Wie der Zufall es will, ist jener Bill McCabe sen. gerade der Polizei in die Falle gegangen und soll nun in einem Krankenhaus liegen. Dort allerdings begegnet Bill jun. nur noch seinem jüngeren Bruder Dennis, ihr Vater hat sich einmal mehr aus dem Staub gemacht.

Die folgende komplizierte Suche zweier gegensätzlicher Brüder nach ihrem fast unbekannten Vater zieht sich als roter Faden durch Hal Hartleys dritten langen Spielfilm (nach "Verdacht auf Liebe", fd 28 773, und "Trust", fd 29 548). Einmal mehr spielt sich Wesentliches dabei scheinbar am Rande ab, verwischen die Grenzen zwischen Außenseiter-Protagonisten und einer neurotisch geprägten, hinter routinerter Alltäglichkeit notdürftig maskierten Kleinstädter-Welt. Er wolle sein wie Bill, schwärmt ein junger Mann m Lindenhurst, Long Island, angesichts dessen gezogener Waffe: Abenteuer und Romantik erleben. Sein Leben bestehe aus Ärger und Sehnsucht, hält Bill diesen bürgerlichen Ausbruchsträumen entgegen.

Scheinbar zufällig treffen Bill und Dennis bei ihrer Suche auf zwei Frauen, die in einer abgelesenen Bar leben. Kate hält das Geschäft ihres Ex-Mannes instand, eines notorischen Gewalttäters. dessen Rückkehr aus dem Gefängnis mit einiger Panik erwartet wird; die Epileptikerin Elina scheint ein Geheimnis zu verbergen, das mit dem Verbleib des Vaters ¡n Verbindung steht. Während Dennis dieses Geheimnis zu ergründen versucht, hat sich Bills Aufmerksamkeit längst Kate zugewandt; trotz des Vorsatzes, sich nicht wieder zu verlieben und Frauen nur noch wie Spielzeuge zu behandeln, gibt der äußerlich so 'tough' wirkende Bill seinen Gefühlen nach. Und fängt sich zunächst einmal eine Ohrfeige ein.

Zum Ende hin überschlagen sich die Ereignisse: Kates gefürchteter Ex-Mann steht vor der Tür, der verlorene Vater wird gefunden und die Polizei rückt an, um Bill wegen des frustrierenden Raubüberfalls zu verhaften. Während Dennis vom Vater endlich die langersehnten Antworten erhält, muß sich Bill seine eigenen Antworten suchen: Frau oder Flucht heißt die simple Alternative.

Ein Name mit unklarer Bedeutung, eine Telefonnummer ohne dazugehörigen Anschluß, ein eben niedergebranntes Haus, Andeutungen und Intuitionen - so zufällig und lückenhaft Bill und Dennis auf dem Weg zu ihrem Vater geleitet werden, so sparsam und lakonisch bleibt Hartleys inzwischen perfektionierter Stil der filmischen Erzählung. Einzig in Michel Devilles "Sweetheart" (fd 29 730) fand sich zuletzt die Kunst der Andeutung und der indirekten Verknüpfung ähnlich virtuos und spielerisch eingesetzt. Alles wirkt zufällig, aber nichts ist ohne Bedeutung. Jeder Bildausschnitt, jeder der wenigen gesprochenen Sätze ist durchkalkuliert bis zur Künstlichkeit (etwa die grellrot eingerichtete Bar, von deren Ex-Besitzern beiläufig berichtet wird, sie hätten in diesem Raum einen schaurig-blutigen Doppelselbstmord begangen). Und doch wirken Hartleys Charaktere seltsam spontan, selbstverständlich, gegen alle Kinoklischees entworfen. Noch da, wo der Regisseur offensichtlich auf Motive seiner früheren Filme zurückgreift (der an Motoren bastelnde Outlaw; der Mechaniker mit Hang zur elektrischen Gitarre), ist (noch?) wenig von jener Selbstgefälligkeit zu spüren, mit der sich Independent-Heroen wie Jarmusch und Kaurismäki gelegentlich selbst zu zitieren pflegen.

Nicht zuletzt aber ist "Simple Men" ein hoffnungslos romantischer Liebesfilm. Wo der Alltag sich als Sammelsurium der Absurditäten und Widersprüche entpuppt, erscheint die Liebe als hoffnungsvollste aller Absurditäten. Nicht zufällig wird der Wahlspruch "Wenn du sie gut behandelst, dann..." gleich zu Beginn ad absurdum geführt. Frauen sind keine Madonnen, und Gefühle lassen sich nicht in "Wenn-dann"-Konstruktionen fassen. Daß Hartleys Filmhelden (auf ihre Weise allesamt "simple men") dennoch nach diesem Wahlspruch agieren, daß ihnen der schützende Zynismus so schlecht gelingt, ist ihre Stärke und Schwäche. Wahrscheinlich können sie nicht anders.
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